Predigt am 4. Sonntag n. Trinitatis - 23.06.2002

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Textlesung: Röm. 12, 17-21

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.

Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«

Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln« (Sprüche 25,21-22). Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Liebe Gemeinde!

Ich soll da heute Gedanken predigen, mit denen ich - ehrlich gesagt - nicht einverstanden bin. Das gibt es ja. Selbst wenn es sich um Worte der Heiligen Schrift handelt. Aber, wie kann das gehen: Predigen, was man nicht teilt? Und es sind auch gleich noch einige Gedanken! Die kann ich doch nicht einfach so überspielen, auslassen. Und es sind wohl die wichtigsten in diesen Versen. - Müßte ich also nicht besser den Mund halten und von der Kanzel steigen?

Aber ich merke schon: Jetzt muß ich auch sagen, was ich meine. Und ich will auch Farbe bekennen und es nicht bei diesen Andeutungen lassen. Ich fange bei dem an, was ich unterschreiben kann: Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Das kann ich mir zu eigen machen. Jawohl, so will ich zu leben versuchen und das probiere ich auch schon, seitdem ich mich entschieden habe, als Christ zu leben. Gewiß gelingt es mir nicht immer. Ihnen wird es da nicht anders gehen. Und auch diese anderen beiden Dinge finde ich gut und richtig: Rächt euch nicht selbst, meine Lieben... und laß dich nicht vom Bösen überwinden...

Wo kämen wir hin, wenn jeder sich selbst rächen wollte!? Und wenn uns alles Böse gleich unterkriegen würde, dann könnten wir das Leben nicht bestehen, denn uns begegnet ja täglich viel Böses und auch viele schwierige und manchmal wirklich böse Menschen. - Soweit also bin ich einverstanden.

Aber jetzt will ich ihnen auch sagen, wo es bei mir aufhört mit dem Verständnis: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr. Nicht daß ich etwa ablehne, daß Gott vergelten sollte und muß! Wie gesagt: Wir dürfen uns nicht selbst rächen, dann würde das Faustrecht herrschen, wir lebten wie im Dschungel und kämen alle mit der Polizei in Konflikt. Aber ich sehe es nicht, daß Gott wirklich einmal vergilt und Rache übt, und ich gebe zu, ich würde es schon gern einmal sehen! - Und auch dabei bin ich sicher, dem einen oder der anderen hier geht es da auch wie mir!

Was ich ihnen jetzt vor Augen und Ohren führe, ist natürlich nur erfunden - ich werde da nicht konkret: Aber ich wünschte dem Mann, der seit Jahren seine Frau wie eine Dienstmagd behandelt, daß ihn Gottes Rache wirklich einmal trifft! Schon darum, weil ich der armen Frau wünschen würde, daß sie doch noch einmal ein Leben in echter Partnerschaft und der Freiheit einer Beziehung genießen kann, wie sie nur echte Liebe und die Achtung voreinander schenkt.

Und der Frau, die mit ihrem leichtfertigen Mundwerk schon so viele Menschen gegeneinander aufgebracht hat, wünschte ich, daß Gottes rächende Hand ihr für alle Zukunft die lose Zunge verbietet. Schon darum, weil die Menschen, die durch sie den Glauben an die Treue, die Wahrheit und Wahrhaftigkeit verloren haben, doch wieder lernen sollen, daß es auch Nachbarn und Mitmenschen gibt, denen sie vertrauen können.

Und dem jungen Mann, der so gern überall erzählt, daß er nicht an Gott glaubt, weil der doch bloß eine Erfindung der Pfaffen wäre, dem wünschte ich, daß sich Gott in seinem Leben einmal mit harter Hand in Erinnerung bringt. Ich würde ihm das schon deshalb wünschen, weil er schließlich mit seinem Gerede und der Geltung, die er auf der anderen Seite hat, so viele junge Menschen in seiner Umgebung verunsichert und einstimmen läßt in sein Geschwätz.

Aber nichts geschieht! Gott vergilt eben nicht. Jedenfalls nicht in diesem Leben. Gott nimmt die Rache eben nicht in seine Hand. - Und es wäre doch so nötig und so wichtig...meine ich!

Und dann die Sache mit den "feurigen Kohlen"! Da muß ich noch heftiger widersprechen! »Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.« Nicht um das "zu essen und zu trinken geben", geht es mir! Das will ich ja vielleicht noch aufbringen! Aber - und da möchte ich dieses alte Bild von den Kohlen auf dem Kopf einmal erklären - beschäme ich meinen "Feind" wirklich, wenn ich das für ihn tue? Ein bißchen weniger großartig gefragt: Bringt das einen Menschen, der mir Böses wollte, zu Umkehr und Reue, wenn ich ihn freundlich behandle, auch wo er das nun wirklich nicht verdient hat? Und noch einmal eine Nummer kleiner gesprochen: Wo erleben wir denn auch nur ein Aufhorchen oder In-sich-Gehen bei einem, der keine Gelegenheit ausläßt, uns zu schaden, wenn wir seiner Bosheit nicht mit gleicher Münze zurückzahlen? Manchmal meint man doch, es würde wie selbstverständlich erwartet, daß wir immer wieder die Hand reichen, immer wieder die andere Wange hinhalten, immer wieder den neuen Anfang geben, immer wieder den ersten Schritt machen und alles verzeihen. Besonders, "wo wir doch Christen sein wollen", die "müssen das doch schließlich"! Nein, Reue, Scham, "Zerknirschung der Herzen", wie das noch zu Luthers Zeit hieß, werden wir in unseren Tagen wenig erleben - und schon gar keine Dankbarkeit für gewährte Vergebung und geschenktes Verzeihen. Und das wäre doch so nötig und so wichtig...meine ich!

Woran liegt das nur, daß es das nicht mehr gibt? Warum muß ich mich so aufregen über diese scheinbar doch unrealistischen Gedanken in den heutigen Predigtversen? Schreibt Paulus einfach Unsinn? War das zu seiner Zeit anders, besser? -

Sehen sie, liebe Gemeinde, genau an dieser Stelle meiner Predigt war ich, als ich mir überlegte: Abbrechen und einen anderen Text wählen, oder... Ja, aber was: oder? - Und da eben ging mir die Antwort auf! Und - angenehm war sie nicht. Aber es wird schon so sein...mit diesen widersprüchlichen Gedanken, die mir doch gar nicht passen...

Mir fiel ein, daß vielleicht ja auch ich anderen Anlaß gebe, an diesen biblischen Worten zu zweifeln! Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr. Vielleicht haben diese anderen auch schon von mir gedacht, daß ich der lebendige Beweis bin, daß dieses Gotteswort einfach nicht wahr ist, sondern nur leeres Gerede! Vielleicht können sie mir ja nicht nachsagen, daß ich meine Frau schlecht behandle (wie in meinem Beispiel vorhin), aber wie viele Menschen hat wohl meine Art schon gekränkt, in kirchlich oder nicht kirchlich einzuteilen, meine Ironie auch, die Witze, die ich mache und die ja auch nicht immer neu sind? Aber mir ist von Gott her nichts geschehen, was mich verändert oder zurechtgebracht hätte!

Oder was ich rede... Das ist ja doch auch nicht immer so, daß es gut wäre oder nötig, daß man es erzählt. Und manchmal erfährt die Wahrheit bei mir auch eine gewisse Veränderung hin zum Sensationellen...weil man das doch einfach besser anbringen kann bei den Leuten! - Aber meine Zunge wurde mir auch nicht zum Schweigen gebracht!

Und selbst des dritten mag ich mich schon schuldig gemacht haben: Daß ich nämlich Gott in meinem Reden leugne, jedenfalls den Gott, der doch alle Menschen lieb hat, auch jene, die nichts von ihm wissen wollen und ihn ablehnen und verspotten. Da habe ich sozusagen Gottes weite Liebe in meinem Reden von ihm eng gemacht. - Aber auch da wurde ich nicht zurechtgewiesen von ihm.

Und mit dem anderen, den "feurigen Kohlen" wird es nicht anders sein: Wie vielen Menschen habe ich wohl schon viel vorenthalten? Wer hat bei mir eben kein offenes Ohr gefunden, sondern nur Ablehnung und die Ausflüchte: "Bin beschäftigt, habe jetzt keine Zeit, ein andermal...?" Wann zuletzt habe ich mich entschuldigt dafür, daß ich mich wirklich schlecht verhalten habe, jemanden unfair behandelt oder falsch von ihm gedacht habe? Mit anderen Worten: Wie vielen Menschen muß es eben wegen mir so vorkommen, als gäbe es heute keine Reue mehr, keine Scham, keine Umkehr und kein "es tut mir leid"! Und ich will schließlich auch das noch aussprechen: Auch meine Dankbarkeit werden viele Menschen schon mit Recht vermißt haben!

Liebe Gemeinde, so gesehen bin ich jetzt doch der Meinung, daß ich diese Predigt habe halten können, vielleicht habe halten müssen? Und dankbar bin ich Gott auch, daß er eben nicht so schnell vergilt und Rache übt, wie ich es wohl manchmal von ihm erwarte. Und die feurigen Kohlen will ich jetzt doch zuerst auf mein eigenes Haupt sammeln. - Wie geht es ihnen damit?