Predigt zum 1. So. n. Epiphanias - 11.01.2004

Textlesung: Röm. 12, 1 - 3; 4 - 8

Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.

Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat. Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß. Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er. Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er. Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er. Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn. Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er's gern.

Liebe Gemeinde!

Irgendwo habe ich einmal gelesen, das Evangelium von Jesus Christus wäre eine Vorwegnahme von dem, was noch nicht ist, was aber nach Gottes Willen sein soll. Vor dem Hintergrund der Verse, die wir eben gehört haben, können wir das wohl glauben, wenigstens was den Gedanken angeht, "dass es noch nicht ist": "...dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt...", "dass wir unseren Sinn erneuern und uns nicht der Welt gleich machen...", "dass wir gern Barmherzigkeit üben" und überhaupt, dass wir nach Gottes Willen "das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene" tun. Ja, wo geschieht das denn? Und wer hält es denn so?

Wir möchten hier doch ganz nüchtern entgegnen: Im Gegenteil! Die Menschen kreisen immer mehr um sich selbst und meinen wunder, wer und was sie doch sind. Und von wegen, jemand erneuerte seinen Sinn! Es ist vielmehr das ewig gleiche enge Denken, dem die Leute anhängen, mindestens seit sie erwachsen sind, derselbe Hochmut, mit dem sie sich über andere erheben, dasselbe Dünken, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen und alle anderen hätten keine Ahnung - von Erziehung zum Beispiel, von politischen Zusammenhängen oder auch davon, wie und was der Christ zu glauben und zu hoffen hat... Was das der "Welt-Gleich-machen" angeht, bietet die Christenheit ein besonders trauriges Bild: Wir sind in allem mit denen "aus der Welt" verwechselbar geworden. Die selben trübsinnigen Mienen angesichts der wirtschaftlichen Zukunft, wie sie Menschen haben, die Gott nicht kennen. Die gleichen Reden und Sprüche darüber, dass alles nur noch schlimmer kommen kann und früher angeblich alles besser war. Keine Hoffnung auf Veränderung, keine Zuversicht in Gott... Und "gern Barmherzigkeit üben", das tun wir doch auch nicht, wenn wir ehrlich sind. Dazu hat uns die Ellenbogengesellschaft doch schon viel zu sehr geprägt. - Wir sind also weit entfernt davon, was das Gute, Wohlgefällige und gar Vollkommene wäre!

Mir persönlich macht übrigens in den Worten des Paulus - vor allem anderen - das Schwierigkeiten: "Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er!" Nicht dass ich diese Weisung verkehrt finde, wohlgemerkt! Aber sie ist doch heute absolut unrealistisch! Anders gesagt: Daran hält sich doch nun wirklich kein Mensch - wenn er erst die Leitersprossen bis in einige Höhe hinaufgeklettert ist.

Auch hier ist es doch gerade anders herum: Wer den Abteilungsleiterposten ergattert hat, verändert oft zum Nachteil der MitarbeiterInnen sein Wesen und sein Denken. Wenn er früher zu dienen bereit war, so will er jetzt endlich herrschen. Das Verständnis, das er früher von seinen Vorgesetzten erwartet hat, ist er nicht mehr bereit, anderen entgegenzubringen. Oft rächt er sich jetzt für früher von oben erlittene Schmach an denen, die nun "unten" sind, indem er sie drangsaliert und ihnen die Anerkennung vorenthält, die sie doch verdient haben.

In der Politik ist das keinen Deut besser: Wer weiß das schon noch, dass "Minister" z.B. eigentlich "Diener" heißt? Wer versteht sich gar in solch "hohen" Ämtern wirklich nur als einer, der dem Wohl und den gerechten Lebensbedingungen aller Menschen in der Gesellschaft "dienen", ja, den Armen, den Schwachen und denen am Rande in ganz besonderer Weise zu ihrem Recht verhelfen soll? Was wir gerade in unserem Land erleben ist doch vielmehr das: Gerade von den Schwachen und den Armen erhebt man den größten Beitrag - und wenn Sie das nächste Mal zum Arzt gehen, ganz buchstäblich! - für die Gesundung eines kranken Gesundheitssystems, das einmal eine Solidargemeinschaft gewesen ist. Und wenn wir an den Umgang mit den Rentnern denken und wie man sie gerade um einen guten Teil der ihnen einmal versprochenen Früchte ihrer oft viele Jahrzehnte langen Arbeit und Beitragszahlungen bringt, dann wird es ganz deutlich: Nicht mehr zuallererst der Wohlfahrt der Schwächsten dienen wollen die Damen und Herren, die in unserem Staat die Macht haben, sondern Herrschaft ausüben und den Weg gehen, auf dem sie den geringsten Widerstand erwarten müssen.

Und sehen wir noch nach der Kirche... In einer Zeit, in der auch die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Kirchengemeinden - bei enorm gestiegenen Anforderungen - unter dem Strich immer weniger verdienen und man ihnen einen großen Teil des im Familienhaushalt eingeplanten und bitter nötigen Weihnachtsgelds vorenthält, genehmigt eine Landeskirche ihren 110 leitenden Kirchenbeamten eine saftige Gehaltserhöhung. Ist das schon an Instinktlosigkeit kaum mehr zu überbieten, so erregt doch auch die durch die Kirchenleitung veröffentlichte Begründung dafür den Zorn jedes vernünftig und christlich denkenden Menschen: Nur durch ein höheres Gehalt könne man die für bestimmte Posten besonders kompetenten, verantwortlichen und motivierten Mitarbeiter gewinnen bzw. dort halten. - Ob wohl jemand darüber nachgedacht hat, was er damit eigentlich über die PfarrerInnen in den Kirchengemeinden sagt, über ihre Verantwortlichkeit, ihre Kompetenz und ihre Motivation für den Dienst an den ihnen anvertrauten Menschen in Seelsorge und Verkündigung? Und ob wohl auch die andere Seite zu Ende gedacht worden ist: Dass anscheinend auf den höheren Positionen der Kirche Jesu Christi nur noch dann angemessen gearbeitet wird, wenn ein höheres Gehalt dabei herausspringt? Jedenfalls ist auch in der Kirche inzwischen der Umgang miteinander, die Beziehung von "oben" nach "unten" weltenweit von dem entfernt, was Paulus uns hier nahe bringen will: "Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er!"

Liebe Gemeinde, was will ich jetzt noch sagen? Wie lassen sich die Worte des Paulus überhaupt noch predigen in einer Welt und einer Zeit, die doch so ganz offensichtlich nichts mehr davon hören und wissen will: "...dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt...", "dass wir unseren Sinn erneuern und uns nicht der Welt gleich machen...", "dass wir gern Barmherzigkeit üben" und überhaupt, dass wir nach Gottes Willen "das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene" tun, dass wir unser Amt dazu nutzen, den Menschen zu dienen...

Ich glaube fest, dass gerade diese Welt und unsere Zeit diese Verse, diese Mahnung hören soll, hören muss! Wenn die Gesellschaft, die Arbeitswelt und sogar die Kirche heute so ist, dass in ihnen ganz andere Gesetze zu herrschen scheinen, dann ist es ja wohl ganz besonders nötig, dass wir solche Worte und Gedanken neu in die Gesellschaft, die Arbeitswelt und die Kirche hineinrufen!

Was mich dabei ermutigt ist dies: Auch Paulus hat das damals nicht in Verhältnisse hineingesagt, die so gewesen wären, dass seine Mahnung eigentlich überflüssig war. Warum hätte er es sonst sagen müssen? - Die andere Seite aber ist dies: Es hat zu allen Zeiten auch Menschen gegeben, die sich solche Mahnungen nicht nur widerwillig angehört, für weltfremd befunden und abgetan haben, sondern auch jene, die sie sich zu Herzen genommen und im Spiegel solcher Worte sich als die erkannt haben, die sich verändern müssen, bessern sollen, die - um es neutestamentlich zu sagen - umkehren müssen zu einem Leben, das Gott gefällt, das dem Evangelium von Jesus Christus gemäß und einem Christenmenschen angemessen ist.

Es wäre gut, wenn alle, die im Arbeitsleben anderen vorgesetzt sind, wieder anfingen, die Menschen, die ihnen untergeben sind als Menschen zu erkennen, Menschen, die Zukunftsängste haben, die für Familien sorgen müssen, die von dem abhängig sind, was sie verdienen und Menschen auch, die Gefühle haben, die sich freuen, wenn man ihre Arbeit anerkennt und wertschätzt und wenn man ihnen das auch einmal sagt.

Es wäre gut, wenn alle, die in der Politik - und sei es im Ortsverband oder im Gemeinderat - Entscheidungen treffen, sich an dem orientierten, was die Menschen brauchen. Und gut wäre es, wenn sie dabei besonders auf die Schwachen und Armen achten, die sich selbst nicht helfen können und für die meist niemand spricht und sich stark macht. Da wird hinter manchem Kosten verursachenden "Fall", ein trauriges Schicksal zum Vorschein kommen und in manchem Geschick eine Verkettung von ungünstigen Umständen, die der Mensch, um den es geht, gar nicht selbst zu verantworten hat. Und gut wäre es auch, wenn sich die Politiker an der Spitze und in den Positionen, die wirklich die uns alle betreffenden Gesetze machen, wieder fragen würden, von wem der finanzielle Beitrag, der ihm abverlangt wird, wirklich etwas fordert und für wen der eigentlich keine Last bedeutet.

Und schließlich wäre es gut, wenn alle, die in der Kirche Verantwortung tragen und in besonderer Weise einem Leben nach dem Evangelium verpflichtet sind, wieder den "Dienst" für die Menschen entdecken, nicht nach dem höheren Gehalt, sondern zuerst nach der liebevollen Zuwendung zu den Schwestern und Brüdern in Jesus Christus fragen. Vielleicht erkennen sie so auch für sich selbst eine neue Motivation ihrer Arbeit, übernehmen Verantwortung für andere, wie sie ein guter Hirte wahrnimmt und entwickeln eine Kompetenz in der Solidarität, im Dienen und in der Liebe mit und zu den Geschwistern, die auch der Kirche in der Gesellschaft neue Strahlkraft verleiht, so dass auch die Menschen außerhalb der Kirche wieder neugierig auf die gelungene Gemeinschaft werden und sprechen: Es ist doch etwas dran, wenn Jesus seinen Leuten das Wort mit auf den Weg durch die Welt und das Leben gegeben hat: "Unter euch soll es nicht so sein!"

Wie es sein soll, sagt uns Paulus heute so: "...dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt...", "dass wir unseren Sinn erneuern und uns nicht der Welt gleich machen...", "dass wir gern Barmherzigkeit üben" und überhaupt, dass wir nach Gottes Willen "das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene" tun, dass wir unser Amt dazu nutzen, den Menschen zu dienen... AMEN