Predigt zum 16. Sonntag n. Trinitatis - 7.9.2008

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Textlesung: Hebr. 10, 35 - 36 (37 - 38) 39

Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Geduld aber habt ihr nötig, damit ihr den Willen Gottes tut und das Verheißene empfangt. [Denn »nur noch eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und wird nicht lange ausbleiben. Mein Gerechter aber wird aus Glauben leben. Wenn er aber zurückweicht, hat meine Seele kein Gefallen an ihm« (Habakuk 2,3-4).] Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten.

Liebe Gemeinde!

Ich denke, das geht ihnen wie mir. Der letzte Satz hallt in meinem Innern am stärksten nach: „Wir aber sind nicht von denen, die zurückweichen und verdammt werden, sondern von denen, die glauben und die Seele erretten." Gerade als evangelische Christinnen und Christen möchten wir uns ja immer wieder gern um solche Begriffe, wie „verdammt werden" herumdrücken. Und schon gar als gut evangelische PredigerInnen würden wir am liebsten einen großen Bogen um den Gedanken machen, dass es auch so etwas wie „Verdammung" gibt. Aber so steht es nunmal da und das heißt: Wir, die wir darauf hoffen, dass wir gerettet werden, müssen auch damit rechnen, dass es für manche Menschen - vielleicht gar für uns selbst - zuletzt anders ausgeht, als wir gehofft haben.

Aber wenn wir diese Sache eine Weile bedenken, dann wird es uns auch klar, dass wir ja doch so evangelisch gar nicht sind, nie waren und wohl auch nie sein werden! Unsere Sache mit Gott, unser Glaube hat doch immer auch diese ernste Seite, auf der auch Zittern und Zagen, Furcht und Sorge ihren Platz haben. Und wenn wir „evangelisch" nun noch ein bisschen weiterdenken, dann kommen wir sicher nicht dahin, dass unser Gott einer ist, der „Fünfe gerade sein lässt" und in dessen versöhnende Liebe am Ende alle Menschen - und noch die schlimmsten Gottesleugner - eingehen. Vielmehr folgen wir in unseren Überlegungen eher den Schritten, die auch unser Reformator gegangen ist, wenn er vom „Evangelium" spricht, also von der „Frohen Botschaft". Er hält daran fest, dass jeder Mensch Sünde hat und schuldig ist. Er hält auch die Notwendigkeit der Reue fest und verkündigt erst dem reuigen Menschen Gottes freimachende, vergebende Liebe. Die Vergebung - wie Luther sagt: die Rechtfertigung - die Gott uns Sündern in Jesus Christus schenkt, ist nämlich allein das Evangelium - und nicht die billige Gnade, die man an jeder Straßenecke haben kann und die einem geradezu nachgeworfen wird. Und es macht weiß Gott froh genug, wenn ich weiß, dass ich mit meiner Reue und dem Vorsatz umzukehren immer zu Gott kommen darf und er mich nicht abweist, wie er den Verlorenen Sohn nicht abgewiesen hat.

Aber gehen wir zum Anfang dieser Verse: „Darum werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat." Hier ist nun von „Belohnung" die Rede, ein anderes Reizwort für unsere evangelischen Ohren. Aber hier geht es nicht um einen Lohn, den wir durch unsere Leistung erworben hätten oder gar einen, den Gott uns ohne jedes Ansehen unseres Herzens hinwirft. Unsere Belohnung ist durch Jesus Christus mit seinem Leiden und Sterben am Kreuz verdient. Er wird unser Lohn, indem wir alle eigenen Verdienste fahren lassen und im Glauben nur noch auf unseren Herrn vertrauen. Be-lohnt wird also geradezu unser Verzicht auf jeglichen Anspruch auf Lohn.

Liebe Gemeinde, ich merke das selbst, das ist alles sehr vom Kopf her betrachtet und besprochen. Deshalb ist es auch so schwer zu begreifen. Das Leben hat ganz andere Möglichkeiten, uns die hinter diesen Gedanken stehende Wahrheit nahe zu bringen. Unsere eigene Erfahrung spricht eine viel deutlichere Sprache, aber auch die Erfahrungen anderer Menschen, über die sie uns erzählen und die wir ihnen sicher auch abnehmen können, wenn sie glaubwürdige Leute sind. Ich will dazu zwei kleine Geschichten erzählen - die erste spricht über Reue und Vergebung und deckt sich vielleicht mit ähnlichen Erfahrungen, von denen sie auch schon gehört haben:

Ein alter Mann hat in seinen mittleren Jahren wegen einer viel jüngeren Frau seine Ehefrau und die drei Kinder verlassen. In der ersten Zeit der neuen Beziehung kamen bei ihm keinerlei Schuldgefühle auf. Zu interessant und reizvoll war die neue Verbindung, die dann allerdings nach nur einem halben Jahrzehnt wieder zerbrach. Jetzt war alles ganz anders: Oft - besonders am Abend und in der Nacht - kamen nun die bedrängenden Gedanken an das, was er mutwillig zerstört und für immer verloren hatte. Die Beziehung zu seiner Frau, von der er inzwischen geschieden war, wieder aufzunehmen, kam ihm nicht in den Sinn. Die Scham war zu groß. Die Reue allerdings war noch größer! Sie trieb ihn immer wieder dazu, mit allen möglichen Menschen, mit denen er privat oder auch beruflich in Kontakt trat, über das zu sprechen, was er mit dem Ehebruch angerichtet hatte. Er sparte auch seine Schuld keineswegs aus. Im Gegenteil: Er betonte sie - manchmal so stark, dass die Menschen, denen er davon erzählte, vor seiner Offenheit zurückschreckten und seinen allzu deutlichen Schuldbekenntnissen zu entgehen versuchten.

Heute ist er nun über Achtzig. Die zwar immer wieder ausgesprochene aber unbereinigte und - wie er meint - unvergebene Schuld ist wie die dunkle Mitte seiner Gedanken und seines ganzen Lebens geworden. Er möchte zwar herauskommen aus seiner Schuld und der Bedrückung, die sie verursacht, er weiß aber nicht wie. Und eigentlich erwartet er bis ans Ende seiner Tage wohl auch gar keine Änderung seines seelischen Zustands mehr.

Liebe Gemeinde, eine sehr traurige Geschichte, die uns sicher nicht ungerührt lässt. Wie wäre dem Mann zu helfen? Wohl nur indem er von Gott (und den Menschen, wenn dies noch möglich ist) Vergebung erfährt. Vielleicht ist das Geschick dieses Mannes mit seiner Verstrickung in die Schuld ja ein - gewiss sehr drastischer, aber auch deutlicher - Beleg dafür, dass es ohne Reue keine Vergebung gibt und dass die beiden Dinge untrennbar zusammen gehören. Anders gesagt: Vergebung fordert immer zuvor unser reuiges Herz und die wunderbare, lösende Aussicht auf Verzeihen bringt die Reue auch wie von selbst hervor. Und wenn wir uns jetzt noch vorstellen, dass dem alten Mann doch noch Vergebung seiner Schuld zugesprochen und vermittelt werden kann, dann haben wir erst richtig begriffen, warum das „Evangelium" eben so heißt: „Frohe Botschaft".

Aber ich will noch von etwas anderem erzählen. Dabei geht es jetzt mehr um Lohn, um Leistung und Verdienst, die wir im Leben sammeln. Es ist eine Geschichte, die so tatsächlich passiert sein soll und die ich daher auch von Ausschmückungen oder Weglassungen ganz unverändert lasse:

Im Jahre 1916 starb im Schloss Schönbrunn in Wien Kaiser Franz-Joseph. Er wurde in der Kapuzinergruft beigesetzt. Ein Augenzeuge berichtet: Als sich der feierliche Zug mit dem Sarkophag des Monarchen der verschlossenen Gruft näherte, bat - einem alten Zeremoniell gemäß - der Hofmarschall um Einlass. Er stieß seinen Stab gegen das Tor und meldete: „Der Kaiser von Österreich, der König von Jerusalem." Das Tor blieb zu. Von drinnen antwortete der Vorsteher des Klosters: „Ich kenne ihn nicht." Ein zweites Mal klopfte der Hofmarschall an die Tür und rief: „Seine Apostolische Majestät, der König von Ungarn." Wiederum kam aus der Gruft die Antwort des Mönches: „Ich kenne ihn nicht." Ein drittes Mal pochte der Marschall und meldete: „Ein sündiger Mensch, unser Bruder Franz-Joseph." Da tat sich das Tor auf. (Verfasser unbekannt)

Ich denke mir, das ist wie ein Gleichnis: Der Vorsteher des Klosters könnte gut für Gott stehen, wie zum Beispiel der Vater im schon erwähnten Gleichnis vom Verlorenen Sohn. Wenn es um die „große Belohnung" geht, von der wir im Hebräerbrief lesen, also unseren Eingang ins ewige Leben, dann gelten keine irdischen Verdienste. Ob wir nun Kaiser oder Könige wären, ob wir uns durch rechtschaffene, gottesfürchtige Jahre und vielerlei gute Taten ausgezeichnet haben, ob wir anderen viel Liebe und Hilfe geschenkt und unser Hab und Gut mit den Armen geteilt haben - es fragt keiner danach! Was allein zählt wird daran deutlich, was der Marschall beim dritten Klopfen sagt: „Ein sündiger Mensch, unser Bruder Franz-Joseph." Wir alle sind am Tor der Ewigkeit sündige Menschen und treten dort ein, wenn wir uns auf Jesus Christus verlassen haben und auf sein Verdienst, mit dem er uns - durch den Glauben - zu Menschen macht, die Gott gefallen.

Erst als der Marschall alle Titel, alles, was Franz-Josef an weltlichen Verdiensten in seinem Leben gesammelt hat, fallen lässt, tut sich das Tor auf.

Erst wenn wir unser Vertrauen nicht mehr auf unsere Mühe, unsere Werke der Liebe, unsere guten Taten und unsere Dienste und Verdienste setzen, wird uns der Lohn zuteil, den Gott uns geben will. Und er ist eben - das mag sich seltsam und paradox anhören - dann kein Lohn mehr, sondern ein reines Geschenk der Liebe Gottes, wie sie in Jesus Christus Fleisch geworden ist. AMEN