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Predigt am Sonntag "Estomihi" - 10.2.2002

Textlesung: Jes. 58, 1 - 9

Rufe getrost, halte nicht an dich! Erhebe deine Stimme wie eine Posaune und verkündige meinem Volk seine Abtrünnigkeit und dem Hause Jakob seine Sünden!
Sie suchen mich täglich und begehren, meine Wege zu wissen, als wären sie ein Volk, das die Gerechtigkeit schon getan und das Recht seines Gottes nicht verlassen hätte. Sie fordern von mir Recht, sie begehren, daß Gott sich nahe.
»Warum fasten wir, und du siehst es nicht an? Warum kasteien wir unseren Leib, und du willst's nicht wissen?« - Siehe, an dem Tag, da ihr fastet, geht ihr doch euren Geschäften nach und bedrückt alle eure Arbeiter.
Siehe, wenn ihr fastet, hadert und zankt ihr und schlagt mit gottloser Faust drein. Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr jetzt tut, wenn eure Stimme in der Höhe gehört werden soll.
Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe, ein Tag, an dem man sich kasteit, wenn ein Mensch seinen Kopf hängen läßt wie Schilf und in Sack und Asche sich bettet? Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der HERR Wohlgefallen hat?
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Laß los, die du mit Unrecht gebunden hast, laß ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich. Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest.

Liebe Gemeinde!

Zugegeben: Hier spricht der Gott des Alten Testaments. Ja, wenn es eine Steigerung davon gäbe, müßte man sagen: Das sind besonders alttestamentliche Worte! "Als hätten sie die Gerechtigkeit schon getan!" - "Fastet so, daß ich Gefallen daran habe!" - "Tut erst Gerechtigkeit, dann will ich euch erhören, dann will ich euch antworten!" Im Neuen Testament lesen wir etwas anderes: Christus ist unsere Gerechtigkeit! Wir müssen nicht mehr fasten und opfern, Christus hat am Kreuz alles vollbracht, was wir vor Gott brauchen! Gott beschenkt uns mit seiner Liebe zuerst, er kommt uns mit seiner Vergebung zuvor, er antwortet und hört noch ehe wir fragen und rufen! Wie gesagt: Hier redet der Gott des Alten Bundes. Hier ist noch kein Christus ans Kreuz gegangen. Können wir darum aber mit diesen Worten gar nichts mehr anfangen?

Nun, wir "fasten" ja auch heute noch. In den kommenden Wochen auf Ostern hin, wollen ja auch (bei uns) in der Ev. Kirche wieder einige bei der Aktion "Passionszeit ohne..." mitmachen. Diese Menschen verzichten auf liebgewordene Gewohnheiten, sie legen sich ein Kreuz auf und vielleicht ein Laster ab....sieben Wochen lang. Aber - und das ist der Unterschied: Sie tun es nicht, um Gott zu gefallen! Nicht: Daß Gott sie dann gerechtspricht oder gar nur lieber hätte als vorher! Auf die Reihenfolge kommt alles an: Gott hat seinen Sohn ans Kreuz geschickt. Alles, was zu unserem Heil und unserer Gerechtigkeit nötig ist, ist schon geschehen! Wir nehmen das im Glauben an. Wir setzen darauf allein unser Vertrauen. Das wird uns retten! Darum schenkt uns Gott das Leben. Und wir wollen trotzdem fasten! Warum? Weil wir so danksagen wollen! Weil wir uns freuen, daß einer unser Kreuz getragen hat. Weil wir begriffen haben: In Jesus Christus ist uns die Schuld, das Leben und die Ewigkeit geschenkt! Jetzt gehen wir mit dankbarem Herzen wenigstens ein Stück hinter unserem Herrn her. Das ist alles.
Und wir "opfern" ja auch! Wir haben für "Brot für die Welt" gegeben. Wir waren bereit im letzten Herbst eine Spende für das Diakonische Werk in die Sammelbüchsen zu stecken. Und wir opfern auch noch ganz andere Dinge als Geld: Die Zeit, die wir für unsere leidenden Nachbarn aufwenden. Die Liebe und Mühe, die uns mancher Mitmensch kostet. Die Geduld und christliche Achtung, die wir manchen - eigentlich lästigen Zeitgenossen - entgegenbringen. Aber wir wollen uns doch damit keinen Platz im Himmel verdienen! Den haben wir nämlich schon! Und wir zappeln uns doch nicht vor Gott ab, damit er unser Bemühen dann belohnt! Der Lohn ist ja schon unser! Wir tun diese Dinge aber trotzdem! Warum?

Weil wir an Gottes zuvorkommender Liebe angesteckt worden sind zu jedem guten Werk! Weil wir von ihm so überreich begabt wurden, daß wir leicht und fröhlich teilen können. Und weil wir erfahren haben, alles was wir weiterschenken macht uns nicht ärmer, sondern reicher!

Wir fasten also auch - wie die Menschen damals. Wir geben Opfer - wie die Leute zur Zeit des Jesaja. Wir tun es aber aus anderen Gründen: Um zu danken und unserer Freude Ausdruck zu geben, aber wir tun es. Sollte uns da nicht auch das Wort des Propheten etwas zu sagen haben? "Ihr sollt nicht so fasten, wie ihr es jetzt tut!" - "Laß los, die du gebunden hast, gib frei, die du bedrückst, brich dem Hungrigen dein Brot, führe ins Haus, kleide, die nackt sind, entziehe dich nicht denen, die dich brauchen!?

Wie haben die Menschen damals gefastet? "Soll das ein Fasten sein, ein Tag, an dem ihr euch kasteit, an dem ihr den Kopf hängen laßt und in Sack und Asche geht?" Wie haben die Leute geopfert? Dem Bettler haben sie den Groschen in die Hand gelegt, wenn man es vor dem Tempel öffentlich zeigen konnte. Ihre Arbeiter aber mußten jahrelang für viel zu geringen Lohn schwer schuften, waren ohne Stimme und ohne Recht. An frommen Gesten und langen Gebeten in der Öffentlichkeit ließen sie es nicht fehlen. Ungerührt konnten sie aber der Witwe den Acker nehmen und dem Waisen das Erbe. Seltsame Menschen waren das: Hier Fasten und Opfern, da Unrecht und Unterdrückung. Hier der fromme Augenaufschlag und der großartige Griff in die Geldbörse, dort unbarmherzige Härte den Armen und Außenseitern gegenüber. Hier religiöser Eifer und Tränen der Rührung über sich selber, da ein Herz so hart wie Stein. Seltsame Menschen!

Und wir? Sind wir besser? Ist unser Fasten und Opfern so ganz anders? Wenn wir an Weihnachten den Hunderter für den Hunger in der Welt gegeben haben, wie nahe geht uns die Not direkt vor unserer Tür? Und im Grunde unseres Herzens wissen wir es doch: Wir könnten mehr tun als diese einmalige Hilfe zum Fest! Und wie sieht's bei den anderen Opfern aus? Wie oft wird uns der Beistand einem Menschen gegenüber, der noch dazu Jahre zurückliegt, zum gefälligen Alibi, mit dem wir jede weitere Hilfe abschmettern? "Aber ich habe doch immerhin damals..." Und ganz in unserem Innern ist uns das auch sehr wohl bewußt, daß echtes, freudiges Helfen keine Unterschiede macht, machen dürfte: Jeder, den Gott mit vor die Tür stellt oder vor die Füße legt, hat Anspruch auf meine Liebe! Und zu jeder Zeit soll und kann ich etwas für meine Nächsten tun, mein Christentum hat keine Pause; Gottes Hand läßt ja auch niemals ab, mich zu tragen und zu führen!

Und wie steht's beim Fasten? Gewiß, ich freue mich ja, wenn wenigstens einige immerhin sieben Wochen lang auf dieses oder jenes verzichten. Das ist schon etwas! Vor allem, wenn echte Dankbarkeit für die Güte Gottes in Jesus Christus dahintersteht! Aber wie sieht's aus mit der dauerhaften Einschränkung um der geschundenen Natur willen? Wie bereit findet uns der Schrei der Menschen in der 3. Welt, daß wir uns bescheiden und mit dem begnügen, was wir wirklich zum Leben brauchen. Wann geben wir dem Prassen und Vergeuden, dem Benutzen, Verbrauchen und Wegwerfen endlich den Abschied? Ja, wann endlich nehmen wir die von uns mitverursachte Not der Welt und der armen Menschen auch nur wahr? Wann hören wir auf, immer nur zu verdrängen, und die Augen zu schließen? - Auch wir sind seltsame Menschen. Auch wir haben den Ruf des Propheten nötig: Fastet endlich richtig! Gebt endlich Opfer, die Gott wirklich gefallen!

Noch einmal: Wir müssen uns mit unserem Verzichten und Geben vor Gott nichts verdienen. Wir können es auch nicht. Jesus Christus hat es schon getan. Aber wenn wir opfernd danken wollen und fastend unserer Freude über diesen Herrn Ausdruck geben wollen, dann tun wir's bitte ganz: Nicht nur einen Tag, nicht nur ein bißchen, nicht hie und da, nicht beim einen und beim anderen nicht, und nicht mit ein paar Minuten, nur einem halben Herzen und wenigen Handgriffen. Gott liebt uns auch ganz. Sein Sohn hat unseren ganzen Menschen erlöst. Darum gehört unser ganzes Leben jetzt ihm. Es gibt keine Stunde, da er nicht für uns da wäre. Kein Ort, an dem er uns nicht nachginge. Er vergibt uns alle Schuld. Er nimmt von uns die ganze Strafe. Unser Dank soll auch ganz sein!

Und noch einmal: Nicht um irgend etwas bei Gott zu erreichen, sollen wir fasten und opfern! Wenn wir's tun, kann es nur Dank sein, die Freude an Gottes schenkender Güte. Aber wenn sich unsere Dankbarkeit diesen Weg sucht, Gott und den Menschen zurückzuschenken, dann tue sie es ungeteilt, ohne Ausnahmen, jederzeit, ganz... Es paßt nicht, damals nicht und heute nicht, wenn ich hier faste und dort bedrücke, wenn ich hier gebe und dort an mich raffe, wenn ich hier fromm tue und dort den Weltmenschen herauskehre. Es paßt nicht und es macht mich auch nicht glücklich! Denn diese Verheißung Gottes stimmt - damals wie heute:

''Das ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe: Laß los, die du mit Unrecht gebunden hast, laß ledig, auf die du das Joch gelegt hast! Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg! Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen. Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir antworten. Wenn du schreist, wird er sagen: "Siehe, hier bin ich."

Wir Menschen heute, kennen nun noch Jesus Christus. In ihm ist uns alles geschenkt, was uns nötig ist im Leben und im Sterben, in dieser und der ewigen Welt. Grund zum Danken haben wir übergenug. Wenn wir's mit Fasten und Opfern tun wollen, dann tun wir's ganz, überall, jederzeit, ohne Unterschiede, an jedermann. Solches Tun hat Gottes Verheißung!