Predigt zum 1. Christtag - 25.12.2014

Textlesung: Lk. 2, 15 - 20

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.

Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.

Liebe Gemeinde!

Können Sie sich vorstellen, dass der Engel damals nicht den Hirten auf dem Feld erschienen wäre - also ziemlich armen Schluckern, die nicht die eigenen Schafe hüteten, sondern die reicher Leute, die große Herden und viel Land besaßen - sondern stattdessen diesen Großgrundbesitzern in ihrer "Jahreshauptversammlung" und er hätte dort die selbe Botschaft ausgerichtet: "Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids." Und dann hätten sich auch noch die himmlischen Heerscharen vorne beim Rednerpult aufgebaut und hätten aus vollen Kehlen Gottes Lob gesungen: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens." Noch einmal die Frage: Können Sie sich das vorstellen?

Also ich kann es nicht und das gleich aus einigen Gründen: Einmal hätte Gott seinen Engel wohl kaum zu den wohlhabenden, angesehenen Menschen gesandt, denn er hat immer schon einen Hang zu den Armen und Schwachen. Dann hätten sich diese wohlhabenden Menschen auch nicht so sehr für diese Arme-Leute-Geburt in einem Stall interessiert. Es ging ihnen ja sehr gut und ihr Bedarf nach einem Heiland war gering. Schließlich hätte es für diese Reichen sicher auch keine "große Freude" bedeutet, wenn die frohe Botschaft des Engels "allem Volk widerfahren wird". Sie freuten sich zweifellos mehr an dem, was nur ihnen widerfuhr. Und das hätte mit der Vermehrung oder Sicherung ihres Vermögens zu tun haben müssen und nicht mit dem Christus, auf den sie eigentlich gar nicht warteten. Darum wäre ihnen auch der Auftritt der himmlischen Heerscharen mit ihrem Lobgesang eher unangebracht vorgekommen.

Noch weniger kann ich mir vorstellen, dass die Botschaft, die damals auf dem Hirtenfeld verkündigt wurde, heute besonders gut ankäme - etwa in der Aufsichtsratssitzung eines großen Wirtschaftsunternehmens, bei der Aktionärsversammlung der Dresdner Bank oder der Jubiläumsfeier "25 Jahre Wiedervereinigung" im Deutschen Bundestag. Da könnte sie noch so modern dargeboten und zeitgemäß formuliert sein. Allenfalls im Gottesdienst einer Kirchengemeinde wäre so etwas vorstellbar, aber da würden alle sicher denken, dass gleich ein Krippenspiel beginnt.

Liebe Gemeinde, ganz ausdrücklich: Es geht nicht um die Szene damals auf dem Hirtenfeld, nicht um den Verkündigungsengel oder die singenden Heerscharen aus dem Himmel. Es geht um die Worte, die damals gesprochen wurden, um die frohe Botschaft von der Geburt des Heilands für alle Welt. Ich glaube, diese Botschaft käme heute nicht in gleicher Weise an wie bei den Hirten. Und eben besonders nicht bei denen, die reich sind, satt sind und alles haben, was sie zum Leben brauchen - und was sie haben, ist ja viel mehr als das!

Sicher fragen Sie sich jetzt, ob das nicht eigentlich auch für Sie selbst zutrifft und für uns alle hier? Ich denke, da haben Sie recht! Damals wie heute spricht die Botschaft von der Geburt Jesu Christi mehr die Menschen an, die arm sind, wenig besitzen, vielleicht arbeitslos oder geringfügig beschäftigt sind, wenig verdienen oder nur eine kleine Rente haben. Aber am Geld, am Einkommen liegt dabei nicht alles. Die Hirten damals waren ja nicht nur arm an Besitz, sie waren auch arm an gesellschaftlicher Anerkennung. Sie waren verachtet, galten als Außenseiter und hatten oft auch körperliche und seelische Leiden.

Solche Menschen gibt es auch bei uns. Zahlreich! Auch sie verstehen heute die Botschaft von der Geburt des Gotteskindes besser als andere, die in unserer Gesellschaft oben sind und etwas gelten. Auch wenn diese wunderbare Botschaft ja damals wie heute schwer zu glauben ist. Das war damals ja wohl auch der Grund, warum sich die Hirten zum Stall von Bethlehem aufgemacht haben. Sie wollten mit eigenen Augen sehen, ob die Worte des Engels wirklich wahr wären und ob sie sich wirklich freuen konnten.

Liebe Gemeinde, wie können wir das denn nun glauben, dass der Heiland auch zu uns gekommen ist. Wie finden wir zur "großen Freude", von der uns der Engel spricht und nach der wir uns doch alle sehnen? Wären wir sonst hier, heute Morgen?

Es stimmt, dass wir uns, was die materielle Armut angeht, ganz sicher nicht mit den Hirten damals vergleichen können. Wir haben, wenigstens die meisten von uns, einen Verdienst oder ein Einkommen, von dem es sich recht gut leben lässt. Anders ist es mit dem, was uns im Innern quält. Viele Menschen erfahren nicht die Anerkennung, die sie sich wünschen und die sie und ihre Arbeit auch wert sind. Wenn sie dann wirklich einmal einer lobt und ein gutes Wort für sie hat, dann können sie es kaum glauben und zweifeln daran, dass es ehrlich gemeint ist. Andere haben immer wieder den Verdacht, ihre Mitmenschen schauten auf sie herab - und manchmal ist das wohl auch so. Über diesem Verdacht sind diese Menschen vielleicht schweigsam geworden und haben sich zurückgezogen. Und wenn man sich nur lang genug in sich selbst zurückzieht, verliert man die Verbindung zu den Mitmenschen und wird schnell zum Eigenbrödler. Wieder andere sind als Außenseiter abgestempelt und wenn man diesen Stempel erst aufgedrückt bekommen hat, fällt es schwer, ganz unbefangen so wie die anderen zu reden und zu handeln.

Viele Menschen sind - manchmal schon seit Jahren - beeinträchtigt von Krankheit und körperlicher Behinderung. Dann nehmen auch die Möglichkeiten am Leben in der Gemeinschaft mit anderen teilzunehmen stark ab und sind eingeschränkt. Das kann sehr weh tun und verursacht bei diesen Menschen viele einsame Stunden und das Gefühl, nicht dazu zu gehören.

Dann gibt es aber auch noch die Leiden der Seele: Vielleicht eine Schuld, die wir seit langer Zeit mit uns herumtragen, eine böse Erinnerung, die immer wieder über uns fällt, wie ein Schatten der Vergangenheit oder eine innere Verletzung, die uns einer zugefügt hat, die wir nicht loswerden. Manche Menschen können auch immer nur das Schlechte in allem sehen, haben übertriebene Angst vor der Zukunft, können nicht lachen und sich an nichts freuen.

Liebe Gemeinde, stellen wir uns doch einmal vor, der Verkündigungsengel käme jetzt in diesem Augenblick zu uns hier in die Kirche von ............... Und er sagte zu uns: "Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr." Und wir wissen, von wem der Engel spricht. Von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist, um alle Menschen von dem zu erlösen, was sie quält: Die sich nicht anerkannt fühlen, dürfen wissen: ER schätzt ihre Arbeit und sie selbst. Die immer meinen, anderen schauten auf sie herab, dürfen wissen: ER achtet sie und sie sind ihm wichtig. Die in die Außenseiter-Rolle gedrängt worden sind, dürfen wissen: ER kann die Kraft und den Mut schenken, in die Gemeinschaft der Mitmenschen zurückzukehren. Die an Krankheit oder körperlicher Behinderung leiden, dürfen wissen: ER hat sie nicht vergessen und der Tag, an dem alle Gebrechen von ihnen weichen, wird kommen. Die von Schuld beschwert, von bösen Erinnerungen bedrückt und verletzt sind an ihrer Seele, dürfen wissen: ER kann Schuld vergeben und er hilft uns abzulegen, was an Lasten auf unserer Schulter und unserer Seele liegt. Er lehrt uns auch das Gute sehen. ER nimmt unsere Ängste fort, er schenkt uns eine ewige, herrliche Zukunft; wir können wieder lachen und uns freuen.
Und wenn jetzt sogar noch die himmlischen Heerscharen mit dem Lobpreis Gottes beginnen würden: "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens." Dann könnten wir vielleicht einstimmen und ein wenig Freude würde in unser Herz einziehen. Anders als die Hirten, müssten wir uns nun nicht nach Bethlehem aufmachen, um zu sehen, ob die Verkündigung des Engels wahr ist. Wir nämlich kennen diesen Christus schon länger als die Hirten und wissen: Er kam als Heiland der Welt zu allen Menschen, um sie zu heilen, zu erlösen und froh zu machen - auch zu jeder und jedem von uns. AMEN