Predigt zum 1. Christtag - 25.12.2004

Auch zum Heiligen Abend geeignet!

Textlesung: Mi. 5, 1 - 4a

Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist. Indes läßt er sie plagen bis auf die Zeit, daß die, welche gebären soll, geboren hat. Da wird dann der Rest seiner Brüder wiederkommen zu den Söhnen Israel. Er aber wird auftreten und weiden in der Kraft des HERRN und in der Macht des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden sicher wohnen; denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, so weit die Welt ist. Und er wird der Friede sein.

Liebe Gemeinde!

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kom- men, der in Israel Herr sei!" Ein scheinbar unbedeutender Satz! Keiner Betrachtung wert. Gut, von "Bethlehem" ist die Rede. Der Ort, in dem Jesus geboren wurde. Und von ihm als dem "Herrn". Aber sonst?

Mag sein, wir haben verlernt, die frohe Botschaft aus solchen Worten herauszuhören. Vielleicht will mancher aber auch nicht erkennen, was in diesem Satz steckt: welch ungeheuerliche Sache, welcher Anstoß!? Da wird das Unterste zuoberst gekehrt. Da steht die Welt und ihre Gesetze Kopf. Da macht Gott seine Revolution! In diesem Satz: "Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..."

Warum, um alles in der Welt, sollte es denn das kleine Bethlehem sein? Gab es da nicht größere Städte, vornehmere, prächtigere, reichere? Und natürlich: Aus dem Stamm Benjamin war dieser Josef. Und ein einfacher Zimmermann. Auf Reisen auch noch. Nur ein paar Windeln hatten sie dabei, nicht einmal eine Wiege für ihr Kind. Ein Futtertrog wird sein Bett. In der Luft liegt der Geruch des Viehs. - War das alles wirklich nicht anders möglich? Ein wenig herrschaftlicher, gefälliger für's Auge, vornehmer halt?

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Nein, kein göttliches Versehen! Alles passt zusammen: Kleine Stadt, kleiner Stamm, kleine Leute, Stall, Krippe ... Aber mancher will das nicht sehen. Und das hat eine lange Geschichte. Schauen wir uns die Bilder der Maler durch die Jahrhunderte an: Am Stall kommen sie schlecht vorbei. Aber die Krippe sieht einem Bettchen schon zum Verwechseln ähnlich. Und Maria? Meist trägt sie Brokat und Seide. Manchmal gar Purpur. Von wegen einfache Reisekleidung! Die Sterndeuter und Magier, die von allen Menschen verachtet waren, sind zu Königen geworden. Die Hirten sehen aus, als hätten sie zu Hause mindestens eine kleine Landwirtschaft. Keinem von ihnen sieht man an, dass er ein Außenseiter der Gesellschaft ist, ein Habenichts und Hungerleider, ein Abschaum, der fremder Leute Vieh hütet. Und so manches mehr haben die Maler unternommen, dass diese Geburt nicht gar so elend ausschaut. Manchmal denkt man, das Kind Gottes in einer Futterkrippe sollte von all dem umgebenden Goldglanz entschuldigt werden: "Liebe Leute, seht doch bitte all die Pracht an, mit der wir diesen ... ähm ... diesen Stall ausgestattet haben. Schaut - um Gottes Willen! - nicht auf dieses Kind im Viehtrog!" Aber es ist ganz und gar nicht Gottes Wille zu beschönigen! Im Gegenteil! "Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei!"

Und wir? Wie sieht denn unsere persönliche "Weihnachtsgeschichte" aus? - Nun, unser Heim ist doch kein Stall! Unsere Weihnachtsstuben sind festlich geschmückt. Da liegen die Geschenke fein geordnet und mit Namensschildchen versehen. Da riecht es nach Tannenduft und Plätzchen. Und am liebsten singen wir "Stille Nacht, heilige Nacht ..." und vom "holden Knaben im lockigen Haar", oder? Und das geht ja auch alles noch an, wenn es im Rahmen bleibt. Das wäre doch ein arg seltsames Bild, wenn der Mensch in der Wohlstandsgesellschaft am Heiligen Abend in Lumpen ginge und ein Arme-Leute-Fest feierte. Aber das Herz, unser Herz! Tun wir doch bloß nicht jede Weihnachten so, als strahlte in uns ein Christbaum mit 1000 Kerzen! Wir gleichen den Bildermalern: Wir stellen ein Bettchen in uns auf und lassen Maria in Samt und Seide gehen. Die Sterndeuter und das Hirtengesindel dürfen höchstens aus der Ferne blicken, was sich da abspielt. Freundliche Farben haben wir aufgetragen, alles sauber, kein Tiergeruch. Der Heiland kann kommen. - Aber kommt er? "Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Wir wollen es nicht wahrhaben! Was Gott auf den Kopf stellen will, drehen wir wieder um. Sein "Unten" bringen wir wieder nach oben. Gottes Revolution wird niedergeschlagen. - Aber um welchen Preis!

Wenn das Kind Gottes in einer goldenen Wiege liegt, was ist da besonderes? Wenn Könige bei ihm ihre Aufwartung machen, wen mag das verwundern? Wenn wohlgekleidetes Hirtenvolk weiße Lämmchen und Wolle überreichen, wer nimmt Anstoß?

Wenn der Heiland in wohl bereiteten Herzen einzieht, wen kann es überraschen? Wenn Gottes Kind unser geputztes Innen einem Stall vorzieht, wir verstehen das gut! Wenn wir diese Geburt mit unseren lieblichsten Gefühlen umhegen, nur zu begreiflich! Aber wie langweilig auch, wie gewöhnlich, wie durchschnittlich, wie menschlich gedacht! Da ist Gottes Weihnachten hin. Da regt nichts mehr auf. Da stößt nichts mehr an. Da rettet nichts mehr! "Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Da haben wir diesen ungeheuerlichen Satz abgeschliffen und in unser Denken eingepasst. Nichts daran erregt mehr unseren Widerstand. Aber wenn wir ehrlich sind, tröstet auch nichts mehr. Und Freude kommt schon gar keine mehr auf. - Was können wir tun?

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Diesen Satz und Gottes ganz andere Weihnacht ernst nehmen können wir! Begreifen, können wir, dass in seinen Gedanken, in seiner Geschichte von Bethlehem unser Heil liegt. Erkennen, können wir, dass Gott immer wieder so gehandelt hat wie hier - und niemals anders: Das Kleine, das Geringe will er für seine Sache haben:

Aus dem kleinsten Stamm Israels beruft er den ersten König, Saul. Den Propheten Jeremia, der sich für zu jung und ungeeignet hält, sendet er. Beim kleinen Zöllner Zachäus, der auf einen Baum steigen muss, um den Herrn zu sehen, kehrt er ein. Dem Petrus, der seinen Meister verleugnet, gibt er den Auftrag: Weide meine Lämmer! Den Verfolger der Gemeinde, Paulus, schickt er als Missionar in die Welt. Und immer so weiter. Hunderte von solchen Beispielen bietet die Bibel. Immer derselbe Hang Gottes zum Kleinen, zum Elenden und Geringen. Und dieses Gottes Kind wollen wir in eine Wiege aus Gold legen? Ihm stellen wir eine Mutter in Purpur zur Seite? Für ihn legen wir Lack und Goldpolitur auf? Ihm richten wir Herzen zu, die mit edelsten Gedanken geschmückt sind? Für ihn jagen wir die Hirten davon und Ochs und Esel gleich hinterher?

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Es wird nichts nützen, wenn wir jetzt nur mir ein paar Pinselstrichen versuchen, das Bild zu verändern. Es ist auch zu wenig, wenn wir an der Krippe unseres Herzens nun halt wenigstens die Angst und unser Versagen zulassen. - Ganz neu muss heute für uns die Weihnachtsgeschichte beginnen. Als hätten wir sie noch nie gehört. Ganz anders - von Grund auf anders! - muss auch unser persönliches Weihnachten werden. Dann kann Gottes Revolution auch bei uns wieder stattfinden. Dann kann aus der heillosen Entwicklung in unserer Welt noch etwas Gutes entstehen. Dann kann aus unserem verkrampften, freudlosen Leben noch Sinn und Zukunft erwachsen.

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Fangen wir an damit, diese Geschichte wieder so zu lesen und zu hören, wie sie geschehen ist: Klein und gering war diese Geburt vor bald 2000 Jahren. Die Eltern in staubigen Mänteln, die Füße schmutzig und schwielig vom langen Gehen. In der ganzen Stadt kein Bett mehr frei, geschweige denn ein Zimmer. Ein zugiger Viehstall war das einzige, was sich noch fand. Die Tiere haben nicht gutmütig geschaut! Geschnaubt haben sie und mit den Hufen gestampft. Die Menschen störten ihre Ruhe. Und dann: Es war eine Arme-Leute-Geburt, ohne Hebamme und ärztlichen Beistand. Nicht einmal Wasser zum Waschen des Kleinen war in der Nähe. Später dann die Hirten; abgerissene Figuren, Krüppel darunter, wirres Haar, zahnlose Münder. Die Sterndeuter: Astrologen ... verdächtig - schon damals. Und sie werden sich gefragt haben, ob so der Beginn eines "Retters" der Menschen aussieht: Ein Kind in einem Viehtrog, in einem stinkenden Stall am Rande eines Städtchens, irgendwo in Juda. Aber fügt sich der Anfang nicht mit dem Ende?: Auf einem Esel reitet er in Jerusalem ein. Gegeißelt und verhöhnt, gerichtet als ein Verbrecher. Begonnen im Holz der Krippe, geendet am Holz des Kreuzes. Gottes Sohn, unser Herr! - Immer der Hang zum Kleinen, zum Geringen - immer der untere Weg.

Und wir? Arm und elend fühlen wir uns hinter den Masken, die wir tragen. Der Pelz, der neue Mantel bedeckt nur notdürftig unsere Blöße. Gerade für unser Gesicht reicht der Weihnachtsglanz. Aber innen sieht es ganz anders aus. Um ein bisschen Freude in unserem Herzen drängen sich die Sorgen. Groß steht die Angst da mit ihren 1000 Fragen: Werde ich meine Arbeit behalten? Wird mein Alter gesichert sein? Werde ich wieder ganz gesund? Wann habe auch ich einmal ein wenig Glück? Wer hilft mir, wenn ich älter und schwächer werde? Was wird Morgen aus mir?

Und auch unsere Schuld macht sich breit: Dort aus dem Hintergrund, wohin wir sie verdrängt haben, schaut sie uns bedrohlich an: Wir haben das lösende Wort nicht gesagt. Wir haben einem Mitmenschen sehr weh getan. Wir sind hart und grausam gegen Schwächere gewesen. Wir haben aus der Not anderer Vorteile gezogen. Wir sind starr und unbeweglich. Seit Jahren keine Wandlung bei uns.

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Es sollte das kleine Bethlehem sein, in dem Gottes Geschichte mit seinen Menschen neu begann. Es soll unser kleines Leben sein, in dem sein Kind heute zur Welt kommt. In die Enge unseres Herzens hinein will er geboren werden. Schon eine Krippe genügt ihm. Ja, sie ist ihm lieber als ein Himmelbett! Und alles, was er sonst noch in uns vorfindet, ist ihm recht. Er will gerade diese arme Herberge, die wir ihm bieten können. Aber mit ihm verwandelt sich alles: Die Sorgen bekommen ein anderes Gesicht, sie sehen nicht mehr so düster aus. Auf die Ängste legt sich ein Schimmer von Hoffnung. Die Fragen verlieren ihr schweres Gewicht. Die Freude kriegt Luft zum Atmen.

Wenn Gottes Kind in den Stall meines Lebens kommt! Wenn Gott sich nicht zu gut ist, mein Elend und meine Armut zu teilen! Wenn dieser Retter nun in mir bleibt und mit mir geht! Welche Freude!

"Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist ..." Gott hat heute das Unterste zuoberst gekehrt. Die Welt und ihre Gesetze stehen Kopf! Gottes Revolution findet statt! Für dich und mich. In mir und dir!