Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis - 11.07.2004

Textlesung: 1. Kor. 1, 18 - 25
Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen. «Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Liebe Gemeinde!

Länger, viel länger als sonst habe ich bei dieser Predigt keinen Anfang gefunden! Woran das lag? Besonders an diesem Satz: "Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden..." Verloren werden... Gibt es das denn überhaupt? Haben wir uns nicht daran gewöhnt, von Gott nur als dem guten, gnädigen Vater zu reden? Bei diesem Gott geht doch keiner verloren! Haben wir es - gerade in kirchlichen Kreisen - nicht fast aufgegeben, auch die andere Seite Gottes zu sehen, zu bedenken und zu predigen? Gewiss: "Evangelium" heißt "frohe Botschaft"! Gerade uns "Evangelischen" ist die "frohe Botschaft" aufgetragen. Und gewiss: Wir wollen die Menschen zum Glauben, zum Vertrauen auf einen gütigen Gott führen. Wir wissen, dass wir nichts für Gottes Sache erreichen, wenn wir nur Angst machen, wenn wir in unserer Verkündigung unter den Seelen unserer Hörer gar die Flammen der Hölle entfachen.

Aber ich frage mich oft, sind wir dabei nicht schon wieder zu vorsichtig? Verfehlen wir so nicht leicht und leichtfertig unseren Auftrag? Treten wir nicht zu leise auf, ja verkürzen wir das Evangelium nicht eigentlich, wenn wir gar nicht mehr den dunklen Hintergrund predigen, vor dem allein sich die Botschaft als hell, froh und befreiend abheben kann?

Und ich sage ihnen auch ganz offen, dass ich den Verdacht habe, wir möchten uns mit der anderen Seite der Verkündigung auch gar nicht so gern vor die Leute stellen. Wir wollen doch denen, die auch in unserer Gemeinde auf dem Absprung von der Kirche sind, mit unserer Verkündigung keinen Anlass zum Austritt geben. Und wir möchten doch gern - wenn wir Pfarrerinnen und Pfarrer sind - dass die Kirchenbänke am Sonntag gut gefüllt sind und die Leute hinterher sagen: "Das war aber wieder eine schöne Predigt!" Und auch als Kirchenglied macht es uns mehr Freude in einer Gemeinde zu leben und vielleicht mitzuarbeiten, die den Menschen Gottes freundliches Gesicht zeigt und von seinem Zorn, von Schuld, Sünde und Verlorenheit schweigt.

"Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden..." Es gibt die andere Seite - und wir wissen es! Es gibt Gottes Zorn, sein dunkles Antlitz, es gibt die Schuld der Menschen - und sie ist blutrot - es gibt ein "Zu-spät", es gibt die Verlorenheit, das "Heulen und Zähneklappern"...

Und darum, nur darum gibt es auch die Freude, "gefunden" zu sein, die tiefe Freude daran, etwas von der "Weisheit" Gottes verstanden zu haben, die im Kreuz Jesu Christi verborgen ist.

Und es gibt darum, Gott sei Dank, jetzt einen Weg, die Botschaft dieser Verse zu predigen, ohne etwas wegzulassen, auszublenden oder zu verkürzen. "Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden...uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft."

Sprechen wir davon, was das Wort vom Kreuz für uns bedeutet. Bezeugen wir die Kraft, die darin liegt. Lassen wir auch die Freude aufscheinen, die uns das schenkt, "gefunden" zu sein.

"Das Wort vom Kreuz..." Da hat einer, Jesus Christus, alle Schuld der Menschen getragen. Nichts trennt uns jetzt mehr von Gott. Die Tür zum Vater steht uns offen. Dieser eine, der Mann am Kreuz, ist uns von Gott zum Zeichen dafür gemacht, dass er's mit Menschen zu tun haben will, die sich nicht auf die eigene Stärke, nicht auf ihre Leistung und nicht auf ihre Klugheit verlassen. Menschliche Weisheit meint, alles machen zu können, auch unsere Sache mit Gott - aber sie kann nichts machen und führt zum Tod. Gottes Weisheit sagt, verlasst euch auf Jesus Christus, und sie führt zum Leben - schon hier und einmal ewig.

Aber wir wollen diese theologischen Gedanken in die kleine Münze des Alltags umwechseln:

Mir fällt der Mann ein, der - wie er sagt - sehr darunter leidet, in seinem Betrieb immer stark sein, ja, den Starken spielen zu müssen. Dort kann man sich keine Fehler leisten. Wenn du versagst, musst du damit rechnen, dass du ausgetauscht wirst. Der Mann ist dankbar, dass es eine Kirche gibt, eine Gemeinde, in der man auch schwach sein darf, in der man sich geben kann, wie man ist und sich fühlt, in der keiner ausnutzt, wenn du dir eine Blöße gibst, in der man gute Gemeinschaft unter denen erlebt, die alle nicht besser, nicht klüger, nicht stärker sein wollen als die anderen.

Und mir fällt die Frau ein, die mir einmal gesagt hat, wie viel ihr das bedeutet, im Bibelkreis der Kirchengemeinde auch zu ihren Fragen und ihren Zweifeln stehen zu dürfen. Du musst eben nicht immer alles wissen, es wird nicht geprüft, ob du diesen oder jenen Glaubenssatz auch hersagen und bejahen kannst. Du darfst das aussprechen, dass du mit manchen Dingen am Glauben deine Schwierigkeiten hast. Ja, du darfst sogar sagen: Das kann ich nicht glauben. Da ist dann kein Kopfschütteln, kein überlegenes Heben der Augenbrauen, kein hochmütiges Wissen von Gott, keine Belehrung, kein frommer Spruch... Man bemüht sich gemeinsam zu verstehen. Und man hat oft die Freude, dass ein Gedanke klarer wird. Und das trennt nicht, das bringt alle näher zusammen.

Und mir kommen Kinder aus der Schule oder dem Gottesdienst der jungen Gemeinde in den Sinn. Wie sehr diese Kinder sich manchmal an den biblischen Geschichten freuen können, die eben nicht so ausgehen, wie sie's ja auch leider oft erleben müssen: Der verloren Sohn, als er heimkehrt, bekommt eben nicht den Fußtritt des Vaters, sondern sieht die Freudentränen und darf sich in seinen ausgebreiteten Armen bergen. Und der kleine Zachäus wird von Jesus eben nicht übersehen, wie er da im Baum hockt, vielmehr ruft Jesus ihn herab, will in seinem Haus zu Gast sein und schockiert damit die frommen Juden, die starken und rechtschaffenen, die sich doch vor Gott klug und weise dünkten. Und die vielen anderen Menschen und Figuren der Bibel: Mose, der nicht reden kann und doch zum Führer des Volkes Israel wird - weil Gott ihm hilft und ihn für sein Amt stark macht. Der kleine David, fast noch ein Kind, der durch Gottes Kraft Goliath besiegt. Und schließlich Jesus selbst, das Armeleutekind, für das kein Raum war in den Herbergen der Welt, im Stall geboren, in eine Futterkrippe gelegt...und eben doch der Heiland, der Sohn Gottes, der Mann am Kreuz, an dem sich Glaube oder Unglaube, Leben oder Tod, Heil oder Verlorenheit entscheidet.

Was fällt ihnen ein, wenn sie dazu etwas sagen sollten: "...uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft." Ich bin überzeugt, dass viele hier auch ihre Geschichte beitragen könnten, die zeigt, wie viel Kraft und wie viel Freude darin liegen, das "Wort vom Kreuz" verstanden, die Torheit Gottes, die allein Weisheit ist, begriffen zu haben. Und von dieser Freude her wird uns auch deutlich, wie dunkel ein Leben sein muss, das nur die Weisheit der Welt sucht, das auf die eigene Stärke baut und so die Kraft Gottes und das Kreuz Jesu verachtet.

"Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden..." Verloren werden... Ja, das gibt es. Und wir wollen davon auch sprechen und predigen. Wir wollen nichts von Gottes guter, froher Botschaft weglassen, verstecken oder verkürzen. Erst weil es auch die Verlorenheit gibt, kann das so richtig strahlen, dass wir durch Jesus Christus gefunden sind!

Aber wir wollen von daher kommen bei unserem Reden und Verkünden: "...uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft." Sprechen wir davon, was das Wort vom Kreuz für uns bedeutet. Bezeugen wir die Kraft, die darin liegt. Lassen wir die Freude aufscheinen, die uns das schenkt, "gefunden" zu sein. Aber tun wir's ohne Hochmut, ohne Dünkel und Überheblichkeit.

Auch dass wir zu denen zählen dürfen, denen Gottes Torheit Weisheit ist, ist nicht unser Verdienst, sondern allein Gottes Schaffen und Schenken. Lasst uns dankbar sein!