Predigt zum Sonntag "Palmarum" - 04.04.2004

Textlesung: Phil. 2, 5 - 11

Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde!

Kürzlich klagte ein (Kollege) Pfarrer: "Manchmal möchte man alles hinschmeißen...den Dienst an den Nagel hängen...nicht mehr in der Öffentlichkeit stehen...ein ganz zurückgezogenes Leben führen. Wen gewinnen wir eigentlich noch mit der frohen Botschaft, die wir zu sagen haben? Wer lässt sich davon wirklich bewegen und verändern? Die Leute brauchen die Angebote der Kirche doch nur noch zur Verschönerung ihrer Familienfeste, als äußere Verzierung ihres Lebens. So taufen wir Kinder, deren Eltern wir nie wieder sehen. Wir konfirmieren junge Leute, die wir erst wieder zu Gesicht bekommen, wenn sie einen Patenschein brauchen. Wir trauen Paare, die wir vorher nicht kannten und die nachher wieder untertauchen. Wir beerdigen Menschen aus der Gemeinde, deren Namen wir nie gehört haben und wir predigen Jahr für Jahr vor weniger Gottesdienstbesuchern." Das war noch nicht die ganze Klage des (Kollegen) Pfarrers, aber ich möchte hier abbrechen.

Vielleicht interessiert es sie, was ich auf solche Worte entgegnen würde? Doch sicher: In unserer Gemeinde ist das ganz anders! - Nein, ich will bei der Wahrheit bleiben. Ich leide oft auch unter solchen Erfahrungen! Das macht mir genau so zu schaffen! Ich weiß manchmal auch nicht weiter. Was sollen wir denn noch tun? Was können wir denn noch anbieten? Wie sollen wir die gute Nachricht denn noch zeitgemäßer an die Frau und den Mann bringen? -

So: Und jetzt Schluss mit der Klage! Ich habe mich nämlich auch einmal gefragt, woran das liegt, was der (Kollege) Pfarrer beklagt: Das geringe Interesse. Die schwindende Kirchlichkeit. Die Tatsache, dass es das Evangelium immer schwerer hat in unserer Zeit.

Wir wollen einmal darüber nachdenken. Diese Fragen sollen uns dabei leiten: Was sind die Werte, die Ideale in unserer Gesellschaft? Woran orientieren wir uns? Was gilt uns noch als erstrebenswert?

Betrachten wir dazu den Lebensweg eines Durchschnittsbürgers. Wir wollen ihn Fritz nennen. Jahrgang 1968. Schauen wir uns die Wegweiser an, die am Rande seines Weges Orientierung gegeben haben und geben: Schon früh hat Fritz gelernt, worum es geht: "Wenn du nicht lieb bist, gibt's keinen Pudding!", hat die Mutter gesagt. Also war Fritz lieb. Und es gab Pudding. Er begriff: Wenn du was willst, musst du was bringen. Wohlverhalten wird versüßt. Später in der Schule war's nicht anders. Die guten Noten kriegte, wer etwas leistete. Also gab Fritz sein Bestes. Er sah die Kameraden neben sich absteigen: Nicht versetzt, kein Abschluss. Er hielt durch und begriff: Wer weiterkommen will, muss Leistung zeigen. Damit hatte er das Rüstzeug für den unaufhaltsamen Aufstieg. Und man konnte es auch sehen: Mofa, Moped, Auto, größeres Auto, beruflicher Erfolg, Haus... Heute ist Fritz 35. Leitende Stellung. Er hat's geschafft, wie man sagt. Vor allem weiß er, wo's im Leben lang geht und was zählt: Hochkommen, Karriere machen, Erster sein... Halt, wir dürfen etwas nicht vergessen: Dreimal ist die Botschaft von Jesus in das Leben von Fritz gekommen. Das war bei der Taufe - aber da war er noch sehr klein. Die Eltern versprachen damals, ihr Kind im Glauben zu erziehen und es in die Gemeinde hineinwachsen zu lassen. Aber wer erinnerte sich später noch daran? In den Kindergottesdienst hat ihn nie jemand geschickt. Einmal in der Woche sollte der Junge schließlich ausschlafen dürfen; er war doch in der Schule so fleißig! Dann war da auch noch der Religionsunterricht. Der Lehrer mühte sich redlich. Aber Papa hatte gesagt: In Religion kannst du ruhig schlafen, wenn's nur in Deutsch und Mathe stimmt. In Deutsch und Mathe stimmte es. - Ja und dann gab es da noch die Trauung. Frau Inge wollte es. Die Eltern bestanden darauf: "Ist doch so feierlich...gehört einfach dazu..." In dieser Feier kam Jesus jedenfalls zum dritten Mal in das Leben von Fritz - wenn auch nur kurz. Das ist 10 Jahre her. Und in diesen 10 Jahren ist bei Fritz eines immer fester und fester geworden: Die Gewissheit, was denn das Ziel des Lebens sei: Nach oben kommen, sich oben halten, das Erreichte sichern, die Tage auskosten, sich etwas leisten, jemand sein, seinen Mann stehen, immer vorndran...

So und jetzt stellen wir uns einmal vor - nur für einen Augenblick - Fritz wäre heute Morgen hier. "Ziemlich unwahrscheinlich", meinen sie? Ich gebe ihnen recht, aber vorstellen kann man es sich ja mal... Er hat also vorhin den Predigttext gehört. Jesus kam in sein Leben, ein viertes Mal, und mit ihm gleich das ganze Evangelium: "Jesus entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an, erniedrigte sich, war gehorsam bis zum Tod am Kreuz..." Ei, ich sage ihnen ganz ehrlich: Ich könnte verstehen, wenn Fritz das nicht begreift. Wie soll er denn auch. Er hat doch immer nur den Weg nach oben gekannt, steil aufwärts, der Größte sein... Und hier geht nun einer nach unten, bis zum Kreuzestod für andere, auch noch freiwillig... Und den nennen sie nun den "Sohn Gottes? Und den bekennen sie nun als ihren Herrn. Ja, ich verstehe Fritz, wenn er den Kopf schüttelt...ich verstehe ihn und kann ihn nicht verurteilen!

Denn wo hat er denn Eltern gehabt, die ihm von Kindheit an vorgelebt hätten, wie die "Gesinnung" aussieht, "die in Christus Jesus war"? Fritz hat doch nur gelernt, wie man die Ellenbogen benutzt, wie man hochkommt, wie man seinen Platz in Leben einnimmt... Was weiß er denn von der Freiheit dieses Herrn, der wie Gott war und darauf verzichten konnte, der einer von uns wurde - aus Liebe! - Sein Glaube an Jesus hatte nie eine Chance.

Ja und wo waren denn Menschen in seiner Nähe, die ihn gelehrt hätten, in dieser Freiheit Jesu zu stehen: Selbst verzichten können, das Wohl des Mitmenschen höher anzusetzen als das eigene, wirklich Liebe weitergeben... Fritz hat doch nur gelernt: Es schenkt dir keiner was, also nimm dir, was du brauchst, du bist genau so viel, wie du bringst... Zeig' was du kannst, denn nur Leistung zählt. Woher soll's denn kommen, das Staunen über Jesus, der unserem Drang nach oben Dienst und Knechtschaft entgegenstellt. - Sein Glaube an Jesus hatte nie eine Chance.

Und wo wären sie denn gewesen, die Freunde, die ihm einmal ein gutes Wort von diesem Heiland gesagt hätten: Warum er gestorben ist, warum wir jetzt frei sind von Sünde und Schuld, dass wir neu anfangen können, dass ein Leben in der Nachfolge Jesu einfach Sinn hat, fröhlich macht, die Angst nimmt... Fritz hat doch nur den Zwang kennen gelernt: Immer fragen müssen, was hab' ich davon...immer alles haben müssen, was das Ansehen steigert...immer an die Karriere denken müssen... Wie soll er denn begreifen, dass da einmal einer auch um seinetwillen ans Kreuz gegangen ist, damit er wirkliches Leben hätte!? - Sein Glaube an Jesus hatte nie eine Chance.

Liebe Gemeinde, sie haben gemerkt: Es gibt ihn, diesen Fritz - und mag er auch Marc, Michael oder Helmut heißen. Und es gibt auch diese Eltern, diese Menschen in seiner Nähe, diese Freunde...die so jämmerlich versagt haben. Darum verstehe ich Fritz, wenn er den Kopf schüttelt. Trotzdem macht es mir zu schaffen. Trotzdem leide ich darunter, dass es Menschen gibt, die das Evangelium nicht hören wollen...oder können: Wie Fritz.

Und doch weiß ich: Sie müssen es hören. Und wir alle wissen es: Sie brauchen diese gute Botschaft, es hängt so viel davon ab. Und unser Herr hat Fritz noch nicht aufgegeben! Und seinen Auftrag an uns, ihm von unserem Glauben zu erzählen und was Jesus für uns bedeutet, hat er noch nicht zurückgenommen! Weil das so ist, wollen wir nicht aufhören oder wieder neu damit beginnen, Wege zum Herzen von Fritz und den Herzen der anderen Menschen zu suchen. Darum wollen wir nicht nachlassen, die ganz neue Art zu probieren, die zu erreichen, die unerreichbar scheinen. Darum wollen wir nicht aufgeben, die Botschaft weiterzusagen, die Kinder zu lehren, Jesu Liebe zu den Mitmenschen hinzuleben und vor ihnen zu bezeugen, was unser Halt im Leben ist und worauf wir vertrauen und hoffen. Und wir wollen das tun trotz unserer manchmal fast verzweifelten Meinung, das alles hätte doch keinen Zweck und wäre verlorene Liebesmüh...

Lassen wir uns heute durch diese Worte sagen, was trotz all unserer Klagen und Zweifel die festeste Gewissheit ist: Dass in dem Namen Jesu sich beuge jedes Knie derer, die in Himmel und auf Erden sind und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Fritz und alle Menschen müssen die Botschaft hören. Sie brauchen sie. Es hängt so viel davon ab - für Fritz, die anderen Menschen und - für uns!