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Predigt zum So. "Septuagesimä" - 27.1.2002

Textlesung: Röm. 9, 14 - 24

Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! Denn er spricht zu Mose (2. Mose 33,19): »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.« So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao (2. Mose 9,16): »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.« So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?

Liebe Gemeinde!

Wir können es ruhig sagen: Das sind ganz und gar unverständliche, dunkle Gedanken, die wir da eben gehört haben. Allenfalls eine Ahnung haben wir davon bekommen, worum es eigentlich geht:

Gott ist gnädig, wem er will...es liegt nicht an unserem Wollen oder Verdienst...Gott verstockt...er erbarmt sich, wessen er will...seinem Willen kann kein Mensch widerstehen...wir haben kein Recht, Gott ungerecht zu heißen...

Mir fiel über diesen Worten des Paulus die Frage eines Mädchens aus der Gemeinde ein, das mich einmal beiseite genommen und sehr ernst so angesprochen hat: "Herr Pfarrer, wenn Gott die Welt und alles gemacht hat, wer hat denn dann Gott gemacht?" Ich wußte keine Antwort, aber ich finde, diese kindliche Frage und mein Unvermögen etwas zu erklären, zeigt sehr schön unsere engen Grenzen als Menschen im Angesicht des großen Gottes: Wir wissen ja wirklich nicht zu sagen, woher Gott kommt. Wer kann sich die Ewigkeit vorstellen oder die paar Milliarden Jahre, seit es die Erde gibt? Wem ist die Entfernung auch nur zum nächsten Stern etwas, mit dem sich für ihn Anschauung verbindet? (Das sind "nur" vier Lichtjahre!) Wer begreift den wunderbaren Bauplan der Natur? Wer kann von sich behaupten, er hätte die Liebe ergründet oder die Treue oder er wüßte, was uns nach dem Tod erwartet?

Auf der anderen Seite aber rechten wir mit dem, der über all diesen Rätseln und Wundern thront. Wir nennen Gott ungerecht. Wir wollen ihm vorschreiben, was er uns zu geben hat, wie er uns beurteilen muß, was wir uns von ihm wünschen und was er doch wohl nicht zulassen darf... Und wenn er nicht tut, was wir uns wünschen, dann wenden wir uns ab, ziehen uns in den religiösen Schmollwinkel zurück, beten nicht mehr oder gehen nicht mehr in seine Kirche und werfen ihm vor, er hätte uns verletzt oder geärgert.

Liebe Gemeinde, wie klein sind wir auf der einen Seite, wie wenig haben wir verstanden von dem, was das Leben ausmacht, was die Welt im Innersten zusammenhält, wer Gott ist oder auch nur wir selbst... Wenn es eine Million Fragen gäbe, so hätten wir vielleicht eine beantwortet. Wenn es 1000 Geheimnisse gäbe, so wären wir bei einem vielleicht auf einer ersten Spur. Aber wir sind unzufrieden mit Gott. Wir hadern und zürnen ihm. Wir erheben unsere Stimme, ihn zu befragen, von ihm Rechenschaft zu fordern, ihn anzuklagen und manchmal gar zu beschimpfen. So ist für mich der wichtigste unter diesen vielen schwierigen Gedanken heute dieser: Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?

Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, ob sie jetzt noch mitgehen können, wenn ich sage: Das scheint mir nicht nur die wichtigste Frage an diesem alten Text aus dem Munde des Paulus. Das ist für mich eine, ja, die entscheidende Frage eines Lebens vor und mit Gott überhaupt: Wer sind wir, daß wir Gottes Handeln anzweifeln könnten, daß wir es besser zu wissen glauben, daß wir es wagen, Gott Vorschläge oder gar Befehle zu unterbreiten, wie er dies und das doch gefälligst zu machen habe...

Von Kindern mögen wir das ja noch hinnehmen und Gott mag es durchgehen lassen, aber wie kommen wir Erwachsene, mündige Menschen dazu, Gott etwas vorschreiben oder ihn erpressen zu wollen: Wenn du mir nicht dies oder das schenkst, dann will ich nicht mehr an dich glauben und dich nicht mehr lieben? Und auch umgekehrt gibt es diese Erpressung - und sie ist keinen Deut besser: Wenn du mir jetzt hilfst, dann will ich auch Vertrauen zu dir fassen. Wenn du mich jetzt rettest, dann will ich häufiger den Gottesdienst besuchen. Wer sind wir, daß wir so mit Gott umspringen?

Die Worte des Paulus, die wir vorhin gehört haben, münden in ein Bild. Ich finde, es ist überaus treffend. Paulus fragt nicht nur, wer bist du, Mensch, daß du mit Gott rechten willst? Er vergleicht uns mit dem Ton, den der Töpfer, Gott, formen kann, wie er das will. Was ist denn der Ton, daß er dem Töpfer sagen wollte, zu welchem Gefäß er ihn werden lassen muß?

Liebe Gemeinde, ich weiß wohl, alle diese Worte und Bilder gefallen uns nicht. Mir auch nicht. Wir sind es inzwischen ja schon gewohnt, uns für kleine Herrgötter zu halten. Und wirklich uns selbst! Nicht nur die Wissenschaftler, die sich an die Baupläne und die kleinsten Bausteine des Lebens heranwagen und die bedenklichsten Experimente riskieren, überschätzen sich! Und nicht nur die Politiker, die längst der Versuchung erlegen sind, alles für machbar zu halten, die jede Moral und die soziale Verantwortung für die kleinen Leute vergessen und Gott und seinem Willen meist abgeschworen haben. Auch wir kranken daran, daß wir den Kopf zu hoch tragen vor Gott, daß wir mit ihm reden, wie mit unseresgleichen, daß wir ihn behandeln, als wäre er unser Knecht und nicht der Herr aller Herren.

Gewiß: Gott ist unser Vater! Aber er bleibt der Herr und der Schöpfer! Er bleibt der Gott, dem wir verantwortlich sind, der uns gemacht hat und dem wir Rechenschaft schulden! Wenn er sich uns freundlich, väterlich zuwendet, dann nicht, weil er das müßte - sondern nur weil er das will. Vergessen wir das nicht! Und wo wir es schon vergessen haben, erinnern wir uns!

Ich spüre das jetzt, sie hätten gern Beispiele, Belege, daß es wirklich so ist, wie ich behaupte. Hier sind sie: Ich finde, es ist anmaßend, wenn die Menschen unserer Tage Gott so ganz und gar aus ihrem Leben verdrängen. Nehmen wir doch irgendeinen x-beliebigen Menschen aus unserem Ort. Wo ist die Berührung mit Gott, dem Schöpfer und Richter aller Menschen, wo ist der Kontakt - und sei es auch nur einmal im Jahr! Bei inzwischen über 50 % der Menschen ist da nichts mehr - auch nicht an Weihnachten. Und sie leben doch von Gottes Güte! Und sie ernten doch aus Gottes Segen. Und sie haben doch Arbeit, weil Gott mit ihnen ist. Und wenn sie gesund sind und ihren Unterhalt haben, dann ist es doch Gottes Wille, daß es ihnen so gut geht.

Und da jetzt manche denken, daß ich ja nur von denen rede, die halt nicht kirchlich sind, will ich auch noch von den anderen sprechen, die sich sehr wohl für kirchlich und christlich halten: Ich finde, es ist auch anmaßend, wenn sich in unseren Köpfen immer mehr die Vorstellung einnistet und breit macht, Gott hätte uns doch ein gutes Schicksal, ein leichtes Geschick und ein seliges Leben zu schenken. Eben weil wir doch so christlich und weil wir doch Kirchgänger sind. Tun wir das jetzt nicht leichthin ab: "Ich doch nicht!" Wir fragen sehr wohl, wenn uns ein schwerer Schlag trifft, womit wir das verdient haben! Wir hadern doch, wenn uns etwas Böses zustößt, warum es nicht einen anderen erwischt hat - der doch wirklich eher einmal eine Strafe verdient. Jedenfalls reimt sich, was wir dann denken und oft auch reden, nicht mit der Majestät Gottes. Es paßt ewig nicht zusammen, wenn Gott für uns doch der allmächtige, allwissende Herr ist, daß wir ihn anklagen, mit ihm hadern oder rechten, ihn anzweifeln, ja, ihn auch nur auf seine Güte und Liebe festnageln wollen, die er uns doch versprochen hätte. - Was wissen wir denn, wie das ausgeht, was uns geschickt wird? Was wissen wir denn, wie das in Gottes Plan eingebaut ist? Was wissen wir denn, was Gott überhaupt mit uns vorhat oder eigentlich mit uns vorhätte, die wir uns doch oft so hartnäckig sperren und seiner Führung verweigern!?

"Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, daß du mit Gott rechten willst?" Was ist der Ton, daß er dem Töpfer Vorschriften machen wollte, wozu er ihn formen soll?

Liebe Gemeinde, wem das heute alles zu ernst und zu wenig aufbauend war, dem möchte ich noch das sagen: Die andere Seite dieser bedrückenden Gedanken ist dies: Nur aus dem unbegrenzten Vertrauen zu Gott wird ein "seliges", ein zufriedenes Leben entstehen. Nur wer aufhört, sich selbst wichtig zu machen, es besser zu wissen und groß von sich zu denken, wird in Gottes Nähe Geborgenheit finden. Gott will einen Glauben, der unbedingt damit rechnet, daß er mein Bestes will! Das genau hat Gott nämlich sein Bestes gekostet: seinen Sohn. Seitdem haben Christen keinen Grund mehr, daran zu zweifeln, daß Gott uns - trotz allen schweren Geschicks - liebt, in allem Leid hält und durch alles Böse führt und bewahrt in Ewigkeit.