Liebe Gemeinde!
Seltsam
Warum also drängen sich die Leute immer wieder in überfüllten Christvespern, warum nicht heute, in diesem Karfreitagsgottesdienst? Kerzenschimmer, Krippenspiel und "O du fröhliche", das gefällt besser als die Dornenkrone, die Leidensstraße und das Dröhnen der Hammerschläge, wenn sie seine Hände und Füße ans Kreuz heften. Und ich verstehe das! Der Heilige Abend weckt bei uns Freude und gute Gefühle. Der Karfreitag aber steht für Trauer, Leid, Schmerz und Tod. - Wer hat es damit gern zu tun?
Deshalb danke ich ihnen, liebe ZuhörerInnen, dass sie heute gekommen sind, dass sie sich dem aussetzen wollen, dass sie sich nicht scheuen, unseren Herrn auf seinem Gang zum Kreuz zu begleiten - wenigstens in Gedanken. Ich weiß, auch ihnen ist das heute nicht leicht gefallen, zur Kirche zu gehen. Weihnachten oder Ostern zieht's uns irgendwie mehr ins Gotteshaus. Aber jetzt sind sie da, haben innere Abwehr und Unbehagen überwunden und sind dem Gefühl gefolgt, dass eine Christin, ein Christ am Todestag ihres Herrn unter die Botschaft vom Kreuz gehört. Und hier ist diese Botschaft - in ganzer Härte:
Textlesung: Mt. 27, 33 - 50
Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha,
das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und
als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten,
verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und
bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der
Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Und da wurden zwei Räuber
mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber
vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den
Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du
Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die
Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er
geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so
steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott
vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt:
Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm
gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das
ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut:
Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich
verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der
ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte
ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern
aber sprachen: Halt, laß sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie
abermals laut und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriß in zwei
Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen
zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen
Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und
kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die
mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie
sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! W
Kreuz, Schmerz, Blut, Geschrei und Tod ... das sind
diese dunklen Dinge, derentwegen
so vielen Christen unbehaglich ist am
Karfreitag in der Kirche oder auch schon in ihren
Gedanken an den Sinn dieses Tages, wenn sie sich
solche Gedanken überhaupt noch machen. Und natürlich denken wir auch an
unsere Schuld, denn für die ist dieser Christus ja den Leidensweg gegangen. Und
wer möchte zugeben, dass er schuldig ist?
Da fragen wir jetzt: Wer ist denn dann überhaupt
noch recht vor Gott? Wer ist denn nicht vor ihm mit Sünde beladen und der Strafe
würdig? - Darum eben geht es an diesem Tag, dass wir erkennen: Keine und keiner
von uns steht sündlos da. Niemand wird dem Maßstab
gerecht, den Gott an seine Kinder anlegt. Und es gibt auch keinen Unterschied in
der Schwere der Schuld: Schon einen Mitmenschen töricht oder dumm geheißen,
erwirbt uns Gottes Verdammung - sagt Jesus. Und wer dürfte von sich sagen:
"So etwas ist mir noch nie über die Lippen gekommen?"
Ich bin fest überzeugt davon, die meisten Menschen
wissen oder ahnen doch wenigstens, dass sie
vor Gott schuldig sind. Ich denke sogar, auch die Menschen,
die vorgeben, gar nicht an Gott zu glauben, fühlen ihre Schuld.
- Wie gehen die Menschen damit um?
Hier
sind ein paar Beispiele, wie viele
Zeitgenossen versuchen, mit ihrer
Schuld fertig zu
werden. Hören wir gut hin, vielleicht kommen du
und ich
und die Art, wie wir unsere Sünde
bewältigen wollen, auch darin vor:
Da ist Herr K.,
ein erfolgreicher Mann, er hat es
zu etwas gebracht. Über
Fragen wie die
nach der Schuld wird er es ablehnen,
überhaupt nachzudenken. Das Leben meistert nur
einer, dem solche "frommen Flausen" fremd sind.
Persönlicher Einsatz, Leistung, das sind die
Werte, die zählen. Die
Möglichkeiten zu etwas
zu kommen, mögen in
dieser Welt ungleich verteilt
sein, räumt Herr K. ein, aber das ist für ihn keinesfalls ein hinreichender
Grund für das Christentum, "solchen süßlichen Quatsch
wie die Nächstenliebe" zu verkündigen. K. jedenfalls
liebt zunächst einmal sich selbst. Wer es anders
hält, ist selber schuld, wenn
er seine Lebenschancen verpasst.
Seit einiger Zeit quälen Herrn K. allerdings schwere
Träume und nächtliche Schweißausbrüche mit
Atembeklemmung. Herr K. schreibt das seiner
ständigen Überarbeitung
zu. Er wird bald einmal Urlaub machen.
Da ist Frau M.,
das ganze
Gegenteil von K. Dass ihre Ehe vor 12 Jahren
kaputtgegangen ist, hat sie sich nie verziehen.
Gewiss: Der Mann hatte auch sein gerüttelt Maß Schuld daran - aber hätten sie
nicht einen Weg finden müssen, zusammen zu bleiben,
schon der Kinder wegen? Frau M. weiß, dass sie
damals versagt hat. Sie ist schuldig geworden
vor Gott und sie trägt daran noch heute und sie wird immer daran tragen müssen,
ein Leben lang ... Deshalb, so glaubt sie, geht ihr
seitdem ja auch alles schief!
Ein Schicksalsschlag
nach dem anderen trifft sie, die Beziehungen zu anderen
Menschen zerbrechen eine um die andere und aus den Kindern - sie wurden damals
ihr zugesprochen - scheint auch nichts Rechtes zu werden.
Nun ja, Frau M.
weiß ja, warum ihr das alles geschieht: Gott straft sie, er sucht sie heim, sie
ist schuldig geworden, damals vor 12 Jahren.
Und da ist Herr G. Er ist schon uralt. Wenn man
mit ihm ins Gespräch kommt, spricht er sehr bald über den Krieg, sein
Lieblingsthema! Oder sagen wir besser: Wie ein
Zwang ist das bei ihm: Er muss davon reden! Von
gesprengten Brücken erzählt er und
wie viele "feindliche" Soldaten mit in die Tiefe stürzten, vom Kampf Mann
gegen Mann an der Ostfront, wo es immer geheißen
hat: "Er oder ich" und wo er, "Gott sei Dank", immer wieder lebend davonkam ...
Seltsam oft gebraucht Herr G. die Worte:
"Wir hatten ja Befehl" und
"was hätten wir anderes tun können" und besonders oft sagt er: "Das war ja
nicht unsere Schuld, dieser Krieg". - "Es war ja auch nicht ihre Schuld, Herr G.,
möchte man ihm dann sagen, doch beim nächsten Mal wird er wieder von seinen
Kriegserlebnissen reden und beim übernächsten Mal wieder ...
Ich möchte diesen drei
Menschen und uns allen heute das weitersagen: Gott
hat den Schuldschein, der uns belastet, ans Kreuz
seines Sohnes genagelt. Das ist die gute Nachricht des Karfreitags. Er lässt
nicht "fünfe gerade sein", er tut nicht, als hätte
ihn unsere Sünde nicht gekränkt, sondern er lässt den liebsten Sohn leiden und
sterben, damit wir begreifen, wie groß unsere
Schuld ist. Sagen wir ja zu unserer Schuld - dann hat Gott uns durch das Opfer
seines Sohnes vergeben - und sagt ja zu uns.
Herr K. kann anfangen, sich
selbst zu vergessen und auch einmal an andere zu denken. Seine bisherige Art,
seine Ichsucht, seine Härte gegenüber Schwächeren -
es ist ihm vergeben. Er kann neu beginnen. Sein Schuldschein hängt am Kreuz. -
Frau M. darf aufatmen: So wirklich und so schwer ihr die Schuld ist, an der sie
trägt, so wirklich und schwer war Christi Leiden und Sterben
für sie - auch ihr ist vergeben. Sie kann neu beginnen.
Ihr Schuldschein hängt am Kreuz. - Auch Herr G. kann sagen: Ja, ich habe
Schuld auf mich geladen, doch Gott lässt es heute
vergangen sein. Mir ist vergeben. Ich kann neu
beginnen. Mein Schuldschein
hängt am Kreuz.
Liebe Gemeinde, Karfreitag
bedeutet, wir dürfen alle so sprechen:
Ich habe Sünde und Schuld und sie sind blutrot. Aber mir ist von Gott vergeben.
Ich kann neu beginnen. Mein Schuldschein hängt am
Kreuz. Gelobt sei der Herr Jesus Christus! AMEN