Predigt zum 3. So.n. Epiph. - 25.1.2009

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Textlesung: Mt. 8, 5 - 13

Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn auch ich bin ein Mensch, der Obrigkeit untertan, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's. Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden! Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

Liebe Gemeinde!

Wir sind seit dem 1. Advent des vergangenen Jahres in der 1. Reihe der Predigttexte. In dieser Reihe, aus der uns in diesem Kirchenjahr zu predigen empfohlen ist, sind sehr viele der bekanntesten Geschichten aus den Evangelien versammelt - das haben Sie in den letzten Wochen auch sicher schon bemerkt. Und heute ist wieder ein sehr bekannter Text dran: Der vom heidnischen Hauptmann, dessen Garnison im Ort Kapernaum stationiert war.

Gerade solche bekannten Geschichten werden wir leicht und gern immer wieder in der gleichen Weise verstehen: Diese Geschichte heute wird meist als ein Beispiel dafür gesehen, wie groß der Glaube eines Heiden sein kann und wie viel größer sogar als der eines Juden, der doch den selben Gott hat, den Jesus seinen himmlischen Vater nennt. Der Hauptmann selbst steht uns dabei meist für einen Menschen, der aus uns unerfindlichen Gründen ein ganz großes Vertrauen zu Jesus aufbringt und einen Glauben, der wohl nur mit dem Wirken Gottes im Hintergrund der Geschichte zu erklären ist.

Mir ist aber jetzt, nachdem ich diese Geschichte zum vielleicht 50-sten Mal gelesen habe, etwas aufgefallen, was durchaus auch einmal Beachtung verdient. Eine Sache, die sonst hinter der Sicht des Hauptmanns als Glaubensheld immer zurücktreten musste. Heute will ich diese „Sache" einmal in den Mittelpunkt stellen und ich bin ganz sicher, dass sie das Ansehen des Hauptmanns nicht schmälert, sondern noch vergrößert!

Der Chef der Garnison von Kapernaum, dessen Namen wir nicht einmal kennen, ist nicht nur ein Vorbild im Glauben, er hat auch ein - verzeihen Sie, wenn ich das so deutlich sage - gerade für einen Mann erstaunliches Maß an Mitgefühl. Heute würden wir vielleicht von Sensibilität sprechen - und sie wäre auch in unseren angeblich so kultivierten Zeiten außergewöhnlich! Immerhin ist er ein befehlsgewohnter Soldat. Das beweist er ja auch, wenn er zu Jesus so spricht: „... wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's." Aber wie viel Fingerspitzengefühl zeigt er und wie viel tiefe Kenntnis der jüdischen Menschen in seiner Umgebung hat er, wenn er dem Juden Jesus ersparen will, in sein Haus zu kommen: „Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund." Jeder Jude, der das Haus eines Heiden betrat, verunreinigte sich und musste hinterher langwierige Reinigungsprozeduren auf sich nehmen. Der Hauptmann wusste das ganz offenbar. Aber es kommt noch viel besser und muss noch stärker unser Erstaunen erregen, wenn wir in dieser Geschichte ein wenig weiter zurück gehen: Wie kommt denn der Garnisonshauptmann dazu, sich um die Beschwerden und Schmerzen eines Untergebenen zu kümmern? Und selbst wenn es sein „Knecht", also vielleicht sein persönlicher Adjutant gewesen ist. Dafür gab es mit Sicherheit einen Arzt in der Truppe! Oder ein anderer Soldat hätte sich um den Kranken kümmern und die Unterstützung eines einheimischen Arztes besorgen können.

Nein, der Hauptmann tritt selbst für seinen Knecht ein. Er macht sich auf den Weg zu einem Juden, was ihm sicher schon nicht leicht gefallen ist, um ihn dann um Hilfe zu bitten, was gewiss noch schwerer für ihn war!

Wir wollen nun nicht weiter mutmaßen, warum der Hauptmann das alles für seinen Knecht auf sich genommen hat. Es würde uns auch nicht weiterführen, denn wir wissen hier nicht mehr, als die Geschichte uns erzählt. Auf jeden Fall aber wollen wir unserem Bild von diesem römischen Garnisonsoberen einen Zug hinzufügen: Er ist nicht nur ein Vorbild im Glauben und im Vertrauen, sondern wir können uns auch daran ein Beispiel nehmen, wie sehr er mit anderen Menschen fühlt und wie er sich in ihre Weltsicht und ihre religiösen Empfindungen hineindenken kann. Und ich glaube, ein wenig von diesem Fühlen und Denken würde uns allen gut tun!

Mir fällt dazu ein, wie schwierig es uns oft fällt, einen Menschen zu verstehen und anzunehmen, der in einem ganz anderen religösen Umfeld und einem völlig anderen Kulturkreis aufgewachsen ist. Einmal ganz hart gesprochen: Da steigt ein Mensch aus Anatolien, aus Eritrea oder dem Irak bei uns aus dem Flugzeug und soll doch schon gleich die wichtigsten gesellschaftlichen Spielregeln und Verhaltensweisen beherrschen. Und dann sagen wir vielleicht noch dazu: Wer bei uns lebt, der muss sich anpassen! Ein wenig Einfühlung in die Lage des Fremden würde uns selbst vor die Frage stellen: Wie viel weiß ich denn über Anatolien, Eritrea und den Irak? Wie würde ich mich denn dort verhalten und wie oft würde ich wohl gegen eine Regel oder gar ein Tabu verstoßen? Und diese Frage würde uns gewiss dahin führen, dass wir den Menschen mehr Zeit lassen, dass sie sich einleben, dass sie die neue Heimat kennenlernen können und sich dann vielleicht sogar heimisch fühlen. Meist kommt ja bei diesen Menschen noch die Trauer über den Verlust der früheren Heimat dazu, die sie aus Gründen des wirtschaftlichen Überlebens, der religiösen oder politischen Verfolgung verlassen mussten. Diese Trauer macht die Eingliederung bei uns nicht leichter!

Aber mir fallen auch die Menschen ein, denen die Gemeinschaft im Dorf, im Wohngebiet oder in der Straße einen Platz am Rande zugewiesen hat. Darüber wie diese oder jener so ist und was man von ihm zu erwarten hat, wird schon gar nicht mehr gesprochen. Das weiß doch sowieso jeder! Die Einschätzung von dieser kinderreichen Familie, das Ansehen dieses Langzeitarbeitslosen oder dieser alleinerziehenden Mutter, die drei Kinder (alle von anderen Vätern!) hat, wird geradezu von den Eltern aufs Kind vererbt und von den Alteingesessenen zu den neuen Nachbarn weitergetragen. Unser hochmütiges Wissen von ihnen ist wie eine Fessel, von der sie sich nicht befreien können. Ihrer Eingliederung in die Gemeinschaft, einer objektiven Bewertung ihres Verhaltens, vielleicht dem ehrlichen Versuch etwas in ihrem Leben zu ändern und auf die Menschen, von denen sie abgeschrieben sind, zuzugehen, stehen unsere eisernen Vorurteile, unsere feste, unwandelbare Meinung entgegen. Das Mitgefühl, das Verständnis für andere, wie es der Hauptmann von Kapernaum zeigt, würde versuchen, tiefer zu blicken. Mit Augen, wie er sie hatte, würden wir erkennen, wie hart und schwierig es heute ist, eine größere Familie durchzubringen. Ohren wie seine würden auch die unausgesprochenen Hilferufe eines Menschen hören, der schon lange keine Arbeit mehr findet und dem keiner eine Chance mehr gibt. Ein Herz wie es in der Brust des heidnischen Hauptmanns schlägt, würde sich auch der alleinerziehenden Mutter öffnen und nicht danach fragen, wie sie zu den drei Kindern gekommen ist, sondern wie es gelingen kann, dass diese Kinder auch bei schlechten Startchancen fröhlich und unbschwert aufwachsen und ihren Weg in ein Leben schaffen, das sie glücklich und zufrieden macht.

Aber mir geht auch noch durch den Kopf, wie sehr wir doch alle darunter leiden, wie andere von uns denken und wie unverrückbar ihre Meinung und Einschätzung von uns ist. Wie viele gibt es, da spüren wir es förmlich, wie hinter ihrer Stirn immer die selben Gedanken stehen, wenn sie uns sehen. Da sind wir selbst dann festgelegt auf unsere Vergangenheit, verhaftet auf etwas, was vielleicht nur auf ein Gerücht zurückgeht. Trotzdem: Wir fühlen uns gebunden und gefangen im Urteil der Menschen.

Aber man kann das ganz gewiss auch von der anderen Seite sehen: Wie stark knebeln nicht auch unsere Meinungen, Erwartungen und Erfahrungen von und mit anderen unser Verhalten ihnen gegenüber!? Wir geben sie auch nicht frei, dass sie Dinge, die ihnen seit Jahren und Jahrzehnten anhängen - oft nicht einmal von uns selbst erlebt oder überprüft! - endlich loswerden können. Auch wir sind oft genug Glied in der Kette, die sie fesselt und manchmal nach und nach erwürgt.

Liebe Gemeinde, ich wünsche uns heute etwas von diesem Mitgefühl des Hauptmanns von Kapernaum, etwas von seiner Bereitschaft, nach dem anderen zu fragen und ihn in seinem Wesen und seinen Handlungsweisen zu verstehen, etwas von seinem Gespür, dass auch der Fremde eigentlich nur einer ist, den man noch nicht genug kennt und der sich genauso wie wir danach sehnt, in Güte, Liebe und Freundlichkeit mit den anderen Menschen zusammenzuleben.

Ein gläubiges Vertrauen, wie dieser heidnische Hauptmann es zu Jesus aufbringt, wünsche ich Ihnen auch! AMEN