Predigt zum Reformationsfest - 31.10.2004

Textlesung: Röm. 3, 21 - 28
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, daß er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Liebe Gemeinde am Reformationsfest!

An der Sache, die hinter diesen Worten steht, hängt unser ganzes Christentum: Wir sind von Sünde und Tod erlöst durch Jesus Christus. Daran zu glauben, macht uns gerecht vor Gott. Auch diese Gerechtigkeit ist nicht unser Verdienst, sondern kommt von Gott - als Geschenk seiner Gnade. Darum ist jeder Selbstruhm ausgeschlossen. Gott hat alles für unser Heil in Zeit und Ewigkeit getan.

Liebe Gemeinde, wer das verstanden hat, der hat alles verstanden, was nötig ist, um vor Gott wohlgefällig zu leben und einmal in Frieden zu sterben, um heimzugehen in Gottes ewiges Reich.

Aber kann man das überhaupt verstehen? Bleibt das unserem Kopf nicht verschlossen? Was können wir denn für den Glauben an diese Wahrheit tun, wenn doch der Glaube auch Gottes Gnade und Geschenk ist?

Wie wohl Martin Luther geantwortet hätte? Heute ist ja der Tag, an dem wir evangelische Christen uns erinnern, dass vor fast 500 Jahren ein kleiner Mönch genau über den eben gehörten Paulusworten das Evangelium wiederentdeckt und damit ausgelöst hat, was wir die Reformation nennen. Was hat den Mönch Martin so um das Jahr 1512 dahin geführt, dass er den Glauben erkannt und gewonnen hat, den wir heute den "evangelischen" nennen?
Kam das vielleicht von daher, dass er die Bibel gelesen und studiert hat? Er war damals schon Doktor der Theologie. Und man hatte ihm an der jungen Wittenberger Universität eine Professur in Biblischer Theologie anvertraut. Sein Fach war das Alte Testament. Wie wenige Gelehrte seiner Zeit kannte er die Geschichten der Bibel, der Erzväter, wie Abraham, Jakob und Josef, des Volkes Israel, aber auch die über Jesus, wie sie die Evangelisten erzählen. Schließlich waren ihm auch die Briefe des Paulus vertraut, in denen der Inhalt der Evangelien in Theologie umgesetzt wird, die beschreibt, was Menschen glauben, die Nachfolger Jesu Christi sein wollen. War dieses Studium der Heiligen Schrift der Ursprung des evangelischen Glaubens, den Martin neu entdeckt hat?

Oder ging es damit, wie es ja manchmal auch heute noch geht: Haben andere diesen Glauben an die allein seligmachende Gnade Gottes in sein Herz gepflanzt? Etwa einer von den Mitbrüdern im Schwarzen Kloster zu Wittenberg, wo Martin lebte? Oder gar der Abt, Staupitz, von dem wir wissen, dass er ein sehr guter Vorsteher des Augustinerordens war, dazu auch der Seelsorger und Beichtvater Luthers? Wenn der Professor Luther also seit dem Jahr 1512 seine Studenten "evangelisch" lehrte, war dann in seinen Vorlesungen von ihm nur weiterentwickelt, was vielleicht andere ihm zuvor vermittelt hatten?

Schließlich könnten wir auch noch daran denken, dass ein wundersames Ereignis diesen Glauben bei ihm hervorgebracht hat. Schon den berühmten Blitzschlag im Gewitter bei Stotternheim, durch den Martin zum Gelübde getrieben wird, statt Jura zu studieren, ein Mönch zu werden, muss man ja geradezu als einen Wink der Hand Gottes begreifen! Und wenn Luther später davon spricht, dass ihm durch die Entdeckung der Gerechtigkeit Gottes aus Gnade die "Pforten des Paradieses" aufgetan waren, dann könnte man auch auf den Gedanken kommen, dass ihm vielleicht vorher ein Engel die rechte Erkenntnis des Evangeliums geschenkt hat. War das vielleicht so?

Wenn wir uns nun schon recht weit im das Leben unseres Reformators umgeschaut haben, dann müssen wir jetzt wohl auch das sehen, was daran zunächst einmal alles andere als "evangelisch" erscheint. Ich meine seine inneren Kämpfe, sein Ringen um Gottes Gnade, seine selbstquälerischen Fragen, wie er denn je vor Gott bestehen und nicht der Verdammung anheim fallen soll? Sein angstvoller Schrei in schlafloser Nacht: "Weh mir, wer wird mich erlösen aus dem Bann der Sünde und des Todes?" - Sollte hier der Schlüssel zu einer Antwort liegen, wie der Mönch Martin zum Reformator und zum Verkündiger eines neuen Glaubens wurde?

Das hieße ja dann, dass auch für uns in der Qual, im Zweifel, im inneren Ringen der Weg gezeigt wird, wie wir zum Glauben finden? Dann könnte womöglich auch die Angst, den Sinn unseres Lebens zu verfehlen, die Tür sein, durch die wir in die Gerechtigkeit treten, die vor Gott gilt? Schließlich müssten wir sogar unsere Niederlagen, die Sackgassen, in die wir uns verrannt haben und alles, was uns weh getan hat und weh tut als Hinweis und Hilfe verstehen, dass wir das Evangelium, die "frohe Botschaft", recht begreifen und den Glauben gewinnen! - Ist das so?

Liebe Gemeinde, ich glaube fest, dass es so ist!

Die Lektüre der Bibel allein kann uns nicht zu Gott führen. Erziehung und Vorbild anderer mag den Kindern helfen, dass ihnen der Glaube aufgeht, aber nicht uns Erwachsenen, die vom Leben doch schon tief geprägt sind. Und auf ein Wunder warten wir wohl auch meist vergeblich.

Der Weg zum Glauben, den Paulus beschrieben und Luther neu entdeckt hat, führt wohl immer durch Lebenstäler ohne Licht, voller Zweifel und manchmal voll Verzweiflung, Täler der Angst und der brennenden Fragen: Wer wird mich erlösen? Wo ist Rettung? Wer zeigt mir den Sinn? - In solchem Dunkel will Gott das Licht des Glaubens anzünden. So war es bei Martin Luther und so war es ja auch schon ganz buchstäblich bei Paulus, dem mit der Heilung seiner körperlichen Blindheit auch der Glaube an die Gnade Gottes in Jesus Christus aufging.

Nun ist es nicht so, dass wir diese dunklen Lebenstäler suchen sollen. Gott will sicher nicht, dass wir wissentlich und willentlich in die Tiefe seelischer Not hinabsteigen, dass wir selbst die Finsternis herbeiführen und uns in eine Gefahr begeben, aus der uns nur Gottes Hand wieder herausholen kann. Das hieße ja auch, Gott zu versuchen! Nein, es ist aber so, dass keine und keiner im Leben an den Stunden vorbeikommt, die Gottes Stunden sind und in denen uns schließlich der Glaube als schönste Gabe unseres Lebens geschenkt wird. Diese Stunden nicht als zu beklagendes Unglück zu sehen, darum geht es. Und es geht darum, aus diesen Stunden nicht so schnell wie möglich und ganz unverändert zu fliehen, sondern zu begreifen, oder besser: zu fühlen und zu erfahren, was in diesen Stunden in unserem Herzen beginnt: Der Glaube an Gottes Gnade! Das Wissen um unsere Gerechtigkeit vor ihm - als freie Gabe seiner Liebe.

Aber vielleicht ist das ja noch nicht deutlich genug, zu allgemein und vor allem nicht persönlich?

Haben sie das noch nicht erlebt, die bangen Wochen, in denen die Gesundheit, ja, das Leben selbst gefährdet ist? Die Furcht vor der Diagnose. Der Schlag, wenn wir erfahren, wie es um uns steht. Die Aussicht dann: das wird vielleicht nicht mehr! Die schrecklichen Sorgen, die Nächte ohne Schlaf, die vielen Gebete, unsere Angebote an Gott, wenn er doch nur ... In solchen Zeiten kann es geschehen, dass auf einmal ein großer Friede über uns kommt, eine wunderbare Geborgenheit, eine Zuversicht, die nicht auf Menschenwort und nicht auf den Dingen dieser Welt beruht. Der Glaube zieht bei uns ein und er ist wie ein Geschenk: eben Gnade ... Und es ist dabei gar nicht mehr wichtig, wie es dann ausgeht, wovor wir uns ängsten. Denn der Glaube weiß nicht nur von diesem, sondern von einem ewigen Leben!

Und wer kennt nicht die Zeit der Trauer, wenn ein Mensch uns verlassen hat, ohne den wir meinten, nicht leben zu können. Die Tage, die sich um unser Unglück drehen, wie eine Mühle. Die Abende, in denen wir uns so einsam und so unendlich verlassen fühlen. Die Nächte mit ihren schweren Träumen. Die Wochen, die Monate, die wir kaum noch als Teil unseres Lebens wahrnehmen. Aber dennoch: In dieser Zeit ist Gott nah und er arbeitet an uns, er leitet uns, wo wir selbst nicht mehr wissen, wo wir gehen sollen. Er führt uns im Dunkel. Er schickt uns Menschen, die uns wieder vom Leben und von einem neuen Anfang reden. Und auf einmal ist er da: der Glaube ... Wir wissen, dass es auch für uns noch Freude gibt. Die Hoffnung lässt uns hinausblicken über den Tod, den wir beklagen. Wir ahnen, dass für unseren Verstorbenen gesorgt ist. Wir können uns neu dem eigenen Leben zuwenden. Der Glaube ist da ... wir sind erlöst durch Jesus Christus ... nicht Sünde, nicht Tod können uns halten ... frohe Botschaft: Am Ende das Leben!

Liebe Gemeinde, wir wollen die Zeiten unseres Lebens, die uns nicht gefallen, nicht nur für schlecht und unnütz halten und nicht gering achten! Gerade in ihnen und aus ihnen wächst in uns das Vertrauen zu Gott, aus dem heraus wir zuversichtlich und gelassen den Weg gehen können, den Gott für uns bestimmt hat und auf dem er uns begleitet. Gerade mit den schweren Tagen, macht Gott uns bereit für seine Gabe. Immer wenn unsere Kräfte klein sind und uns manchmal schmerzlich bewusst wird, dass wir aus uns selbst nichts tun können, da hält uns Gott sein Geschenk hin: Die Gerechtigkeit nicht aus eigenem Verdienst, sondern allein durch das Opfer Jesu Christi, unseres Herrn. Denn den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, ... um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, daß er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Amen