Predigt zum 5. So. nach Trinitatis - 8.7.2007

Textlesung: Lk. 14, 25 - 33

Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen: Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein. Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten, und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen? Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend? Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist, und bittet um Frieden. So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Liebe Gemeinde!

Schon beim ersten Satz, den Jesus hier sagt, bleibt man doch hängen: "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein." Ungeheuerlich! Wer wird denn solchen Hass empfinden - und hier wird er uns sogar empfohlen, denn: "sonst können wir nicht Jesu Nachfolger sein!"

Und immer wieder bei solchen ungeheuerlichen Worten, wie sie ja zahlreich in den Evangelien überliefert sind, lesen wir dann halbherzig und irgendwie befangen weiter und versuchen, Jesus zu verstehen und die harten Worte in unser Bild von ihm einzupassen. Aber das fällt uns nicht leicht. Und an solchen Stellen glaube ich, dass wir es heute tatsächlich schwerer haben als die Jünger und die anderen Menschen damals, Jesus zu begreifen, denn hier haben sie uns wirklich einmal etwas voraus. - Was das ist?

Wie heißt es hier: Eine große Menge ging mit ihm ... Sie haben sich schon aus den umliegenden Dörfern und Städten aufgemacht, Jesus zu sehen und zu hören. Vielleicht hat jemand erzählt, dass er Kranke gesund, Stumme redend und Blinde sehend gemacht hat. Oder sie sind zu ihm gekommen, weil sie wissen: Er liebt die Armen, die Schwachen und die Außenseiter und er kann ihnen helfen. Oder die Menschen tragen schwer an ihrer Schuld und sie möchten gern Gottes Vergebung empfangen. Die meisten jedenfalls haben gewiss ein ganz wichtiges Anliegen, eine drückende Last, eine ungestillte Sehnsucht, eine große Hoffnung ...

Dagegen werden es nur ganz wenige gewesen sein, die so zu ihm gegangen sind, wie wir heute Morgen hier in unsere Kirche: Weil es zu unseren festen Gewohnheiten zählt, in den Gottesdienst zu gehen. Weil wir hier ein gutes Wort erwarten, das uns erfreut und erbaut, unseren Glauben stärkt oder einen Denkanstoß gibt. - Dass sie mich jetzt nicht falsch verstehen: Ich will das kein bisschen schmälern! Was ich meine, ist aber dies: Wir hier und heute sind wohl nicht in dieser großen seelischen oder körperlichen Not, wie die Menschen damals, die in Jesu Worten und Taten ihre einzige, vielleicht letzte Möglichkeit gesehen haben, noch ein Stück lebenswertes Leben zu finden und nicht in Existenzangst, Sorge und Kummer zu versinken. Wenn solche Menschen hören: Selbst wenn der Preis dafür, mein Jünger zu sein, der Hass auf die Familie und auf euch selbst ist, dann ist dieser Preis nicht zu hoch - dann werden sie diesen Preis gern gezahlt haben. Und wenn Jesus so zu ihnen spricht: Ihr müsst euch von allem lossagen, was euch in der Welt bindet, dann erst könnt ihr ganz zu mir gehören - dann werden sie zumindest ernsthaft überlegt haben, ob er und das, was er ihnen geben kann, dieses Opfer nicht wert ist.

Wenn wir also Jesu harte Worte verstehen wollen, dann müssten wir erst in die selbe Lage kommen oder uns in die Lage hineinversetzen, in der die Menschen damals waren. Aber wie soll das gehen?

In Not zu geraten, großes Leid, schlimme Krankheit und Behinderung zu tragen wie die Menschen, die damals zu Jesus gekommen sind, wird uns - so Gott will - hoffentlich nicht widerfahren. Aber wenigstens in unseren Gedanken können wir uns in solch ein schweres Schicksal hineindenken. Wir müssen das auch, denn anders bleiben wir Jesus und seinem Wort fern, es wird uns nicht erreichen. Versuchen wir es also:

Ziehen wir einmal einiges, was unser Leben ausmacht, von uns ab. Fangen wir mit unserer Gesundheit an. Es ist ja für uns nicht gar so schwer, uns einmal hineinzudenken in das Los eines Menschen, der keinen Arzt hat, weil er ihn sich einfach nicht leisten kann. Jede Erkältung könnte sich dann leicht zu einer schlimmen Bronchitis oder Lungenentzündung auswachsen. Eine Wunde, irgendeine innere Verletzung könnte eine lebenslange Behinderung auslösen, mit täglichen Schmerzen und Arbeitsunfähigkeit - und wir würden doch arbeiten müssen, denn wir hätten keine Versicherung und wahrscheinlich auch keinen Verwandten, der uns mit durchschleppen würde. Oder wir müssten betteln gehen; was wohl überhaupt das einzige wäre, was uns bliebe.

Wenn uns das Schicksal bestimmt hätte, blind geboren worden zu sein, dann hätten wir in jedem Fall keine andere Möglichkeit, als uns an den Tempel oder sonst einen belebten Ort zu setzen und die Hände aufzuhalten. Wenn wir "nur" lahm und stark gehbehindert wären, hätten wir vielleicht noch eine Anstellung als Hirt für das Vieh reicher Leute bekommen. Auch taub zu sein, hätte uns allenfalls noch eine ähnlich niedrige Tätigkeit ermöglicht. Aber denken wir diese unangenehmen Gedanken noch ein wenig weiter: Wie oft hören wir, dass sie einen Besessenen zu Jesus brachten, einen geistig oder seelisch Behinderten also. Deren Los war ganz schlimm! Ach, da gibt es ja noch den Aussatz! Auch davon hören wir im Evangelium oft. Damit geschlagene Menschen wurden auch noch in Ghettos abgeschoben. Sie durften bei Strafe nicht mehr in die Nähe menschlicher Siedlungen kommen. Und nicht nur krank und behindert, auch damals arm zu sein, war ein Geschick, dem man ein Leben lang nicht entkommen konnten.

Aber wir müssen das nicht weiter vertiefen. Ich glaube, es ist klar geworden, was das damals wohl für eine "Menge" war, die mit Jesus ging und wie sehr sie sich doch von Leuten, wie wir sie sind, unterschieden haben. An ihnen gemessen, sind wir rein äußerlich geurteilt, Könige und Glückskinder. Und wir können das jetzt besser nachempfinden, wie gern so belastete Menschen ihre Beschwerden, Krankheiten und Gebrechen los geworden wären: Nein, Vater, Mutter und den ganzen Rest der Familie zu hassen, war dafür nicht zu viel des Einsatzes. Und sehr gern haben sie ihr Kreuz, das sie ja anders nicht von der Schulter werfen konnten, aufgenommen und getragen, wenn dieser Jesus ihnen nur die Hoffnung geschenkt hat, dass sie es einmal ablegen können - und wenn es in der Ewigkeit wäre.

Liebe Gemeinde, so ist unsere Lage, unser Leben nicht. Und ich sage es noch einmal: Gott sei Dank! - Aber vielleicht ist jetzt auch etwas anderes deutlich geworden: Die äußerlichen Dinge, die unser Leben bestimmen und ausmachen, dass wir eben einen Arzt haben, eine Versicherung, eine Zukunftsaussicht auch im Alter und dass wir nicht arm sind und wenn wir es sind, nicht bleiben müssen ... Alles das verdrängt in unserem Kopf und in unserem Herzen oft viel zu sehr das Gefühl und das Wissen, dass wir doch geistlich, in unserer Seele, in unserem Glauben und unserer Hoffnung sehr arm und sehr angefochten sind und gar nicht so stark und sicher, wie wir doch nach außen scheinen. Wenn wir einmal alles, was unser äußeres Leben ausmacht, ausziehen wie ein Kleid, dann bleibt auch von uns nicht viel mehr übrig als kleine, schwache Menschen, die belastet und beladen sind, die nach dem Sinn ihrer Tage suchen und ihn oft nicht mehr finden, die an ihrer Schuld tragen, die sie im Laufe der Jahre aufgehäuft haben und die in Angst vor dem Alter und dem Tod fast vergehen.

Und wenn wir nun auch so weit sind, dass wir uns einmal so sehen, so nackt und all unserer weltlichen Sicherheiten und Habe entkleidet, dann, ja dann hört sich das auch für uns anders an und es fällt uns durchaus nicht mehr so schwer, auf den, der das sagt, zu hören und ihm zu folgen: "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein." Auf einmal nämlich spüren wir die Bedeutung dessen, was hier auf dem Spiel steht. Und wir fühlen, wie groß das ist, seine Jüngerin, sein Jünger zu sein. Und wir begreifen, was das heißt, sein Kreuz zu tragen, ein Kreuz also, dass er schon überwunden und zum Sieg über Tod und Teufel verwandelt hat. Schließlich verstehen wir auch dieses fremde Wort jetzt sicher besser: So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.

Und vielleicht können wir das in unseren Gedanken in die nächste Zeit mitnehmen, was uns heute klar geworden ist: Bei diesem Herrn Jesus Christus zu sein und zu bleiben, in seiner Nähe und unter seinem Wort und Willen unseren Weg zu gehen, ist jeden Preis der Äußerlichkeiten unseres Lebens wert. Er ist allein unsere Hoffnung. Bei ihm allein finden wir den Sinn unserer Tage. Er allein gibt uns Zukunft - über den Tod hinaus. AMEN