Predigt zum Sonntag "Estomihi" - 3.2.2008

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Textlesung: Jes. 58, 1 - 9

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden! Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, dass Gott sich nahe. "Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?" - Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat? Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest.

Liebe Gemeinde!

Ich muss das einfach einmal sagen: Ich staune oft - und so auch nach dem Hören dieser Worte - wie christlich, ja, wie evangelisch doch das Alte Testament an vielen Stellen ist! Dabei weiß ich, dass viele Theologen jetzt die Nase rümpfen würden, wenn sie das hören. Das Alte Testament muss aus sich selbst heraus verstanden werden, würden sie sagen. Da äußert sich zuerst jüdisches Denken, jüdisches religiöses und theologisches Verständnis! Wir dürfen nichts hineintragen, was aus dem Neuen Testament stammt. Wir würden es damit verfälschen und ihm seine ganz eigene Aussage nehmen. Und selbst die Verheißungen und Prophezeiungen, die wir oft genug als Hinweise auf Jesus Christus verstehen, sind nicht auf ihn, sondern auf das Volk Israel hin zu deuten. Wie gesagt: Ich weiß das und will alttestamentliche Texte auch nicht überfrachten und der Verkündigung des Neuen Testaments dienstbar machen. - Und trotzdem: Was Jesaja hier predigt, hätten, nein, haben wir auch aus dem Munde Jesu hören können! Vielleicht in anderen Worten, doch in der selben Schärfe und Richtung. Aber jetzt will ich auch endlich sagen, was ich meine:

Es ist die Gerechtigkeit, die Israel übt, von der das Fasten nur ein Teil ist. So hatten sie es schon vor der Verbannung und in der babylonischen Gefangenschaft gehalten. Und so hielten sie es auch jetzt noch, da sie heimgekehrt waren in ihr Land und aus dem geschundenen Judäa ihre Heimat und aus den Trümmern ihre Häuser und den Tempel wieder aufgebaut haben. Diese Gerechtigkeit suchte Wohlstand durch Opfer zu erreichen, Wohlergehen durch Fasten, Vergebung durch religiöse Bemühungen. Gott aber lässt den Propheten ausrichten: Ihr sucht mich täglich und begehrt, meine Wege zu wissen, als wäret ihr ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Ihr fordert von mir Recht, ihr begehrt, dass Gott sich euch naht. Die harte Auskunft Jesajas aber ist die: So ist es nicht! Das ist nicht die Gerechtigkeit Gottes! Er belohnt nicht eure Mühen! Er gibt euch nicht seine Güte, wenn ihr nur genug fastet und euch tief vor ihm niederwerft. Darum ist es umsonst, wenn ihr klagt: "Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?"

Gott lässt seinem Volk ausrichten: All eure religiösen Übungen sind sinnlos. Sie erreichen gar nichts bei mir. Ich will eine andere Gerechtigkeit, ein anderes Fasten als dies: "Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter. Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll. Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?

Liebe Gemeinde, ich denke, wir ahnen schon, wie eine Gerechtigkeit aussehen müsste, die Gott gefällt. Es geht dabei nicht so sehr um unsere Beziehung zu ihm, sondern zu den anderen Menschen - hier den "bedrückten Arbeitern" und anderen, mit denen wir "zanken, hadern" und die wir gar "schlagen". Vielleicht können wir es so sagen: Wenn schon fasten, dann mit dem Vorsatz, dem Mitmenschen zu dienen und auf eine Weise, die ihm zugute kommt. Wenn schon Opfer, dann so, dass der Nächste etwas davon hat. Und wenn schon Selbstkasteiung und Lasten, die wir uns auferlegen, dann solche, die den anderen Menschen dienen. Es ist eine falsche Sicht, Gott wolle irgend etwas für sich. Er braucht nichts. Er hat die Welt gemacht und uns Menschen auch. Was sollten wir ihm schenken können?

Aber - und da kommen wir jetzt zu uns - die alte Sicht von Gerechtigkeit ist bis heute nicht überwunden! Immer noch glauben wir, Gott warte auf unser Opfer. Immer noch fasten wir in der Meinung, er verlange das von uns. Und immer noch und immer wieder suchen wir nach der Last, die wir uns auf den Rücken legen, um Schuld abzutragen oder uns der Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu empfehlen. Und bei allem ist weniger der Mitmensch im Blick als vielmehr Gott und wie unser Tun und Lassen auf ihn wirkt. - Beispiele?

Wie viele Menschen denken, es müsse doch auch auf Gott einen guten Eindruck machen, wenn sie für diese oder jene caritative Einrichtung spenden oder ihre Freizeit für ehrenamtliche Arbeit beim Roten Kreuz opfern oder im Besuchsdienst ihrer Kirchengemeinde.

Und wie viele sind es, die in der bald beginnenden Fastenzeit wieder auf Süßes, Fernsehkonsum oder andere lieb gewordene Gewohnheiten verzichten wollen, auch weil sie meinen, Gott hätte Gefallen daran und es müsse ihre Beziehung zu ihm doch gewiss verbessern!

Schließlich sind es auch nicht wenige, die sich rings ums Jahr immer wieder gerade dort einsetzen, wo sonst so schnell keiner arbeiten und helfen will. Und das kommt auch von dem Gedanken her, Gott damit gnädig stimmen zu wollen.

Ich denke mir, dass viele von ihnen jetzt doch erschrocken sind über solche Worte! Was ist denn schlecht dabei, wenn Menschen sich im Besuchsdienst oder beim Roten Kreuz einbringen? Und kann denn Fasten und Verzicht falsch sein? Und wer soll es denn machen, wenn es nicht auch Leute gibt, die sich für ganz schwierige und unangenehme Dienste hergeben?

Liebe Gemeinde, gar nichts ist schlecht an diesen Dingen und gewiss sind sie wichtig! Aber sie haben keinen Platz in unserem Verhältnis zu Gott! Unter seinem weiten Mantel der Gerechtigkeit ist kein Raum für das Denken, er verlange irgend etwas von uns und gebe uns dafür dann den angemessenen Lohn! Ein für alle Mal, so ist Gott nicht! Das ist nicht seine Gerechtigkeit. Und hier ist eben die alttestamentliche Verkündigung des Jesaja schon so christlich, so evangelisch. Hören wir doch nur: "Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast, lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!" Kein einziges Wort über unser Verhältnis zu Gott. Kein einziger Gedanke an die Beziehung zu ihm und wie sie davon beeinflusst wird - ob wir fasten, opfern oder uns Lasten auflegen. Es geht nur - ausschließlich nur! - darum, dass wir den anderen Menschen helfen, nahe sind, zur Schwester und zum Bruder werden, sie befreien, sie speisen, kleiden und beherbergen. Das und nichts anderes möchte Gott von uns haben - heute und eben auch schon damals!

Und dann kommt eben das Erstaunliche, Wunderbare und hoffentlich Unerwartete: Es geschieht, was Menschen sich für sich selbst wünschen! Ungesucht (!) wird auch der gewünschte Wohlstand eintreten, das Gefühl der Nähe Gottes, die Freude an seiner Gnade, das Wissen, dass er gütig ist und es gut mit mir meint. Dann bekommt auch Gerechtigkeit einen ganz neuen Sinn: An die Stelle von zweckhaftem Opfern und Fasten, einer Kasteiung, die nur an sich selbst denkt, treten Taten der Liebe zu den Not leidenden Nächsten. Die Gerechtigkeit bekommt den neuen Sinn von Heil und Wohlergehen, so wie Jesaja es hier wunderschön beschreibt: "Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich."

Liebe Gemeinde, in drei Tagen ist Aschermittwoch, die Fastenzeit beginnt. Was immer sie sich in diesen sieben Wochen auf Ostern hin auferlegen, wie immer sie dieser Zeit ein besonderes Gepräge geben wollen, behalten sie ihre Mitmenschen im Auge und schauen und hören sie, wie es ihnen geht, was sie nötig haben und was sie ihnen vielleicht geben können, um ihrem Mangel und ihrer Not abzuhelfen. So entsteht Gerechtigkeit - auch für uns. AMEN