Predigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis - 11.10.2009

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Textlesung: Mk. 12, 28 - 34

Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?

Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« (5. Mose 6,4-5).

Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.

Als Jesus aber sah, dass er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

Liebe Gemeinde!

Was Jesus hier auf die Frage nach dem höchsten Gebot antwortet, hat zunächst sicher niemand von den Schriftgelehrten besonders überrascht oder gar aufgeregt. Zunächst! So hätten sie selbst das oberste Gebot mit Sicherheit auch beschrieben, ja, sogar genau so auswendig hergesagt: "Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften." Das nämlich war der Text des Glaubensbekenntnis', das jeder fromme Jude morgens und abends betete.

Jesus zeigt also ganz deutlich, dass er auf dem Boden des traditionellen Judentums steht und seine Gebote und Gebete hoch und heilig hält. Wenn er jetzt aber weiterredet, werden die Schriftgelehrten wohl aufgehorcht haben, ja, wahrscheinlich blieb ihnen vor Schreck der Mund offen stehen: "'Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst' (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese." Das war neu! Das war anstößig! Jesus stellte damit den Menschen quasi auf die selbe Ebene wie Gott! Und selbst wenn es im Judentum durchaus auch darum ging, den Mitmenschen, den Nächsten gegenüber freundlich zu sein, sie zu achten, ihnen zu helfen und sie mit Almosen zu unterstützen, so war es doch ganz unmöglich, ja gotteslästerlich, sie mit Gott in einem Atemzug zu nennen!

Darum beweist der eine Schriftgelehrte, der Jesus die Frage nach dem höchsten Gebot gestellt hatte, hier sehr viel Mut: "Meister, du hast wahrhaftig recht geredet!" Da wären die anderen Frommen, die Jesu Antwort gehört hatten, gewiss anderer Meinung gewesen! Aber sie bleiben ruhig, auch dann noch, als sie aus dem Mund eines der ihren hören müssen: "Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer." Jetzt wurden auch noch ihre Opfer in den Dreck gezogen! Wirklich, das war schon hart, was sich die frommen Juden hier sagen und gefallen lassen mussten! Und der Gipfel war schließlich, dass Jesus den Frager noch einmal ausdrücklich bestätigte: "Du bist nicht fern vom Reich Gottes." Trotzdem wagt keiner das Wort gegen die beiden zu ergreifen. Jesus muss doch eine große Autorität ausgestrahlt haben, denn es heißt: "Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen."

Liebe Gemeinde, um diese kleine Geschichte über die Frage nach dem höchsten Gebot verstehen zu können, mussten wir uns in die damalige Zeit und das jüdische Denken hineinversetzen. Denn von unserem Glauben und von unserer Beziehung zu Gott und Jesus Christus her, könnten wir nicht nachvollziehen, was die Antwort Jesu damals bedeutete und was die frommen Juden dazu gedacht haben. Wir hätten, wenn wir ein wenig bibelfest sind, sicher mit dem so genannten "Doppelgebot der Liebe", das wir bei Lukas (10,27) lesen, auf die Frage des Schriftgelehrten geantwortet: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst." Aber das lesen wir eben im Neuen Testament und wir sind keine Juden, sondern Christen, für die Jesus Christus der Herr und der Sohn Gottes ist. - Ist die Geschichte um das höchste Gebot also gar keine Geschichte für uns?

In einem ersten Sinn wohl nicht, denn wir haben keine Schwierigkeiten damit, Jesus als Bruder und Gott als unseren Vater anzusehen. Das liegt ja schon in der Weihnachtsgeschichte, in der wir erfahren, dass Gott selbst Mensch wird und sich in einem kleinen Kind in die Menschenwelt begibt. Ja, nicht nur das, Gott wird auch noch einer von den Kleinen, den Niedrigen und Schwachen: Er legt sich in eine Futterkrippe in einem Viehstall, nicht in eine goldene Wiege in einem Palast.

Uns sind auch all die Texte, Geschichten und Gleichnisse Jesu vertraut, die von Gott als unserem Vater sprechen: Das "Vater"-unser, die Erzählung vom Vater, der seine Söhne in den Weinberg zur Arbeit schickt und das Gleichnis vom verlorenen Sohn ... , um nur drei Beispiele zu nennen.

Von daher haben wir kein Problem, Gott nicht (nur) im Himmel zu suchen, sondern in Jesus Christus und in jedem anderen Menschen, der sein Antlitz trägt und uns Schwester oder Bruder ist.

Etwas anderes aber ist durchaus nicht so einfach für uns: Dass nämlich unsere Liebe zum Nächsten auch wirklich Schritt hält mit unserer Liebe zu Gott! Anders gesagt: Dass sich die Gottesliebe mit der Liebe zu jedem Mitmenschen deckt.

Warum das so ist, warum uns die Liebe zu Gott relativ leicht, die Liebe zum Nächsten aber sehr schwer fällt, hat einen sehr einleuchtenden Grund. Wenn ich den jetzt ausspreche, wird uns nicht gleich der Mund offen stehen bleiben wie den Schriftgelehrten damals, aber wir werden vielleicht auch ein bisschen erschrocken und ärgerlich sein: Die Liebe zu Gott fällt uns so leicht ... weil sie nichts kostet! Es kann sie ja doch keiner wirklich überprüfen! Sie entschuldigen sicher, wenn ich zu dieser harten Antwort jetzt eine drastische kleine Anekdote erzähle: Da hat einer mit seinem Auto einen parkenden Wagen angerempelt, so dass der eine schlimme Beule am Kotflügel abbekommen hat. Der Verursacher der Beule steigt aus seinem Wagen, betrachtet sich den Schaden, nimmt dann angesichts der zahlreichen Passanten, die stehen geblieben sind und ihn jetzt beobachten, einen Notizblock aus der Tasche und beschreibt einen Notizzettel. Den faltet er zusammen und steckt ihn hinter den Scheibenwischer des angefahrenen Wagens. Die Passanten schauen zufrieden und gehen einer nach dem anderen weiter. Alle denken: Der Unfallverursacher hat seinen Namen auf den Zettel geschrieben und wird für die Kosten für die Beseitigung der Beule aufkommen. - - - Was der Mann wirklich geschrieben hat, ist aber dies: "Ich habe die Beule in Ihr Auto gefahren. Die umstehenden Passanten glauben jetzt, ich schreibe meinen Namen auf diesen Zettel. Sie irren sich aber."

Liebe Gemeinde, genau so ist es doch mit unserer Liebe zu Gott. Ob wir sie empfinden oder nicht - wissen nur wir. Kein anderer kann uns ins Herz sehen. Es bleiben immer nur Worte, wenn wir von dieser Liebe sprechen. Deshalb ist diese Liebe nicht schwierig.

Ganz anders die Liebe zum Nächsten. Hier ist immer alles ganz klar: Wenn ich über meinen Mitmenschen verächtlich rede, wenn ich ihn schlecht behandle, ihm nicht in seiner Not beistehe, dann liebe ich ihn nicht! Und umgekehrt ist es auch so: Wenn ich mich bemühe, ihn zu verstehen, auch wo er mich vielleicht ärgert, wo ich alles daransetze, dass er zu seinem Recht kommt und wo ich auch das höre, was er zu sagen hat, wenn alle sich gegen ihn stellen, dann habe ich die rechte Nächstenliebe in mir.

Zugegeben, das mag uns bei aller Liebe auch einmal passieren, dass wir zornig und ärgerlich über unsere Mitmenschen werden und dann auch einmal ein böses Wort fällt. Und genau so wird es auch Leute geben, die uns nur vorspielen, sie fühlten eine Zuneigung zu den anderen, im Grunde aber sind sie ihnen gleichgültig. Auf Dauer aber wird es sich offenbaren, wie einer wirklich denkt und gegenüber seinen Nächsten eingestellt ist.

Und ein für alle Mal hat Jesus damals auch deutlich gemacht, dass die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Nächsten nicht voneinander zu trennen sind: Immer wird ein Mensch, der Gott wirklich lieb hat, auch seine Mitmenschen lieben - denn sie tragen ja Gottes Antlitz und sind in Jesus Christus unsere Schwestern und Brüder! Und immer wird man darum auch von seiner Liebe zu den Nächsten rückschließen können, dass ein Mensch auch Gott liebt. Und auch sozusagen von der anderen Seite her ist das so: Die Nächstenliebe braucht sich schnell auf, wenn wir Gott nicht lieben. Und wer seine Mitmenschen nicht lieben kann, der wird auch Gott nicht lieben können.
Darum wollen wir uns in beidem üben: Lasst uns Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen unseren Kräften - und auch unseren Nächsten wollen wir lieben wie uns selbst! Dann gilt auch für uns, was Jesus damals dem Schriftgelehrten gesagt hat: "Du bist nicht fern vom Reich Gottes." Amen