Predigt zum 2. So. n. Weihnachten - 04.01.2004

Textlesung: 1. Jh. 5, 11 - 13

Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.

Alles liegt in diesem Wort daran, dass wir "den Sohn haben". Das wird uns retten und uns dieses und das ewige Leben gewinnen. Wir müssen also den Sohn finden - oder er uns. Und dazu wieder müssen wir wissen, wo wir zu suchen haben - oder wie wir ihn bei uns aufnehmen.

Ich will uns eine Geschichte erzählen, die uns helfen kann, den Sohn, Jesus Christus und mit ihm das Leben zu finden, ihn zu erkennen, uns ihm zuzuwenden und so vielleicht ihn und mit ihm das Leben für uns zu gewinnen. Es ist eine Geschichte, die uns nachdenklich machen möchte, nachdenklich über uns, unseren Glauben, unsere Sache mit Gott...in der Vergangenheit...im letzten Jahr...zukünftig...

Es war einmal eine alte Frau, der hatte der Herr versprochen, sie heute zu besuchen. Darauf war sie natürlich nicht wenig stolz. Sie scheuerte und putzte, buk und tischte auf. Und dann fing sie an, auf den Herrn zu warten. Auf einmal klopfte es an der Tür. Geschwind öffnete die Alte, aber als sie sah, dass draußen nur ein armer Bettler stand, sagte sie: "Nein, in Gottes Namen, geh heute deiner Wege! Ich warte eben gerade auf meinen lieben Herrn, ich kann dich nicht aufnehmen!" Und damit ließ sie den Bettler gehen und warf die Tür hinter ihm zu. Nach einer Weile klopfte es von neuem. Die Alte öffnete diesmal noch geschwinder als beim ersten Mal. Aber wen sah sie draußen stehen? Nur einen armen alten Mann. "Ich warte heute auf meinen lieben Herrn. Wahrhaftig, ich kann mich nicht um dich kümmern!" Sprach's und machte dem Alten die Tür vor der Nase zu. Ein weiterer Besuch ließ nicht lange auf sich warten. Die Bitte um ein Dach über dem Kopf für die Nacht schlug sie ab. Der Bittsteller musste weiterwandern, und die Alte fing aufs neue an zu warten. Die Zeit ging hin, Stunde um Stunde. Es ging schon auf den Abend zu, und immer noch war der Herr nicht zu sehen. Die Alte wurde immer bekümmerter. Wo mochte der liebe Herr geblieben sein? Zu guter Letzt musste sie betrübt zu Bett gehen. Bald schlief sie ein. Im Traum erschien ihr der Herr. Er sprach zu ihr: "Dreimal habe ich dich aufgesucht, und dreimal hast du mich hinausgewiesen!"

Erst macht uns die Geschichte eher mutlos: Verpasste Chancen, Jesus zu begegnen. Er war da - die Alte hat ihn nicht erkannt. Wird er noch einmal kommen? - Aber sehen wir doch auch das: Er war da! Er hat sich ihr zugewandt. Er hat Wort gehalten! Sie hatte sich so gefreut - er ließ sie nicht im Stich! Das kann Hoffnung geben! Wir warten doch auch, jede und jeder hier: Dass einer meine Einsamkeit durchbricht. Dass ich wieder ein bisschen Lebensfreude gewinne. Dass ich mehr Sinn und Farbe in mein tägliches Einerlei bekomme. Dass sich mein Gesundheitszustand bessert, oder ich ihn wenigstens leichter ertragen kann. Dass ich die Liebe eines Menschen finde. Dass ich einem anderen meine Zuneigung schenken kann. Und so viele Menschen hier zusammen sind, so viele Erwartungen sind es auch! Und da möchte es uns diese Erzählung zusagen: Der Herr kommt! Er will, dass wir ihn "haben" und mit ihm das volle, runde Leben. Der, vor dem all unsere Wünsche offenbar sind, wird Wort halten! Und der Herr will mir ja auch meine Lebenswünsche erfüllen. Wenn auch nicht alle, so doch diese: Er will ja doch, dass ich in guter Gemeinschaft mit anderen lebe, dass ich jeden Tag ein wenig Freude habe, dass ich Sinn erfahre, dass ich nicht unter meinen Lasten zusammenbreche, dass ich Liebe gebe und empfange... Was anderes zeigt mir denn sein Leben in dieser Welt?: Daran lag ihm doch, dem Heiland, dass alle durch ihn froh würden, frei von Schuld und Gebrechen, und befreit zu einem neuen Leben. Dafür ist er dann gestorben und das hat er mit seiner Auferstehung besiegelt: Er will mein Glück, meine Freude, mein Heil! Und er setzt das ins Werk! Er verheißt nicht nur, er tut's auch. Er will sich mir schenken, ich soll ihn "haben".

Aber nun will er auch, dass ich mich ihm öffne! Aber er ist vielleicht anders als erwartet. Er begegnet mir nicht in der Gestalt, wie ich meine: Die Alte in der Geschichte hatte sich ihr Bild gemacht von ihrem "lieben Herrn": Als ein wohlgekleideter Besucher sollte er zu ihr kommen, nicht als ein bettelnder Landstreicher. Als ein Reicher, angetan mit einem Stück seiner himmlischen Herrlichkeit sollte er pünktlich auf ihrer Schwelle stehen, nicht als ein armer Schlucker zur Unzeit. Und er sollte selbst ein paar Gaben mitbringen und nicht als ein Streuner um ein Nachtlager bitten. Nein, sie konnte ihn nicht erkennen - er war so anders als erwartet. Und - genau genommen - sie hätte ihn so auch gar nicht gewollt.

Ja, und jetzt geht uns wohl durch den Kopf: Ob er denn bei mir war in den vergangenen 12 Monaten des gerade zu Ende gegangenen Jahres? Ob ich ihn etwa auch nicht erkannt habe? Ob ich ihn wohl auch abgewiesen habe, weil er mir zu arm, zu unbedeutend, zu hilflos, zu schwach und vor allem zu ungelegen kam? Vielleicht war er der Nachbar von nebenan, den ich - als es ihm so schlecht ging - hätte besuchen müssen. Vielleicht war er das Schlüsselkind, das immer den ganzen Nachmittag allein ist und das niemand für ein paar Stunden bei sich aufnimmt. Vielleicht war er auch der Mitmensch, der mich vor einiger Zeit um Verzeihung bitten wollte und den ich so kalt habe abblitzen lassen. Oder - war er etwa gar der gottlose Zeitgenosse, der immer über den christlichen Glauben herzieht und dem ich nichts erwidert habe und den ich auch gar nicht begreifen wollte... Wie hätten wir den Herrn erwartet? Nun, gewiss als einen, der mir etwas gibt und nicht, dem ich geben soll und der bei mir die Hand aufhält! - Wenn er das nun auch von uns sagen würde: "Ich habe dich aufgesucht und du hast mich hinausgewiesen."

Liebe Gemeinde, bevor wir nun doch den Mut sinken lassen, wollen wir auch den ermutigenden, hoffnungsvollen Zug der Geschichte betrachten - und der liegt - so seltsam das klingt - in dem, was sie verschweigt: Der "liebe Herr" sagt zu der Alten nicht: "Jetzt werde ich dich nicht mehr besuchen!" Das bleibt offen und das möchte auch unsere Hoffnung für dieses beginnende Jahr wecken: Er kann schon morgen vor unserer Tür stehen und in unser Leben treten. Vielleicht als der, mit dem ich seit Jahr und Tag kein Wort mehr rede und den ich jetzt endlich einmal aufsuche, mich ausspreche und das Vergangene endlich vergebe und begrabe. Oder als einer von den einsamen Menschen unseres Dorfes (unserer Stadt), den ich von nun an einmal in der Woche besuche, um für ein paar Stunden seine Zeit zu teilen. Und vielleicht als die Stimme eines Auftrags, diesen oder jenen Dienst in der christlichen Gemeinde zu übernehmen und treu und zuverlässig zu erfüllen. Es ist wohl das Geheimnis dieses Herrn, warum er meist als Bittsteller, als Bedürftiger, als einer, der Hilfe braucht und als einer, dem wir unser Herz öffnen sollen an uns herantritt. Aber es ist ein Geheimnis, das sich dem lüftet, der ihn in den armen und bedürftigen Menschen erkennt und sich ihm zuwendet: Da - wo ich gebraucht werde - erfahre ich seine Nähe, seine Kraft und Ermutigung! Und es liegt Sinn darin! In der Liebe, die ich gebe, besteht das Glück! Alles, was ich verschenke, macht mich reich!

Ich könnte noch in vielen schönen Worten von diesem Geheimnis reden, aber es wird sich dem nicht enthüllen, der den "lieben Herrn" nicht aufnimmt, wenn er morgen, verkleidet in die Gestalt eines Mitmenschen, bei mir anklopft. Darum wünsche ich uns allen, dass wir es lernen, hinter den verhärmten, fragenden, bitteren, hässlichen und vielleicht sogar abstoßenden Zügen unserer Nächsten, das Angesicht des Herrn zu sehen.

Ein ganzes Jahr liegt vor uns. Ich bin gewiss, der Herr wird kommen. Er wird Wort halten. Es wird manche Gelegenheit geben, dass es für uns wahr wird: "Wer den Sohn hat, der hat das Leben..." Wir dürfen gespannt sein, in welcher Gestalt er zu uns kommt. Erwarten wir ihn in den geringsten Brüdern und Schwestern! Die waren schon damals, als er über diese Erde ging, seine Freunde und seine Auserwählten. So werden wir sein Geheimnis lüften. So kehrt er selbst bei uns ein. So rettet er uns vor einem sinnlosen, unerfüllten Leben zu einem, in dem er "drin" ist und an dem wir Freude und volle Genüge haben.

2. Textlesung: Und das ist das Zeugnis, dass uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.