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Predigt zum 1. So. n. Weihn. - 30.12.2001

Wir lassen uns einstimmen durch Worte aus dem Prophetenbuch des Jesaja.

Textlesung: Jes. 49, 13 - 16
Jauchzet, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobet, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden.

Zion aber sprach: Der HERR hat mich verlassen, der Herr hat meiner vergessen.

Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.

Liebe Gemeinde!

Bewußt habe ich vor der Lesung dieser Prophetenworte gesagt: Wir lassen uns einstimmen... Ich will heute diese Verse nicht predigen, ich will ihre vielleicht wichtigste Frage aufnehmen: Ob Gott seine Menschen denn wirklich verläßt und vergißt? Und ich denke, das ist ja eine Frage, die uns an der Schwelle eines neuen Jahres besonders beschäftigt.

Ich denke dazu: Gott vergißt uns nicht. Er verläßt niemals die Menschen, denen er doch seine Begleitung und seinen Beistand zugesagt hat. Auch wenn es für uns oft so aussieht.

Woran liegt das, wenn wir manchmal glauben, Gott wäre aus unserem Leben, unserem Schicksal verschwunden? Einmal sicher an unserer mangelnden Geduld. Es fällt uns schwer zu warten, bis Gottes Stunde da ist. Dann liegt es aber gewiß auch daran, daß Gottes Zeit eine andere ist als unsere. Was wir uns im Augenblick wünschen und ersehnen, das tut Gott oft erst im Laufe von Jahren oder gar Jahrzehnten. Daß Gott sich und uns manchmal lange Zeit läßt, ist dabei auf der einen Seite für uns schwer zu verstehen, auf der anderen Seite aber offenbart sich darin eine große, welt- und menschenumspannende Güte. Gott will ja mit dem, was er uns tut, anderen nicht schaden. Es braucht also Zeit, daß die Erfüllung unserer Wünsche auch anderen dienen und helfen kann.

Wenn wir also heute noch sehnen und hoffen, wenn uns heute noch ein Leid quält und Sorgen uns den Mut nehmen wollen, so kann doch schon bald - oder auch erst in Jahren - alles ganz anders sein. Tränen müssen der Freude weichen. Sorgen werden von neuer Zuversicht vertrieben. Gott hat uns in seinen gütigen Augen. Er führt seinen guten Willen zum Ziel - auch wo es lange dauert.

Eine wunderschöne Geschichte soll uns heute ein wenig deutlicher werden lassen, wie lange Zeit Gott manchmal verstreichen lassen muß, daß sein Plan mit uns Menschen wirklich werden kann. Vielleicht hilft sie uns auch dabei, daß wir lernen geduldiger zu sein und unser Vertrauen in Gott dabei nicht zu verlieren.

Die Geschichte von der Krippe und dem Kreuz

Zwischen Jerusalem und Bethlehem fällt ein junger Zimmermann einen Baum. Seit Generationen war der Beruf immer auf den Sohn vererbt worden. Seit Generationen schon gehörte seiner Familie das kleine Waldstück zwischen Bethlehem und Jerusalem. Immer, wenn er Holz brauchte, ging er in den Wald und fällte einen Baum. Das tat er auch an diesem Tag vor etwa 2000 Jahren. Diese Zimmermannsfamilie hatte sich seit Generationen angewöhnt, sofort einen neuen Baum zu pflanzen, wenn sie einen gefällt hatten. Sie nahmen eine Baumfrucht von einem gefällten Baum und setzten sie in die Erde, genau an der Stelle, wo der alte Baum stand. So sollte das Leben der Bäume in ihren Nachkommen weitergehen.

Der Zimmermann hatte seinen Baum gefällt und begann nun, aus ihm Bretter zu sägen. Futtertröge für die Ställe von ein paar kleinen Bauern sollte er machen, aber auch für einige Herbergen, die sich auf den erwarteten Ansturm in wenigen Wochen rüsteten. Zur Volkszählung sollten viele Leute nach Bethlehem kommen, und die brachten ja Tiere mit, die auch eine Bleibe brauchten. So wurde auch die eine oder andere Futterkrippe benötigt. Als die Tröge fertig waren, brachte er sie zu den Bauern und Herbergen. Der Wirt einer kleinen, armseligen Herberge konnte die Krippe nicht bezahlen. Er bat um Aufschub, bis die ersten Gäste gekommen waren und etwas gezahlt hatten. Der Zimmermann versprach, bald nach Beginn des erwarteten Ansturmes zu kommen und sein Geld abzuholen. So vergingen die Wochen und so verging auch die Nacht, in der eine einfache Frau ihr Kind in der Herberge bekam und es in die unbezahlte Krippe legte.

Maria und Josef mußten ihren Aufenthalt in Bethlehem wegen der Geburt des Kindes verlängern und weil sie die Gelegenheit nutzen wollten, ihr Kind in Jerusalem im Tempel segnen zu lassen. Und so blieben sie erst noch eine Weile in Bethlehem, da sie in Jerusalem eine Herberge nicht hätten bezahlen können.

Der Zimmermann kam nun zu dem Wirt, um sein Geld für die Krippe abzuholen. Der Wirt erzählte ihm, daß seine Krippe jetzt als Wiege für ein seltsames Kind benützt würde. Der Wirt hatte nämlich bemerkt, daß von den Feldern vor der Stadt Hirten gekommen waren, um das Kind anzubeten. Neugierig ging der Zimmermann auch in den Stall, um zu sehen, was denn da in seinem Futtertrog lag. Auch er fand Maria und Josef und das Kind in der Krippe und wunderte sich über diese Menschen. Maria erzählte ihm von den Worten, die die Hirten über das Kind in der Krippe gehört hatten: "Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids." Der Zimmermann staunte: Das sollte der erwartete Heiland sein? Dies kleine Kind, das da in seiner unbezahlten Krippe lag mitten in einem Stall einer armseligen Herberge? Der Zimmermann konnte und wollte es auch nicht glauben.

- Dreißig Jahre später:

Der Zimmermann ist alt geworden. Aber er hat jetzt einen erwachsenen Sohn, der ihm hilft. Der Vater hatte dem Sohn erzählt, was er vor 30 Jahren in Bethlehem gesehen hatte. Mittlerweile hatten sie von dem jungen Mann gehört, der damals im Stall lag und heute als armer Wanderprediger durch die Gegend zog und viele Freunde um sich scharte.

So arm wie er als Kind in der Krippe war, so arm war er geblieben. Er fuhr in Booten über den See, die anderen gehörten. Er verteilte Brot und Fische, die einem anderen gehörten. Er ritt auf einem Esel in die Stadt, der einem anderen gehörte. Er feierte in einem Haus, das einem anderen gehörte. Doch machte er viele reich: Die Ehebrecherin, die ihrer Verurteilung entgehen konnte. Den Blinden an der Straße, dem er die Augen auftat. Zachäus, der ihn mit Freuden aufnahm und sein halbes Vermögen verschenkte. Die Samariterin am Brunnen, die in ihm den Heiligen erkannte.

Der Zimmermann hatte wieder einen Auftrag. Er machte sich mit seinem Sohn auf zu dem kleinen Wald, in dem er seine Bäume immer noch fällte und pflanzte. Der alte Zimmermann wußte ganz genau, welcher Baum nun zu fällen war. Für den Auftrag, den er jetzt von den Römern hatte, brauchte er einen kräftigen Baum, genau 30 Jahre alt mußte er sein. Und so fällte er den Baum, den er vor 30 Jahren gepflanzt hatte. Er fällte den Nachkommen des Baumes, aus dem er die Krippe gemacht hatte. Jetzt sollte aus dem gleichen Holz ein Kreuz gemacht werden. Der Zimmermann fällte den Baum und nahm wieder eine Frucht dieses Baumes und pflanzte sie in die Erde. Er sägte mit seinem Sohn starke Bohlen aus dem Baum und bereitete sie so vor, daß sie zu einem Kreuz zusammengefügt werden konnten. Dann brachten sie die fertigen Bohlen nach Jerusalem zur Hinrichtungsstätte Golgatha.

Bald hing der Heiland am Kreuz, das aus dem gleichen Holz gemacht war, wie vor 30 Jahren auch die Krippe. Wie damals im Stall so war er auch hier auf Golgatha nackt und bloß. Der alte Zimmermann denkt: Das Holz des Baumes aus meinem Wald und meine Arbeit haben ihn begleitet vom ersten bis zum letzten Atemzug. Was ist nur geworden aus der hoffnungsvollen Nacht, aus der Familie im Stall, aus den Worten, die Maria dem Zimmermann berichtete: "Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids."?

- Fünf Jahre später:

Der Zimmermann hatte wieder einen Auftrag aus Jerusalem bekommen. Es war ein kleiner Auftrag, den er alleine ausführte. Er sollte wieder ein Kreuz machen, aber keins, an dem man einen Menschen aufhängen kann. Es sollte kleiner sein und schön gearbeitet und mit einem Fuß versehen, damit man es auf den Boden stellen kann. Der alte Zimmermann geht also wieder in seinen Wald. Diesmal muß der Baum kleiner sein, etwa 5 Jahre alt. Er fällt den kleinen Baum, der ein Nachkomme von dem Krippen- und dem Kreuzbaum ist. Wieder pflanzt er eine Frucht an die gleiche Stelle. Und dann macht er ein Kreuz und bringt es nach Jerusalem zu dem Versammlungsraum der christlichen Urgemeinde. Als er das Kreuz ablieferte, begann gerade ihr Gottesdienst. Neugierig blieb der Zimmermann aus Bethlehem bei ihnen. Ihn hatte nun seit über 35 Jahren dieser Heiland beschäftigt. Damals im Stall, als er in der unbezahlten Krippe lag und seine Mutter ihm eine große Verheißung erzählte. Dann dreißig Jahre später, als er das Kreuz machte, an dem dieser Heiland starb. Und nun war er bei den Menschen, die immer noch an den Heiland glaubten, obwohl er doch gestorben war. Das alles konnte der Zimmermann nicht zusammenbringen. Es fiel ihm schwer zu verstehen, daß die Krippe und das Kreuz aus dem gleichen Holz gemacht sein mußten, weil beide eng zusammengehörten. Da hörte er folgendes Lied:

"Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr und Heiland ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. Amen."

Liebe Gemeinde, Gott hat uns nicht verlassen und nicht vergessen. Aber es braucht manchmal Jahre, bis er seinen guten Willen über uns Wirklichkeit werden läßt. Wie er aus dem Holz der Krippe das Holz des Kreuzes gemacht hat, wie er um dieses Kreuz bis heute seine Gemeinde in der Welt versammelt und wie er durch dieses Kreuz seinen Menschen in Ewigkeit Heil und Rettung schafft, so wird er aus unserem Kreuz und Leid - zu seiner Zeit - neues Leben und überschwängliche Freude machen. Wir wollen Geduld haben.