Predigt zur Jahreslosung 2005 - 1.1.2005

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Jahreslosung 2005:

Jesus Christus spricht: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre. Lk. 22,32

Liebe Gemeinde!

Ganz offen gesprochen: Ich fand die Losung, die über den kommenden 12 Monaten stehen soll, zuerst ziemlich schwach. Ein eher unbedeutendes Wort Jesu, habe ich gedacht, nicht stark genug jedenfalls, dass es uns ein ganzes Jahr begleitet, kaum reicht es ja über diesen Tag hinaus. Wenn ich da noch einmal an die Losung des vergangenen Jahres denke: "Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen." Das ist doch etwas anderes! Da fühlt man sich angerührt und angespornt von einer großen, gewaltigen Verheißung! Aber hier: "Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."

Wie gesagt, zuerst erschien mir dieser Vers schwach und von geringer Wirkung und Bedeutung. Dann aber ist mir etwas aufgegangen ... Aber schauen wir doch einmal, wie wir dieses Wort beim ersten Hören verstehen:

Sicher denken wir doch, den Glauben an Gott und unseren Herrn Jesus Christus festzuhalten, wäre für uns nicht schwer? Wir tun das und konnten das doch schon von unserer Kindheit an oder seit damals, als uns in einer ganz schweren Stunde aufging, dass wir nicht verlassen und allein waren mit unseren Ängsten und Sorgen, sondern gehalten und getragen von Gottes Beistand und seiner Hilfe. Vielleicht können wir auch von einer richtigen Bekehrung erzählen, die wir nach einem prägenden Ereignis, einer anrührenden Predigt, einem erhörten Gebet oder der Lektüre der Bibel hatten? Jedenfalls meinen wir gewiss, es wäre für den Rest unseres Leben kaum zu erwarten, dass "unser Glaube aufhöre", zumal es in unserem Land doch wenig kostet, eine Christin, ein Christ zu sein. Und wenn dann auch noch Jesus selbst für uns mit seinem Gebet eintritt, dass wir im Glauben bleiben ... Was soll denn dann passieren?

Liebe Gemeinde, so habe ich zuerst auch gedacht und diese Losung gelesen. - Wenn es aber nun so wäre, dass längst eingetreten ist, was dieser Vers anspricht: ...dass unser Glaube aufgehört hat, oder zumindest sehr gefährdet ist, aufzuhören? Ja, ich weiß schon, das mögen wir uns nicht sagen lassen! Das hat doch überhaupt keine Berechtigung! Das hätten wir schließlich auch gemerkt. - Hätten wir wirklich?

Bevor ich ihnen dazu ein paar Gedanken sage, eins noch zur Klärung: Der Glaube, der hier von Jesus gemeint ist und für den er beim Vater bitten will, ist nicht der, den wir in unserem Herzenskämmerlein verschlossen haben! Was in uns verborgen ist und was doch kaum nach draußen dringt, kann ja niemand angreifen, uns schwer machen, bestreiten oder ausreden wollen. Herzensglaube ist nicht schwierig ... zu bewahren. Es geht um den Glauben, der öffentlich wird und ob er das wird. Fragen wir also, wo unser Glaube hinausstrahlt in die Welt, unter die Menschen und ob er das tut. Das ist doch wie mit der Liebe: Was hat denn mein Mann, meine Frau davon, wenn ich meine innersten Gefühle für ihn, für sie nur beteuere. Liebe muss doch zu Worten werden, zu liebevollen Gedanken und dann zu eben solchen Taten! Dann erst weiß mein Partner wirklich, dass meine Liebe echt ist und wahr. Und der Glaube? Der sollte sich nicht in Tat und Wort zeigen? "Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." Dieser Glaube und seine Äußerung ist hier angesprochen und wie er vielleicht doch in den Jahren unseres Lebens schwächer geworden ist und manchmal schon ganz aufgehört hat oder doch kurz davor steht, endgültig zu erlöschen. -

Aber wir wollen da konkret und praktisch werden:

Wie viele von uns haben ein sehr wichtiges äußeres Zeichen unseres Glaubens, das Tischgebet, lange schon aufgegeben? Wenn wir darüber nachdenken, müssen wir aber sagen, dass wir es früher einmal geübt haben, damals mit den Eltern, noch in der Jugend, als die Kinder noch klein waren ... In der Betriebskantine konnten wir es dann aber nicht durchhalten. Oder wenn wir Freunde bei uns zu Gast beim Mittagstisch hatten oder wenn unsere jungen Leute jemanden zum Essen mitgebracht haben. War es uns nicht mehr wichtig, für unsere Nahrung zu danken, die doch - wie wir sehr wohl wissen - aus Gottes Segen kommt? Oder war das Scham, dass unser Tischgebet "aufgehört" hat.

Andere gibt es, die es in ihren Alltagsgesprächen tunlichst vermeiden, an Glaubensfragen zu rühren. Früher konnte man mit uns durchaus angeregte Diskussionen darüber führen, wie man sich als Christ zu dieser oder jener politischen Entscheidung stellt, oder ob der Sonntag zum Einkaufen und ein weiterer kirchlicher Feiertag zum Arbeiten genutzt werden darf. Heute wollen wir, wenn wir ehrlich sind, lieber unsere Ruhe haben, nicht wahr? Das hat ja doch keinen Wert und bringt nichts, meinen wir. Aber lohnt die Mühe wirklich nicht mehr, dass wir offen für unseren Glauben zeugen und auch nach außen zeigen, wer unser Herr ist? Ja, ist das nicht ziemlich feige und ein wenig wie Verrat, wenn wir zu den Fragen der Zeit immer schweigen und uns nur unseren Teil dazu denken?

Und noch eines von vielen Beispielen, dass unser Glaube sehr wohl in Gefahr steht, aufzuhören: Wie nehmen wir, die doch von Jesus Christus überwunden sind, das eigentlich auf, wenn in unserer Umgebung der Glaube - der im Herzen genau so wie der öffentlich bekannte - immer mehr verschwindet? Und das ist doch so! Und wir wissen es! Wir versuchen uns vielleicht selbst darüber hinwegzutäuschen, aber schon für unsere Kinder und noch mehr für unsere Enkel spielt der Glaube und die Geborgenheit, die er schenken kann, oft keine Rolle mehr. Gewiss, wir beklagen das und das hat uns einmal Gedanken und Sorgen gemacht ... Aber heute haben wir uns doch oft damit arrangiert, und wir schweigen. Wer versucht es denn wirklich immer wieder einmal, mit seinen Kindern über die Lebensfragen zu reden, die wir nur im Glauben beantworten können? Wer nutzt den Besuch der Enkel einmal dazu, sie zu fragen, ob sie in den Kindergottesdienst gehen oder was sie in der Konfirmandenstunde gerade lernen? Und wie's unsere Freunde mit dem Glauben halten, wann wollten wir es denn schon einmal wissen? Und manchmal findet nicht einmal in der Ehe ein Gespräch über Dinge statt, die uns doch als gläubige Christen die wichtigsten sein müssten!

Genug davon. Nicht angenehm diese Worte. Viel Stoff für uns zum Nachdenken. Vielleicht kann uns ja die Jahreslosung dabei helfen, dass diese Fragen nicht verstummen, sondern uns immer wieder einmal im kommenden Jahr einen Anstoß geben für unser Denken und Handeln: "Jesus Christus spricht: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."

Ich möchte ihnen heute noch eine Geschichte mit auf den Weg in und durch das begonnene Jahr geben. Sie passt wunderbar zu den eben bedachten Gedanken. Sie ist stark und wir werden sie gewiss nicht so schnell vergessen. So kann auch sie vielleicht mithelfen, dass bei uns der Anstoß der Jahreslosung nicht zu schnell wieder vergessen wird, vielmehr kräftig weiterwirkt, so dass bei uns spürbar geschehen kann, was sie uns sagen will und wofür unser Herr bei unserem himmlischen Vater eintritt: "Dass unser Glaube nicht aufhöre."

Das Moskauer Staatstheater brachte in den Zeiten, in denen die Religion noch massiv unterdrückt wurde, die Uraufführung der Posse "Christus im Frack". Das Stück sollte während des ganzen Sommers gespielt werden. Alle Schulen und alle Jungarbeiter wurden aufgefordert, diese Theaterdarbietung zu besuchen. Wenig später aber sprach kein Mensch mehr davon. Und gespielt wurde es niemals mehr. Verschuldet hatte das der berühmte Schauspieler Alexander Rostowzew. Er sollte in diesem Stück den Christus spielen. Bis zur Premiere galt er als großer Star und überzeugter Kommunist. Danach verschwand sein Name. Das kam so:

Auf der Bühne stand ein Altar. Er glich eher einer Bartheke. Wein- und Schnapsflaschen waren in Form eines Kreuzes aufeinandergeschichtet. Beleibte Priester und Mönche umtänzelten den Altar. Ihr versoffenes Gegröle ahmte das Gebet der Litanei nach. Hysterischer Augenaufschlag sollte religiöse Gefühle darstellen. Auf dem Boden wälzten sich dicke Klosterfrauen, die sich Wodka in die Kehle gossen und möglichst ordinär zu reden versuchten.

Im zweiten Akt betrat Rostowzew in der Rolle Christi die Bühne. In der Hand hielt er die Bibel. Daraus sollte er die ersten zwei Seligpreisungen der Bergpredigt vorlesen. Dann sollte er das Buch wegschleudern und in den Ruf ausbrechen: "Reicht mir Frack und Zylinder!" Aber es kam anders. Alexander Rostowzew las würdig und laut die Worte aus der Bergpredigt: "Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich. Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden." Wenn er sich an seine Rolle halten wollte, musste er jetzt das Buch wegwerfen. Statt dessen aber las er weiter: "Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen."

Rostowzew schwieg plötzlich. Der Souffleur war ratlos und erblasste. Das Publikum spürte, wie in Rostowzew eine tiefe Bewegung vorging, die sicher nicht seiner Rolle entsprach. Jeder hielt den Atem an. Grabesstille beherrschte das Haus. Nach einer Pause unheimlicher Spannung las der Schauspieler weiter: "Selig sind, die da hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden." Voller Ergriffenheit las er schließlich von jenen, die "selig sind, weil sie um des Namens Jesu willen Verfolgung leiden".

Im großen Saal des Moskauer Staatstheaters herrschte atemlose Stille. Niemand protestierte. Alle horchten gespannt und warteten, was nun wohl geschehen würde. Das Ende der Szene war ebenso überraschend wie ihr Beginn: Rostowzew schlug das Kreuz über Kopf und Brust und brach in den erschütternden Ruf des Schächers am Kreuz aus: "Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!"

Liebe Gemeinde, wie viel oder besser wie wenig steht doch für uns auf dem Spiel, wenn wir unseren Herzensglauben auch zeigen und davon reden - vor der Welt, vor den Menschen.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Jahr unter der Losung: "Jesus Christus spricht: Ich habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre."