Predigt zum Sonntag "Trinitatis" - 3.6.2007

Liebe Gemeinde!

Wenn ich jetzt gleich den Predigttext für heute lese, könnten wir denken, der Gottesdienst wäre schon zu Ende! Aber so ist es nicht. Wir werden vielmehr, was ich gleich vorlese, am Schluss des Gottesdienstes noch einmal hören, dann aber nicht vorgetragen, sondern zugesprochen. Hier ist der kurze Text aus dem 4. Buch Mose, Kapitel 6, die Verse 22 bis 27:

Textlesung: 4. Mos. 6, 22 - 27

Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.

Ich glaube, liebe Gemeinde, das ist einer der liturgischen Texte, die wir am besten kennen. Wie viele Male schon werden wir ihn gehört haben? Und wie vertraut ist er uns doch - vielleicht schon aus Kindertagen. Denn obwohl Kinder diese Segensworte nicht gleich und nicht in ihrer Tiefe verstehen, sie sprechen doch zu ihnen und sie spüren, das sind nicht nur Worte ... Ich weiß noch, dass mich dieser Segen schon ganz früh in meinem Leben in meinem Innersten erreicht hat. Und es war sicher nicht der Sinn und der Inhalt, es war etwas anderes, es war etwas Geheimnisvolles, Wunderbares ... Und das ist bei mir bis heute so geblieben und ich weiß, dass viele Mitchristen und -christinnen das ebenso empfinden. Vielleicht kann man es so sagen: Es geschieht beim Segen auch etwas ... mit uns. Vielleicht wird die Angst, die wir in den Gottesdienst mitgebracht haben, ein bisschen kleiner. Oder es stellt sich ein Gefühl von Geborgenheit ein. Vielleicht bekommen wir auch Mut, endlich das zu tun, was wir uns schon so lange vorgenommen haben. Oder wir merken, wie sich in unserem Herzen eine Freude ausbreitet, die wir uns gar nicht recht erklären können.

Nun werden wir heute, wenn wir diesen "Aaronitischen Segen", wie wir ihn nennen, bedenken, gewiss nicht das ganze Geheimnis dieser Worte lüften. Wir werden auch nicht seinem Wunder auf die Spur kommen. Und das ist sicher gut so. Denn wir brauchen im Gottesdienst und in unserem Leben auch etwas, was geheimnisvoll und wunderbar ist - und bleibt! Arme Menschen, die alles enträtseln und sich erklären können - zumal sie dabei mit Sicherheit irren!

Aber wir wollen noch ein paar wichtige Gedanken rund um den Segen betrachten, die ihn uns nicht kleiner, sondern eher noch größer und bedeutsamer machen können:

"Und der HERR redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet ..." Es ist Gott selbst, der hinter jedem rechten Segen steht. Er gibt den Auftrag jedem, der die Segensworte in den Mund nimmt, sie anderen Menschen zuzusprechen. Der Mensch, der segnet, ist nur Vermittler; durch ihn geht der Segen sozusagen nur hindurch. Er kann ihm nichts hinzufügen und nichts abziehen. Er spricht nur stellvertretend die Worte, die anderen Heil verheißen und Gottes Begleitung und Beistand versprechen.

Wie hat neulich das Gemeindeglied am Ausgang des Gottesdienstes gemeint: "Das Lied, das wir gesungen haben, nachdem sie uns heute gesegnet hatten, war wunderschön." Ja, das Lied war schön, aber kein Mensch hat einen anderen zuvor gesegnet! Kein Mensch nämlich kann segnen! Das kann Gott allein. Darum sagen die Pfarrer, die Lektoren und Prädikanten, die Gottesdienste halten, auch nicht am Ende: Ich will euch noch segnen. Sondern sie drücken das schon in ihrer Aufforderung aus, wie es sich damit verhält: Lasst uns Gott um seinen Segen bitten! Das ist auch der Grund, warum wir an dieser Stelle des Gottesdienstes aufstehen: Jetzt nämlich spricht und handelt Gott!

Vor diesem Hintergrund erklärt es sich auch, dass es uns evangelischen Christen immer ein wenig seltsam anmutet, wenn es heißt, der Segen eines bestimmten Menschen - und mag er noch so fromm und tadellos sein - wäre bei anderen besonders begehrt oder gar wirksam! Auch der Segen, den der Papst, ein berühmter Prediger oder ein Kirchenpräsident spricht, ist nicht mehr oder besser als die Segensbitte des Lektors, mit dem er seine Andacht oder die Sonntagsfeier beschließt. Gott segnet. Wir sind nur beauftragt, seinen Segen den Menschen zuzusprechen.

"Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne." Dreimal wird dieser Name über uns ausgerufen und auf uns gelegt: Der Herr segne dich ... Der Herr lasse sein Angesicht leuchten ... Der Herr gebe dir Frieden ... Mose und Aaron und die jüdischen Priester seit dieser Zeit haben hier statt "Herr" den Gottesnamen "Jahwe" eingesetzt. Dabei ist es gewiss noch deutlicher als heute geworden, dass im Segen wirklich Gottes Name auf uns gelegt wird und dann auf uns liegt, wie die Strahlen der Sonne oder der Glanz innerer Freude auf unserem Gesicht. Das ist, nachdem wir den Segen gehört haben, so, als würde Gott selbst uns begleiten - und das tut er ja auch: Er geht mit uns nach der Kirche nach Hause. Er wohnt bei uns und hilft uns mit guten Gedanken im Alltag, bei der Arbeit und in der freien Zeit. Er beschützt uns vor Gefahr und führt uns durch schwere Stunden hindurch. Wir wissen es doch: Der Name enthält viel von dem, den er bezeichnet - und da müssen wir gar nicht nur an Karl "den Großen" oder Philipp "den Schönen" denken. Wenn einer mich beim Namen ruft, dann kennt er mich und verbindet mit dem Namen einiges, was ich für ihn bin. Und wenn ich jemand anderen beim Namen nenne, dann zeige ich, dass ich eine Beziehung zu ihm habe, etwas von ihm weiß - auch was er mir bedeutet. wofür ich ihm Ehrerbietung entgegenbringe, wie mächtig er ist und was er kann. Im Segnen mit dem Namen Gottes, der über uns gesprochen wird, geht ein Stück der Kraft, der Liebe, der Güte und des guten Willens Gottes über uns auf uns über und mit uns.

Und doch gibt es hier eine Bedingung, die alles entscheidet, nicht zuletzt dies: ob wir als Gesegnete nach Hause gehen oder ohne Segen bleiben - da mag der Pfarrer oder die Lektorin die Segensworte noch so schön vorgetragen haben: Wir müssen nämlich dem Segen das, was er uns schenken kann und schenken will, auch zutrauen!

Neulich gab ein Arzt seinem kritischen Patienten winzige Arznei-Kügelchen. Dieser blickte die stecknadelkopfgroßen Kügelchen geringschätzig an und hielt auch mit seiner Meinung dazu nicht hinterm Berg: "Daran kann ich aber nicht glauben, dass die wirken!" Der Arzt entgegnete daraufhin: "Die wirken auch, wenn sie nicht daran glauben!"

Liebe Gemeinde, über die Wirksamkeit der Kügelchen möchte ich mir kein Urteil erlauben, aber ich weiß doch, dass es beim Segen anders ist: Der wirkt nur, wenn wir an ihn glauben, wenn wir wirklich überzeugt sind von seiner Kraft! Und das hat der Segen mit einigen anderen - sozusagen religiösen - Dingen gemeinsam: Wenn ich dem Menschen, der mir seine Liebe erklärt, nicht glaube, dass er mich wirklich liebt, dann wird mich seine Liebe nicht glücklich und froh machen, nicht verwandeln und verzaubern und schon gar nicht anstecken können, dass ich ihn wiederliebe. Ein Glaube an Gott, den ich nur auf den Lippen habe, wird mein Herz nicht verändern, mich nicht getrost und frei machen, wenn ich an die Zukunft denke oder an ein bestimmtes Ereignis, vor dem ich mich fürchte. Schließlich ist auch das Vertrauen zu den Menschen so eine Sache, die für echt und wahr genommen werden muss, wenn sie das Leben zum Guten beeinflussen soll - uns zwar auf beiden Seiten: Wenn ich spüre, mein Mitmensch vertraut mir nicht, dann irritiert mich das und ich kann nicht so handeln, wie ich es eigentlich möchte. Und umgekehrt: Wenn ich dem anderen kein Vertrauen entgegenbringe, wird er befangen sein und sein Tun und unsere Beziehung zueinander werden das widerspiegeln.

Und da sind wir zurück beim Segen: Wenn ich ihm nichts zutraue, dann wird er für mich keine Kraft haben, nichts verändern und nichts bewirken. - Vielleicht denken wir ja jetzt: Wenn wir das nunmal nicht aufbringen können, dieses Zutrauen? Und wirklich: Auch das ist eben wie bei der Liebe, beim Glauben und beim Vertrauen - wir können es nicht machen, ob wir die Liebe für wahr halten, den Glauben ehrlich empfinden, dass ehrliches Vertrauen in unserem Herzen entsteht.

Vielleicht gibt es darum beim Segen (und bei den anderen "religiösen Dingen" ja auch) diese Hilfe, die darin liegt, dass sich ein Geheimnis, etwas Wunderbares und Unerklärliches mit ihm verbindet. Und das ist es doch, was Kinder spüren, wenn die Segensworte gesprochen werden, und was wir, wenn wir groß sind, Gott sei Dank oft hinüberretten können ins Erwachsenenleben: Der Segen ist mehr als Worte - es geschieht etwas ... an uns, mit uns. Wir hören: Der Herr segne dich ... und wir empfinden, Gott selbst rührt uns an und spricht zu uns. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten ... wie die Sonne die Erde bescheint, wärmt und alles wachsen und blühen lässt, so wird es auch der Glanz, der von Gott ausgeht, in meinem Leben tun. Der Herr gebe dir Frieden ... ich gehe mit Gott von hier fort in einen Tag und eine Zukunft, die von ihm beschützt und begleitet sind. Ich kann ganz getrost sein, muss mich nicht ängsten und alles, alles was geschieht, wird mir in einem letzten Sinn dienen müssen. - Liebe Gemeinde, was wir jetzt nur gehört und bedacht haben, wollen wir uns nachher am Ende des Gottesdienstes von Gott selbst zusprechen lassen. AMEN