Predigt zum Sonntag "Septuagesimä" - 12.2.2006

Textlesung: Jer. 9, 22 - 23

So spricht der HERR: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit, ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich kenne, daß ich der HERR bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde!

Meine Gedanken zu diesem Prophetenwort haben heute einmal die weniger ausgetretenen Pfade gesucht. Ausgegangen sind sie von dem Wort, das hier gleich fünfmal wiederholt wird: "Rühmen". Ich habe mich gefragt, ob das denn wirklich auch unsere Schwäche ist, dass wir uns rühmen? Und dabei kam mir in den Sinn, dass unser Ruhm heute vielleicht weniger unsere Weisheit, unsere Stärke oder unseren Reichtum herausstellt, als vielmehr in einer Verkleidung einhergeht: Unser Selbstruhm trägt sozusagen die Maske der "Selbstständigkeit" und "Unabhängigkeit". Und hinter dieser Maske tönt es: "Ich mache mein Leben selbst!" - "Ich brauche keinen Gott!" - "Ich will mein eigener Herr sein!" Aber das ist ja nur in meinen Gedanken so. Im Alltag hören wir solche Sätze wohl eher selten. Dafür aber leben die Menschen entsprechend: Man kann ihrem Denken, ihrem Reden und Handeln abspüren, abhören und ansehen, wie sie innerlich eingestellt sind. Und nicht immer, aber oft genug werden wir dann erkennen, dass die Menschen vor allem dem nachstreben, was sie selbst sich als Ziel ihres Lebens gesetzt haben: Der eine die Arbeit, eine andere mehr das Vergnügen. Eine mehr den Besitz, ein anderer will möglichst viel von fremden Ländern und Kulturen sehen und erfahren. Und - ja, auch das gibt es noch - manche weihen sich auch ganz dem Dienst an ihren Mitmenschen oder sonst einem Auftrag, den sie von Gott her haben.

Angekommen sind meine Überlegungen dann bei diesem Vers des Propheten Jeremia: Grund, uns zu rühmen oder anders gesagt, das Wichtigste für uns ist es: Gott zu kennen und dass er der Herr ist, der unser Leben bestimmt und eine Aufgabe für uns hat. Aber genug mit den hohen Worten. Ich habe eine schöne Geschichte gefunden, die passt sehr gut zu diesen Gedanken. Ich will sie einmal erzählen:

In einem großen Weizenfeld stand eine Ähre mit vielen kleinen Körnern darin, die geborgen und behütet in ihrem Häuschen saßen und auf das große Leben warteten. Und während sie so warteten und wuchsen und reiften, machten sie sich ihre Gedanken und sprachen auch über ihre Wünsche.

"Ich möchte einmal viel erleben", sagte das Erste, "in die Welt hinaus gehen; endlich einmal etwas anderes sehen als dieses Weizenfeld!" Das zweite und das dritte Korn pflichteten ihm bei: "Ja, das wollen wir auch!" Das vierte Körnlein wollte in Ruhe sein Leben genießen. Das Fünfte sagte: "Ich möchte ein sinnvolles Leben haben, das für die Menschen nützlich ist! Ich will dem Hunger in der Welt wehren." Das sechste schaute in die Ferne und sagte sehnsüchtig: "Ich möchte Gottes Geheimnisse sehen!" Das letzte Körnlein schließlich war etwas einfältig und wusste nicht so recht, was es sich wünschen sollte. "Ich möchte, dass Gott mein Leben gebraucht, so wie er will", sagte es schließlich.

Liebe Gemeinde, nein, die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich wollte nur schon hier einmal unterbrechen und fragen: Entspricht das nicht wirklich in etwa dem Bild, das heute die Menschen unserer Gesellschaft abgeben? Sicher ist doch: Die Mehrheit versteht ihr Leben in erster Linie als Jahre, die ihnen etwas "bringen" sollen: Freude, Glück, schöne Erfahrungen, Genuss, Kurzweil ... Wesentlich weniger sind es, die sich und ihrem Leben andere Ziele setzen. Und nur ganz wenige lassen sich hier von Gottes Plan und seinem Auftrag an sie leiten. Aber hören wir, wie es den Weizenkörnern weiter erging:

Und es geschah, dass der allmächtige Gott die Wünsche der Ährenkinder hörte und beschloss, jedem Körnlein das zu geben, was es begehrte. - Und als die Körner dick und reif waren und die Ernte kam, da fiel das erste, das die Welt sehen wollte, neben dem Sack auf den Wagen und fuhr die lange Strecke vom Feld zur Scheune, vorbei an Wiese und Wald, an Häusern, Menschen, Gärten, an Rinderherden, die von der Weide, und Schulkindern, die von der Schule kamen. Und es schaute und schaute. Dreimal fuhr es vom Feld zur Scheune und von der Scheune zum Feld. Dann aber fiel es an einer holprigen Wegstelle vom Wagen und wurde von den Rädern überrollt.

Das vierte Körnlein, das sein Leben genießen wollte, kam erst gar nicht auf den Wagen. Es hatte Angst vor der Sichel und dem Dreschflegel und sprang vorher auf die Erde. Da freute es sich an Luft und Sonnenschein und schloss Freundschaft mit einer Ackerwinde und einem Marienkäfer - bis ein frecher Spatz kam und es einfach aufpickte.

Die anderen Körnlein fielen alle miteinander in einen großen Sack und kamen in die Scheune. In dem Sack war es ziemlich dunkel und sehr eng. Sie stießen und drückten sich gegenseitig. Es war nicht mehr so schön wie in ihrer Kinderstube, da jedes sein eigenes kleines Häuschen an der großen Ähre hatte.

Das zweite und dritte Körnlein, die wie das Erste in die Welt hinaus wollten, wurden eines Tages zusammen mit vielen anderen von einer großen Schippe aus dem Sack geholt und in die Mühle geworfen. Die beiden Körnchen ahnten, was da kommen sollte, sprangen schnell von der Schippe ab - zurück in den Sack. "Nein, nein!" sprachen sie, "das ist zuviel! Da verlieren wir uns ja. So eng mit den anderen zermahlen und verbacken werden, das ist doch geschmacklos!" Der allmächtige Gott achtete den Wunsch der Körnlein. Und am nächsten Tag griff die Bäuerin sie mit einer Hand voll anderer Körner und streute sie alle mit weitem Schwung in den Hühnerhof. Jedes hatte nun Weite um sich und sein persönliches Plätzchen und jedes wurde einzeln und ganz für sich von den Hühnern gefressen.

Das fünfte Körnlein aber, das in die Mühle geraten war, wurde gemahlen und im Ofen zu knusprigen Brötchen gebacken. Und am Morgen beim Frühstück machte es die Kinder satt.

Nun blieb noch das sechste Körnchen, das Gottes Geheimnisse sehen und das kleine Siebte, das sich einfach von Gott gebrauchen lassen wollte.

Und der allmächtige Gott dachte an sie und dachte sich etwas ganz Schönes für sie aus.

Das sechste Körnchen kam eines Tages auch in die Mühle und in die Backstube und musste durch die gleichen Schmerzen gehen wie seine Brüder vorher und mit vielen anderen zusammen zu Brot werden. Es wurde aber kein knuspriges Brötchen für den Morgenkaffee, sondern es kam als Abendmahlsbrot auf den Altar der kleinen Dorfkirche. Und als der Pfarrer Gebet und Segen für das Abendmahl sprach und das Brot emporhob, da spürte es, dass etwas vom Geheimnis Gottes in ihm selbst war.

Das kleine siebte Korn aber griff der Bauer mit seinen Brüdern und Schwestern, die auch noch übrig waren, und fuhr sie wieder zurück zum Acker. Mit gleichmäßigen Armbewegungen warf er sie in die schwarze Erde. Dann kam die Egge und der Boden schloss sich über ihnen. Das siebte Körnchen wusste nicht, was mit ihm geschah, es war zu einfältig, um sich viele Gedanken zu machen. Es blieb still im Dunkel und ertrug die Schmerzen und Veränderungen, die es in sich fühlte, bis es in der Erde starb.

Und nach einigen Monaten wuchs dort, wo es gestorben war, eine Ähre auf, die dreißig Körner trug. Der allmächtige Gott lächelte und nahm sieben davon für sich auf den Altar, und sieben warf er wieder auf den Acker - und alle, die noch übrig waren, bekamen die Kinder als Frühstücksbrötchen. (Nach: Die Wünsche der sieben Weizenkörner, von Gertrud Renate Sopp)

Liebe Gemeinde! Eine schöne Geschichte, nicht wahr? Viel ist dazu nicht mehr zu sagen oder gar zu erklären. Nur ein paar Wünsche für uns will ich noch anschließen: "Das siebte Körnchen wusste nicht, was mit ihm geschah, es war zu einfältig, um sich viele Gedanken zu machen." Es ist diese Einfalt, die ich uns allen wünsche. Vielleicht kann ich auch "Gelassenheit" sagen oder "Vertrauen"? Dass wir uns keine Gedanken machen, wenn wir uns Gott überlassen. Er weiß, was er mit uns vorhat. Und das entspricht unseren Gaben, die er uns am Anfang unseres Lebens mitgibt. Die Ziele, die wir unserem Leben kurzsichtig setzen, sind meist nichts, wofür sich ein Leben lohnt. Gottes Ziel mit uns ist Sinn und Fülle in dieser Zeit und - oft durch Leid und Schmerzen, immer durch Dunkelheit und Sterben hindurch - ein neues, ewiges Leben. Ich wünsche uns, dass wir uns in Gottes Hand geben können, damit er mit uns nach seinem Willen tut, so wie beim siebten Weizenkorn.

Gott spricht: "Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass ich der HERR bin!"  AMEN