Predigt am 17. So. n. Trinitatis - 22.9.2002

[Predigten, Texte, Gedichte...] [Buch mit 365 Gedichten] [Diskussionsforum zur Kirchenreform] [Mein Klingelbeutel] [Liturgieentwurf zur akt. Predigt]

Textlesung: Eph. 4, 1 - 6

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, daß ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe, und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens:

EIN Leib und EIN Geist, wie ihr auch berufen seid zu EINER Hoffnung eurer Berufung; EIN Herr, EIN Glaube, EINE Taufe; EIN Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

Liebe Gemeinde!

Auch heute wird keine Politik auf die Kanzel gebracht, keine Angst! Aber diese Paulusworte haben mich doch sehr an Gedanken erinnert, die mir in diesen Tagen, in denen die Politik eine größere Rolle spielt als sonst, im Kopf herumgehen: "Ertragt einer den andern, wahrt die Einigkeit im Geist, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe." Gerade die letzten Behauptungen - stimmen die denn eigentlich? Ein Herr? Es gibt zahlreiche Politiker und viele Millionen Deutsche, die noch nie etwas von Jesus Christus gehört haben, jedenfalls noch nichts Gutes und nichts, was ihr Denken und Handeln bestimmen und ihnen ein Ziel im Leben vorgeben könnte. Ein Glaube? Wo erkennt man in diesem unserem Land etwas vom Christenglauben der Menschen? Wo wird die öffentliche Diskussion davon bestimmt? Und könnte man über den Kirchenaustrittswellen, die immer wieder einmal rollen, wenn die Steuern erhöht werden, nicht meinen, es werde seit langem ein neuer Glaube in unserem Land ausgerufen, nämlich der an den Gott "Mammon"? Die Kirche, die vor über 10 Jahren maßgeblich an der Wende mitgewirkt hat, war doch nur damals gut und nützlich, aber wer ist dann eingetreten oder wer hat sich daran hindern lassen ihr den Rücken zu kehren, wenn er die Kirchensteuer sparen wollte! Ja, und dann noch: Eine Taufe? Es gibt Schulen in dieser Republik, da sind über 90 % der Kinder nicht getauft. Und viele davon sitzen doch im Religionsunterricht! Da kann man nun sicher von einer guten Chance reden, auch diesen Kindern Jesus nahe zu bringen. Da heißt es auch prompt von den kirchlichen Oberen, daß wir die "Herausforderung zur Integration" dieser christlich Unbeleckten, sofern sie keine Muslime oder sonstige Angehörige anderer Religionen sind, annehmen müssen. Aber vor diesen Kindern in der Klasse zu stehen, ihnen den Namen "Jesus" wieder und wieder zu buchstabieren, ihnen das Händefalten beizubringen, das sie noch nie gezeigt bekommen haben, ist unendlich mühsam! Und der Widerstand der Familie, die hinter den Kindern steht, ist oft groß. Wenn die Familie etwa aus der ehemaligen DDR stammt, dann hat man im Westen das bessere Leben gesucht, den Konsum und die Sachen - aber gewiß nicht einen Gott und einen Glauben, den man ja früher nicht kannte. Aber auch bei denen, die immer schon hier leben, ist es oft nicht anders: "Sag' mal, betest du abends mit deiner Mutti?" So fragte neulich die Frau den Nachbarsjungen. "Beten, was ist denn das?", war die Antwort.

Dennoch, liebe Gemeinde, das ist kein Aufruf zur Resignation! Nicht: Es hat alles ja doch keinen Wert mehr! Und nicht: Es kommen immer schlimmere Zeiten! Sondern: "Ertragt einer den andern in Liebe", wie es Paulus sagt. Aber: Nehmen wir wahr, daß die Zeiten sich geändert haben. Sehen wir klar die Herausforderung an uns Christen. Nehmen wir die Aufgaben an, die wir gestellt bekommen.

Es gibt sicher viel, was uns entmutigen kann. Und ich bin ganz und gar nicht dafür, daß wir's verdrängen und so tun, als wäre alles in bester Ordnung. Es kommt ja doch wieder unter der Decke vor, unter der wir's verbergen wollten. Nein, sehen wir dem ins Auge: Unsere Welt ist arm an wahrhaft christlichem Handeln. Unsere Gesellschaft wird vom Leistungssystem beherrscht, vom Geld und vom Willen, mehr zu haben als die anderen. Und dieser Wille geht über Leichen. Die Werte wie "Brüderlichkeit", "Erbarmen" und "Nächstenliebe", wie sie dem christlichen Sprachgebrauch entstammen, sind in unserem Land heute zu Fremdwörtern geworden. Und es mangelt an Beispielen aus dem Leben, um sie etwa Schülern zu erklären. "Gut, moralisch und wertvoll" ist heute weithin das, "was mir nützt".

So ist es! Das ist die Lage der Welt und der Nation. Das wollen wir sehen und klar erkennen. Aber resignieren wollen wir immer noch nicht. Denn da ist zunächst einmal Paulus: "Seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens!" Die Lage war doch nicht besser, damals. Sie war noch viel schlechter! Das waren eine Handvoll Christen in Ephesus. Verfolgt und bedrängt, umgeben von Heiden und dem Gesetz der Faust. Das waren bestimmt auch keine Menschen, denen es so gut ging wie uns! Das waren zum Beispiel Sklaven, rechtlose Leute, die nicht einmal Besitz über ihren eigenen Leib hatten. Das waren entlassene Soldaten, die an der Armutsgrenze mit dem dahinvegetierten, was sie sich erspart hatten. Was sind wir dagegen: Reiche, satte Menschen. Wir haben Wohlstand, ein Haus, Kleider die Fülle, alles, was wir brauchen... Sind unsere Voraussetzungen nicht 1000mal günstiger!? Günstiger - wozu?

Günstiger eben gegen Entmutigung und Resignation einander zu ertragen und einig im Geist zu bleiben und zu werden... Günstiger auch, unsere Berufung zu erfüllen: Dafür zu sorgen, daß es wahr wird, oder daß wir dem wenigstens ein bißchen näher kommen: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe!

Ich denke manchmal, wir Christen müßten uns enger zusammentun, uns mehr bemühen und mit vereinten Kräften das in diese Welt hineinstrahlen: Daß wir diesen einen Herrn kennen, daß wir diesen einen Glauben teilen, daß wir diese eine Taufe empfangen haben.

Es ist heute nicht mehr so, daß wir wie selbstverständlich davon ausgehen können, daß unsere Gesellschaft "christlich" ist (ich weiß auch nicht, ob sie es wirklich je war!). Nein, das Kind mit dem unser Kind spielt, betet nicht und es hört zu Hause nicht die Geschichten von Jesus. Und: Nein, unser Kollege im Büro glaubt nicht an die Güte Gottes, er glaubt nur, was er am Monatsende auf dem Konto hat. Und schließlich: Nein, auch wir selbst leben und handeln nicht so, daß jedermann sieht und weiß: Aha, der ist Christ! - Das ist die Lage. Und in dieser Lage fangen wir an - und es hat die Verheißung Gottes. Aber fangen wir auch an:

Lehren wir unsere Kinder wenigstens das Beten. Fügen wir an die Formeln "Ich bin klein, mein Herz ist rein..." und "Müde bin ich, geh zur Ruh'..." nach und nach auch persönliche Bitten und Sorgen an. Unser Kind muß spüren: Das ist mein Gebet. Und es ist mein Vater im Himmel, der mich hört. Es soll unserem Kind eine ganz persönliche Kraftquelle werden!

Und ergreifen wir jede Gelegenheit, die sich uns bietet, von unserem Glauben zu zeugen - in Taten und Worten! Nicht: "Da hab' ich aber Glück gehabt!" Sondern: "Ich weiß, da hat mich Gott, bewahrt!" Und nicht immer nur belanglose Dinge besprechen, das Fernsehprogramm und das Wetter. Sondern das Wesentliche ins Gespräch bringen: "Wie hältst du's eigentlich mit Gott? Warum kommst du nicht einmal mit in die Kirche?" Und dann: In der Betriebskantine nicht einfach immer den Teller auf den Tisch, allenfalls noch ein "Mahlzeit" auf den Lippen und los geht's mit dem Essen. Sondern: Den Kopf senken, das Tischgebet - wenigstens für sich selbst - neu gewinnen.

Und es ist eben auch Widerstand angesagt gegen alle Formen der Herrschaft des Mammons und der Ellenbogen: Die Armen - auch in unserer Gemeinde - aber noch mehr in der 3. Welt sehen und ihnen durch echte Opfer helfen. Die Schwachen, die ohne mich auf der Strecke bleiben, an der Hand nehmen und begleiten - für sie zum Arm und zum Mund werden.

Das alles wird vielleicht mit bewirken, daß die "christlichen Werte" neu in den Blick und das Bewußtsein der Öffentlichkeit geraten. Das wäre nicht nur für uns wichtig, denn wir sind heute mehr denn je bedroht, uns im Dschungel der Unmenschlichkeit zu verirren. Es wäre gut, wenn wir uns noch entsetzen könnten, wenn in diesen Tagen Kriegstreiberei und Ausländerhaß neu auflodern, es wäre wichtig, wenn auch die Kirche in uns einen Fürsprecher fände, wenn immer mehr Menschen so tun, als ziehe sie den Leuten nur die Kirchensteuer aus der Tasche, ohne die geringste Gegenleistung. Und es wäre gut, wenn die Mitmenschen in dieser gleichgültigen Zeit an uns noch erfahren könnten, daß uns die Sache Gottes nicht "egal" und unbedeutend ist, sondern das wichtigste Gut in unserem Leben!

Nein, es ist nicht so! Es ist nicht ein Herr, nicht ein Glaube und nicht eine Taufe. Aber es soll so werden. Es ist unser Auftrag, wir sind dazu berufen, all unsere Mühe daranzusetzen, daß es so wird.