Predigt zum Sonntag "Judika" - 25.3.2007

Textlesung: Jh. 11, 47 - 53

Da versammelten die Hohenpriester und die Pharisäer den Hohen Rat und sprachen: Was tun wir? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute. Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu ihnen: Ihr wisst nichts; ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe. Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen. Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn töteten.

Liebe Gemeinde!

Deutlicher als hier kann es kaum werden wie Menschen denken und wie anders Gott denkt: "Dieser Mensch tut viele Zeichen", sagen die Pharisäer und Hohenpriester. Und warum sagen sie das? Nicht weil sie sich freuen, dass Jesus Kranke gesund, Lahme gehend und Blinde sehend macht. Nicht weil er doch ganz offensichtlich Gottes Güte unter den Menschen sichtbar werden lässt. Und schon gar nicht, weil sie vielleicht für möglich halten und gar erhoffen, er könnte der erwartete und ersehnte Messias sein. Sie sagen es, weil einer wie Jesus in ihrer Welt keinen Platz hat, weil er ihr traditionelles Denken sprengt und vor allem, weil er ihren Einfluss über die Menschen gefährdet und ihnen die Leute abspenstig macht: "Lassen wir ihn so, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die Römer und nehmen uns Land und Leute", sagen sie. Ob wohl der eine oder andere von ihnen gedacht hat: Und wenn er nun doch der verheißene Messias ist? Wenn er uns von Gott gesandt wäre, um den Bund des Allerhöchsten mit unserem Volk zu erfüllen? Aber nein! Das kann nicht sein und das darf nicht sein! Es würde ja die religiösen Führer des Landes ihre Macht kosten! Darum spricht der Hohepriester als der Oberste des Volkes, der Pharisäer und des Hohen Rates: "Ihr wisst nichts; ihr bedenkt auch nicht: Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe." Und er sagt das nicht von sich aus, sondern er weissagt den Willen Gottes!

Und hier sind wir bei Gottes Gedanken: Gott weiß, dass wir Menschen zuerst um unseren Einfluss über andere fürchten. Gott weiß, dass wir Angst haben, wir und unser Wort könnte weniger wichtig genommen werden als das irgend eines anderen Menschen in unserer Umgebung. Am Ende entzieht uns einer noch die Liebe der Menschen, die Ehre, die sie uns erbieten und die Achtung, die wir bei ihnen genießen! Gott weiß, wie klein wir denken, wie eng unser Herz ist und wie groß unser Neid, wenn andere etwas vermögen, was wir nicht fertig bringen. Da ist nichts anders geworden seit der Zeit, da unser Herr über diese Erde ging.

Soweit können wir es vielleicht ja noch verstehen: das Denken Gottes. Aber beim besten Willen, hier geht es über unseren Verstand hinaus: "Das sagte er aber nicht von sich aus, sondern weil er in dem Jahr Hoherpriester war, weissagte er. Denn Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen."

Das enge Denken der Menschen verdiente Strafe - Gott aber legt die Strafe auf Jesus Christus. Die ewige Angst der Menschen um ihre eigene Macht müsste ihnen ausgetrieben werden - Gott aber schickt seinen Sohn dafür auf den Leidensweg. Alle Schuld, die aus Engherzigkeit, Bosheit und Neid der Menschen entsteht, müsste an ihnen selbst heimgesucht werden - Gott aber richtet seinem Sohn das Kreuz auf, an dem er für die Schuld aller Menschen sein Leben geben wird - selbst noch für jene, die ihn unschuldig zu Tode bringen. Nein, zu verstehen ist das nicht. Nur zu bestaunen und als unsere Rettung anzunehmen.

Liebe Gemeinde, vielleicht meinen wir jetzt ja noch, das alles wäre von uns doch ein wenig fern - zeitlich und auch von der Sache her. Wir sind doch keine Pharisäer, keine Hohenprister. Wir haben doch nichts mit dem Jesus damals zu tun. Wir haben ihn doch nicht gefürchtet, weil er die Leute begeistert hat. Wir haben ihn nicht beneidet, weil er geheilt und Wunder getan hat. Schon gar nicht haben wir ihn in Leiden und ans Kreuz gebracht!

Hier beginnt wieder das menschliche Denken, mit dem wir uns gut auskennen. Gott aber hat seinen Sohn für die ganze Welt sterben lassen, "um alle seine verstreuten Kinder zusammenzubringen", wie es hier heißt. Ein für alle Mal also hat Gott die Bosheit, den Neid, die Missgunst, das Machtstreben und alle andere Schuld aller Menschen seinem Sohn Jesus Christus aufgeladen, dass er sie zum Kreuz trägt und dort mit Leiden und Tod in Ewigkeit abtut. Hier unterm Kreuz Jesu stehen die Hohenpriester und Pharisäer damals, da stehen die Glaubenden und Sünder aller Zeiten und dort stehen auch wir mit unserer Schuld, die blutrot ist.

Und dass wir uns in unseren Gedanken nun nicht doch wieder davonstehlen und sagen: Mit uns hat das aber nichts zu tun, nicht unsere Sache, nicht unser Problem, das war damals ..., darum möchte ich zwei ganz kleine Geschichten erzählen, die es uns vielleicht deutlich machen, was uns diese alte Geschichte angeht:

Mir fällt eine Frau ein, die würde sich selbst sicher als gut und christlich bezeichnen. Sie ist Mitarbeiterin in ihrer Kirchengemeinde. Im Seniorenkreis hat sie ihr besonderes Aufgabenfeld entdeckt. Das liegt ihr, da kann sie sich bei der Programmgestaltung und in der Organisation enfalten. Es gibt noch einige andere MitarbeiterInnen in diesem Kreis. Und genau da liegen die Schwierigkeiten dieser Frau: Sie kann einfach nicht mit den anderen zusammenarbeiten. Sie sieht nur sich selbst. Sie muss vorne stehen und vorlesen - das Auftragen und Kaffee-Ausschenken überlässt sie den anderen. Immer muss sie den Eindruck erwecken, ohne sie ginge es nicht. Oft genug haben auch andere schon etwas für's Programm vorbereitet, konnten (und durften) es dann aber nicht bringen. Weil für ihre Sache angeblich keine Zeit mehr war. Und schon bei einigen Weihnachtsfeiern wurde nur der einen für ihre Arbeit gedankt, für die anderen hat keiner ein Wort des Dankes gefunden - und die Frau, von der ich rede, hat selbst nicht einmal gemerkt, dass da etwas nicht in Ordnung ist - zumal unter Christen.

Und von einem jungen Mann will ich noch erzählen, der gehört zu einer frömmeren Gruppierung innerhalb der Kirche. Deshalb auch hat er ständig Auseinandersetzungen mit dem Pfarrer seiner Kirchengemeinde. Er sagt, er kann nicht verstehen, dass der Pfarrer die Menschen der Gemeinde nicht "härter angeht", wie er das nennt. Er meint damit: Der Pfarrer müsse die Leute mehr mit ihrer Sünde konfrontieren und die Notwendigkeit der Bekehrung predigen. Oft genug hat ihm der Pfarrer entgegen gehalten, dass er die Menschen nicht verurteilen und auf ihre Schuld festlegen, sondern ihnen zuerst die frohe Botschaft verkündigen will. Wenn sie die verstehen, würden sie auch begreifen, dass sie sich ändern müssen. Außerdem seien doch alle Menschen Sünder - auch der junge Mann! Und wir würden es auch alle ein Leben lang bleiben! - Das ist immer wieder der Augenblick, an dem das Gespräch zwischen dem jungen Mann und seinem Pfarrer abreißt. Er nämlich meint sehr wohl, dass es einen Unterschied zwischen ihm und den Menschen gäbe, die "noch in der Sünde sind" und sich "noch nicht bekehrt haben".

Liebe Gemeinde, wir haben Jesus nicht wie damals bei uns. Er lebt nicht sichtbar unter uns. Aber macht das einen großen Unterschied? Haben wir nicht sein Wort? Fühlen wir nicht immer wieder, dass er bei uns ist. Glauben wir nicht an ihn? Sind wir nicht seine NachfolgerInnen? Und - das ist hier vielleicht besonders wichtig - trägt unser Mitmensch nicht sein Antlitz? Wenn wir andere also nicht gelten lassen, weil wir ihren Einfluss oder das fürchten, was sie vielleicht bei anderen Menschen beliebt macht, verhalten wir uns dann nicht genau so, wie die Pharisäer damals Jesus gegenüber?

Und wenn wir andere klein reden oder ins Unrecht setzen, wenn wir sie nicht zum Zug kommen lassen oder sie nicht verstehen wollen, weil das unser Bild von uns selbst verkleinert, sind wir dann irgendwie besser als die Hohenpriester, die Jesus lieber in den Tod schicken, als sich von ihm ihr Ansehen und ihre Macht über die Herzen nehmen zu lassen?

"Jesus sollte sterben für das Volk, und nicht für das Volk allein, sondern auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen." Wir spüren es: Er ist auch für uns und unsere Schuld in den Tod gegangen. Unsere Selbstbehauptung, unser Machtstreben, dass wir andere nicht gelten lassen wollen, dass wir engherzig und missgünstig sind, voller Neid den Gaben anderer gegenüber, dass wir uns nicht daran freuen können, dass auch andere für ihre Mitmenschen Gutes tun und ihnen Freude bereiten ... Alles das ist Schuld - und für diese Schuld hat Gott seinen Sohn in die Welt gesandt, dass er sie ans Kreuz trage. Aber für alle hat dieser Jesus Christus auch genug getan, die Schuld bezahlt und abgetragen. Jetzt können wir ein neues, befreites Leben beginnen! AMEN