Predigt zum Pfingstsonntag - 19.5.2002

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Textlesung: Röm. 8, 1 - 9

So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.

Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war, das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, damit die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist. Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt.

Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.

Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott, weil das Fleisch dem Gesetz Gottes nicht untertan ist; denn es vermag's auch nicht. Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen.

Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen.

Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

 

Liebe Gemeinde!

Sie werden nicht mitgezählt haben, aber in diesen Paulusworten ist genau 11mal von "Fleisch" und "fleischlich" die Rede. Und nur einmal weniger wird vom "Geist" oder von "geistlich" gesprochen. Und damit ist auch klar, worum es heute gehen soll, gehen muß: Darum, ob wir zum Geist gehören oder zum Fleisch. Aber bevor wir eine Antwort geben können, müssen wir erst einmal schauen, was damit eigentlich gemeint ist.

Das Fleisch hat offenbar mit dem Tod zu tun. Der Geist mit dem Leben. Und fleischlich gesinnt sein, heißt der Sünde zu gehören und Gott nicht zu gefallen. Wer aber geistlich ist, der ist auf der Seite Christi und wird mit ihm auferstehen. -

Spätestens hier spüren wir es: Was sind das doch für gewichtige, schwierige Gedanken! Und vor allem, wie wenig kann man sich dabei vorstellen. Und das, obgleich doch von Auferstehung und Leben die Rede ist! Aber wir erfahren nichts von diesem Leben, wissen nicht, wie es aussieht, sich anfühlt und ob es Freude macht. Ganz seltsam ist das: Das Fleisch ist der Tod, der Geist soll lebendig sein und lebendig machen, aber wir hören davon in Worten, die selbst auch tot sind, keine Bilder vor unsere Augen bringen und keine plastische Vorstellung.

Darum möchte ich diese toten Worte jetzt ins Leben hinein übersetzen. Die Worte vom Geist und daß er lebendig macht, sollen sozusagen Fleisch annehmen. Und die Gedanken um das Fleisch, das den Tod bringt, sollen ein Gesicht bekommen, Hände, Füße und eine Gestalt...

Wie wäre es, wenn wir bei "Fleisch" einmal an alles denken, was mit dem materiellen Leben zu tun hat. Geld und unser Bankkonto ist also "Fleisch", Besitz, Konsum und selbstverständlich auch der Luxus, der uns umgibt und das, was wir noch erreichen wollen, die Karriere, der gesicherte Ruhestand und auch die Macht, die wir über andere haben. Jetzt denken sie sicher: Aber ist das denn etwas Schlimmes? Kommt es nicht darauf an, wie sehr ich diesen Dingen zugetan bin, wie abhängig ich von ihnen bin und was ich dafür alles einsetze und investiere. - Lassen sie uns erst einmal nur aufzählen, was zum Fleisch gehört und noch nicht werten oder gar urteilen.

Zum Fleisch gehört auch noch viel mehr als die materielle Ausstattung des Lebens. Oft, ja, ich denke, meist entspricht die innere Einstellung auch den äußeren Gegebenheiten: Wem es gut geht, der wird sich ja hüten revolutionäre Gedanken über den Besitz und die Verteilung der Güter zu denken oder gar zu äußern. Fleischliche Menschen sind also eher konservativ, sie bewahren mit ihrer starren Sicht der Welt, des Lebens und der Menschen auch ihre eigenen - eben angenehmen - Lebensbedingungen: "Da es mir doch gut geht, mag alles auch so bleiben, wie es ist."

Und jetzt fragen wir nach dem "Geist": Wenn wir Paulus folgen, ist "geistlich", was uns mit Gott verbindet, uns näher zu Jesus Christus bringt. Mir fällt da zuerst der Glaube ein, das Vertrauen, die Freude an einem Leben, so wie Jesus es uns vorgelebt hat... Aber auch das Teilen gehört auf diese Seite, der Verzicht, die Güte, das Erbarmen und die Treue. Alles das also Werte, die nichts mit Geld und Gütern zu tun haben, von denen ein armer Mensch viel haben kann und ein reicher wenig.

Paulus jedenfalls bezieht eindeutig seine Seite, ja, mehr noch, er sagt auch uns, auf welche Seite wir gehören: Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Geistlich sein, hat also auch mit Freiheit zu tun, während das Fleisch in die Sünde und den Tod führen. - Und jetzt wollen wir Paulus auch folgen, wenn er wertet und ein klares Urteil spricht: ...fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott... Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. Aber solche gewichtigen Behauptungen brauchen Beweise! Wir wollen sie im praktischen Leben suchen:

Denken wir uns einmal einen "fleischlich gesinnten" Menschen. Äußerlich wird ihn vielleicht nichts von anderen Menschen unterscheiden. Er kann alt sein oder jung. Eine Frau oder ein Mann. Wir sehen dem Menschen also nicht unbedingt an, wie er innerlich ist. Aber wie erkennen wir seine Gesinnung? Mit den Ohren zum Beispiel: Alles hat seinen Preis, wird er gern sagen. Oder - wenn er schon etwas reifer ist und die alten Sprichwörter noch kennt: Jeder ist seines Glückes Schmied. Und er glaubt das auch. Da mögen die Lebenschancen eines Kindes in einem Slum der 3. Welt von Anfang an gleich Null sein...da gibt es für ihn "immer Möglichkeiten, sich herauszuarbeiten!" Oder ein Jugendlicher mit Hauptschulabschluß bei uns mag sich schon bei 50 Firmen ohne Erfolg um eine Lehrstelle beworben haben... "Das liegt nur an ihm selbst!" - Wenn ein Mensch des Fleisches zugestehen würde, daß die Welt und das Leben halt auch ungerecht ist, daß der Spruch: Du hast keine Chance, darum nutze sie, heute nur allzu wahr ist, dann fiele sein ganzes Wertesystem in sich zusammen. Wenn er sich darauf einließe, daß viele Menschen völlig unverschuldet und ohne etwas daran ändern zu können, in schlimmste Lebensumstände kommen, dann würde seine "fleischliche Gesinnung" ins Wanken geraten. - Also läßt er solche Gedanken erst gar nicht zu.
In religiösen Fragen haben solche Menschen auch ihre festen Standpunkte: Wer die Gebote nicht hält, wer vom rechten Pfad abweicht, wer am Ende gar an Gott zweifelt oder sich über seiner schweren Lebenserfahrung von ihm lossagt, der hat seinen Anspruch auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit verwirkt. Wobei wir spätestens jetzt begreifen, daß "fleischliche" Menschen durchaus auch in der Christengemeinde zu finden sind.

Aber wir können auch an manchen Taten ablesen, ob einer zum "Fleisch" gehört, denn das Handeln der fleischlich Gesinnten ist gerade so, wie sie reden: Es fehlt allenthalben das Mitleid, das Hineinfühlen in das Leben, die Beweggründe, das Schicksal der anderen. Es sind Menschen von großer Herzenshärte, die in ihrer Korrektheit und der Meinung, jeder bekäme immer nur, was er verdient hat, die Liebe und die Güte Gottes und zwischen den Menschen ganz vergessen haben.

Daß in der Umgebung des "Fleisches" und der entsprechenden Gesinnung eine große Kälte herrscht, daß einem dort oft auch der Atem des Todes berührt, können wir sicher glauben.

Aber - und wir möchten jetzt sagen: Gott sei Dank! - gibt es auch noch die Welt des Geistes und die Menschen die "geistlich" sind: Hier löst das Schicksal des Kindes aus den Slums nicht nur Betroffenheit aus, sondern es findet Hilfe. Hier erfährt der Jugendliche ohne Lehrstelle nicht nur Verständnis und Aufmerksamkeit, sondern auch Anerkennung, die sein angeschlagenes Selbstwertgefühl so bitter nötig hat. Hier wird gesehen, daß es diesen festen Zusammenhang einfach nicht gibt: Wenn du dich nur bemühst, dann erreichst du auch was. Hier hält man es eher mit solchen Worten: Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen... (EG 352,1) Wenn geistliche Menschen sagen sollten, woran sie sich in der Heiligen Schrift orientieren, fielen ihnen nicht zuerst die Gebote ein, sondern eher das Verhalten des Vaters im Gleichnis vom verlorenen Sohn oder auch die Liebe Jesu Christi, der unschuldig in Leiden und Tod geht, um alle Menschen von der Macht des Todes und der Sünde zu erlösen. - Liebe Gemeinde, was aber machen wir jetzt mit diesen Gedanken und ganz deutlich: Wie soll denn einer vom fleischlichen zum geistlichen Menschen werden?

Hier weiß ich eigentlich nur eine Antwort - und die offenbart uns auch, warum dieser schwierige, gewichtige Text uns gerade für diesen Sonntag zum Bedenken empfohlen ist: Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Wenn wir auch heute feststellen und vielleicht beklagen, daß es viele Menschen des Fleisches gibt, so muß es doch nicht so bleiben! Wir feiern Pfingsten! Wir feiern die Macht des Heiligen Geistes Gottes. Der kann alle Starre, alle Herzenshärte und die Kälte des fleischlichen Denkens hinwegfegen. Und er will und wird das auch tun: Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist.

Ich wünsche uns, daß wir durch Gottes Kraft frei werden vom "Fleisch". Ich wünsche uns, daß wir geistliche Menschen werden. In diesem Sinn: gesegnete Pfingsten!