Predigt zum Palmsonntag    -    29.3.2015

Textlesung: Jh. 12, 12 - 19

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!

Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): "Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen."

Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.

Liebe Gemeinde!

Wir erleben den ersten Palmsonntag: Die Menschen, die sich zum Passafest in Jerusalem versammelt haben, gehen Jesus entgegen. Sie legen Palmzweige auf den Weg (daher der Name des Sonntags) und huldigen ihm wie einem König: "Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!"

Jesus, der genau weiß, was ihn in wenigen Tagen erwartet, wird dieser Empfang gefallen haben. Das war doch noch kurz vor seinem Leiden und Sterben eine Stunde, in der er Freude und die Zuneigung der Menschen erfahren hat.

Aber er ist kein König, jedenfalls keiner, wie ihn die Menschen erhofft haben. Sonst hätte er wohl auch keinen Esel als Reittier gewählt, sondern ein Pferd. Und zu seiner Rechten und Linken wären einige Soldaten mit Schwertern geritten.

Jesus weiß auch, dass dieselben, die jetzt "Hosianna" rufen, in wenigen Tagen "Kreuzige" schreien werden. Denn er wird seinen Auftrag erfüllen. Er wird ans Kreuz gehen und auf Golgatha leiden und sterben. Und er wird die Menschen damit enttäuschen, denn sie wollen keinen ohnmächtigen Herrn, sondern einen, der die Macht in Jerusalem und im ganzen Land an sich reißt, der die Römer vertreibt und Israel zu seiner alten Größe führt.

Und Jesus wird auch gewusst haben, warum die Menge ihm huldigt. Wir können es hier lesen: "Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat." Hier zog einer in Jerusalem ein, der Herr über den Tod war! "Darum ging ihm ... die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan." Auch das hatte Jesus nie gewollt, dass sie ihn wegen seiner Taten, seiner Zeichen und Wunder verehrten.

Aber nicht einmal seine engsten Vertrauten haben begriffen, warum er seinen Einzug in Jerusalem nicht als einen Triumphzug gestaltet, sondern auf einem Esel reitet, ganz ohne Begleitung durch bewaffnete Soldaten. Hier hören wir es: "Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand..."

Liebe Gemeinde, jetzt kommt die Frage, die kommen muss: Verstehen wir das? Wir, die von Jesu "Verherrlichung" in Kreuz und Auferstehung wissen. Wir, die Jesus an Karfreitag in unseren Gedanken nach Golgatha hinauf begleiten und Ostern seinen Sieg über den Tod feiern und an Himmelfahrt seine Aufnahme zur Rechten unseres himmlischen Vaters. Wir, die im Glaubensbekenntnis sprechen: "...gekreuzigt, gestorben und begraben, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes..." Wir, die im Konfirmandenunterricht gelernt haben, dass Jesus für unsere Schuld ans Kreuz gegangen ist, um für uns Vergebung zu erlangen und das Ewige Leben. - Wir wissen das alles und unser Glaube vertraut darauf - und doch wünschen wir uns einen Herrn, der wie ein weltlicher König machtvoll eingreift, dort wo die Diktatoren und Potentaten ihre Völker unterdrücken, wo sie Kriege anzetteln, den Frieden zerstören und Flüchtlingsströme auslösen. Und wir wünschen uns einen Herrn, der den Politikern und Wirtschaftsführern wehrt, die nur den eigenen Vorteil suchen und nicht die Wohlfahrt der Menschen, die sie gewählt haben, die ihnen anvertraut und von ihnen abhängig sind. Schließlich wünschen wir uns auch persönlich einen Herrn, der uns mit starker Hand beschützt, der Unglück und Leid von uns abwendet, der unsere Krankheit und Behinderung heilt und uns mit einem glücklichen Leben beschenkt. - Und doch wissen wir, dass Jesus nicht dieser Herr ist. Und wir verstehen, dass er kein weltlicher König sein wollte. - - - Aber wir ertragen es nicht!

Wie oft haben wir nicht schon gedacht und es vielleicht auch ausgesprochen: Wie kann Jesus Christus, wie kann Gott das zulassen? Wenn vielleicht Machthaber in Diktaturen ihre Kritiker für viele Jahre ins Gefängnis werfen, wenn Terroristen ihre Gefangenen skrupellos ermorden oder Banken Schrottimmobilien verkaufen und mit Betrug alte Menschen um ihre Ersparnisse bringen und in Schulden treiben. Und die Liste der Erfahrungen ist lang, bei denen wir fragen, warum der Herr, an den wir doch glauben, nichts gegen das Unrecht und die Bosheit tut, die uns oder anderen Leid und Kummer bereiten? Wie viele Christen mögen es sein, die sich wegen solcher Erfahrungen von Gott verlassen fühlen und kurz davor stehen, ihren Glauben wegzuwerfen oder das schon getan haben?

Ich glaube, es ist gut, wenn wir jetzt noch einmal in diese Geschichte vom Einzug in Jerusalem hineinschauen. Vielleicht kommt uns dabei ein Gedanke, der uns doch das Verständnis öffnet, warum Jesus diesen Weg ging, den Weg der Gewaltlosigkeit, der selbst auferlegten Ohnmacht, des Leidens und des schändlichen Sterbens am Kreuz.

Liebe Gemeinde, denken wir einmal, Jesus hätte damals die Erwartungen der Menschen erfüllt, die ihm aus Jerusalem entgegenkamen. Dann hätte sich die Geschichte, die wir heute gelesen haben, vielleicht so entwickelt: "Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel!"

Und Jesus fand ein schneeweißes Pferd und nach kurzer Zeit erschienen neben ihm 12 Reiter auf schwarzen Pferden, mit Spießen und Schwertern bewaffnet, die ihm den Weg durch die zudringliche Menge bahnten. In Jerusalem angekommen, zeigte sich der Trupp vor dem Tempel, womit er bei den Pharisäern und Schriftgelehrten und den Mitgliedern des Hohenrats, die sich dort aufhielten, Furcht und Schrecken verbreitete. Danach ging es weiter zum Palast des Pilatus, dem Statthalter und Befehlshaber der römischen Besatzungstruppen. Der Überraschungscoup gelang. Die Soldaten Jesu nahmen Pilatus als Geisel und kündigten an, dass einige Legionen von Engeln unterwegs seien, die Macht in Israel zu übernehmen und die Römer zu vertreiben.

Liebe Gemeinde, bevor Sie meine Fortsetzung der Geschichte ganz und gar als fremd und unwirklich empfinden, mache ich hier einen Punkt. Aber warum eigentlich "unwirklich"? und "fremd"? Die Menschen damals in Jerusalem - abgesehen von ihren religiösen Führern, die um ihre eigene Macht fürchteten - hätten diesen Fortgang der Geschichte sehr begrüßt! So haben sie es sich gewünscht: Der König, der von Gott gesandte Messias, tritt seine Herrschaft an. Der Wundertäter Jesus, der sogar Tote aus dem Grab rufen konnte, wird auch jedem Menschen persönlich ein erfülltes Leben, ohne Leid und Tod schenken. - Und ist das so fern von unseren Wünschen, die wir an Jesus haben? Nein! Aber das spüren wir und das wissen wir, dass es so nicht hätte sein können! Und nicht nur, weil wir nunmal die andere, die wirkliche Geschichte vom Einzug bis zum Kreuz kennen! Bei dieser anderen Entwicklung, die ich eben geschildert habe..., wie hätte uns denn je eingeleuchtet, dass Gottes Wille nicht Gewalt ist, sondern Liebe. Wie hätten wir denn je begreifen können, dass Jesus uns nicht unter seine Herrschaft zwingen, sondern unser Herz berühren will, so dass wir uns gern zu ihm halten. Und wie hätten wir je verstanden, dass unsere Erlösung von Schuld und Tod niemals durch unser eigenes Verdienste erlangt werden kann, sondern allein durch Jesu Gehorsam, der den Weg in Leiden und Sterben geht - für uns! Und ich will auch das noch sagen: Wie hätte die Menschheit denn bis heute überleben sollen, ohne dass wir die klare Botschaft Jesu befolgen, unsere Nächsten zu lieben, wie Gott uns alle liebt?

Dass auch Menschen, die sich Christen nennen, die Spur Jesu immer wieder verlassen haben und bis heute verlassen, ist eine traurige Wahrheit. Denken wir nur an die Keuzzüge am Ende des Mittelalters oder an die Unterdrückung der Völker durch Könige und Präsidenten in unseren Tagen, die bei Antritt ihrer Herrschaft auf die Bibel geschworen haben. Unauslöschlich aber ist bei allen, die ehrlich an Jesus Christus glauben, dass nur die Liebe Jesu, nur sein Gehorsam, der den Weg ans Kreuz bis zu Ende geht, uns Vergebung und Ewiges Leben in Gottes neuer Welt verdient hat.

Wir wollen nicht nachlassen, Jesus auf seinem Weg der Liebe und der Gewaltlosigkeit zu begleiten und nicht daran zweifeln, dass er auch uns zum Ziel des Lebens in Gottes Nähe führt. AMEN