Predigt zum Drittl. So. des Kj. - 11.11.2001

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Liebe Gemeinde!

"Ich habe so darum gebetet, damals, daß ich wieder eine Stelle in meinem erlernten Beruf finde", sagte der Mann, "Gott aber hat einfach nicht gehört! Viele Monate bin ich arbeitslos gewesen. Dann konnte ich an einer Umschulungsmaßnahme teilnehmen für einen neuen Beruf, zu dem ich keinerlei Neigung verspürt habe. Heute bin ich zwar wieder im Arbeitsleben, aber daß ich nicht mehr machen kann, was ich gelernt habe, tut immer noch weh. Und irgendwie hadere ich auch noch mit Gott, daß er mich diesen Weg geführt hat."

Eine Mutter erzählt: "Meine Tochter war 15, als ich ihr Vertrauen verloren habe. Ich weiß bis heute nicht, warum und ob ich irgendeinen Anlaß dazu gegeben hatte. Sie zog sich auf einmal ganz in sich zurück. Sie sprach nur noch das Nötigste mit mir und ließ mich nicht mehr teilhaben an ihrem Leben, was sie beschäftigt, was sie denkt und wer ihre Freunde sind... Wie oft habe ich gebetet, daß sie zu mir zurückfindet, daß es wieder wie früher ist, wir wieder miteinander sprechen können. Nichts ist besser geworden seitdem! Es ist, als ob meine Gebete ins Leere gegangen wären. Heute ist meine Tochter 18. Sie lebt noch bei uns, aber sie behandelt mich wie eine Fremde. Furchtbar ist das. Lange kann ich das nicht mehr ertragen."

Wovon würden wir sprechen, wenn es um unser Beten geht und darum, ob Gott uns erhört oder geschwiegen hat? Wollten wir nicht gesund werden - die Krankheit ist bis heute geblieben. Wollten wir nicht diese Last ablegen können, die uns schon so viele Jahre quält - liegt sie nicht noch immer auf unseren Schultern? Und von wie vielen verpaßten Chancen könnten wir erzählen - und wir hatten doch zu Gott gefleht, daß er uns einmal nicht vergißt, uns gewährt, worum wir ihn bitten.

Dabei gibt es doch genug Menschen, die würden bezeugen, daß Gott ihnen geholfen hat, daß ihre Gebete gehört und er ihnen geschenkt hat, was sie ihn gebeten haben. Vielleicht sind ja auch unter uns jetzt solche, die was das Beten angeht weniger von enttäuschter Hoffnung als von Erfüllung und guten Erfahrungen berichten könnten. Aber woran liegt das? Beten diese Menschen anders? Können sie's besser? Haben sie ein "Rezept" wie man bei Gott "erfolgreich" betet?

Das sind gewiß sehr heikle Fragen. Sie sind besetzt mit vielen Gefühlen, mit Schmerz, Traurigkeit und Enttäuschung. Trotzdem: Es liegt auch viel Verheißung darin, vielleicht zu einem Beten zu finden, das bei Gott etwas erreicht, unser Leid wendet und ein wenig mehr Glück und Zuversicht in unser Leben bringt. Darum fragen wir wirklich einmal, wie wir beten:

Manche Menschen sind in ihrem Gebet sehr zaghaft. Ganz tief in ihrem Innern haben sie Angst davor, Gott mit ihren Sorgen zu behelligen. Der große Gott hat doch gewiß anderes zu tun, als ihre Bitten anzuhören! Und die sind auch noch so persönlich! Darf man denn seine eigenen Wünsche vortragen? Ist das nicht unangemessen, Gott um Kleinigkeiten wie die eigene Genesung anzugehen, wenn in der großen Welt Millionen nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf haben?

Andere bleiben nicht beharrlich bei ihrem Beten! Kaum haben sie ein-, zweimal ihre Wünsche vor Gott gebracht, da lassen sie ihre Bitten schon wieder fallen. Und sie sagen dabei: Gott hört ja doch nicht. - Aber vielleicht hätte Gott zu seiner Zeit doch geholfen? Vielleicht will er auch durch unsere Treue beim Beten sehen, wie ernst es uns ist und wie wichtig unsere Anliegen? Wenn wir unseren Wunsch wieder und wieder aussprechen, spricht das nicht wirklich dafür, daß uns etwas sehr viel bedeutet?

Viele Menschen trauen sich auch gar nicht, mit ihren eigenen Worten zu Gott zu kommen. Sie meinen, im Abendgebet, das sie seit ihrer Kindheit sprechen, wäre auch alles eingeschlossen, was sie beschäftigt und was sie sich von Gott erhoffen. Aber ist Gott nicht unser Vater? Würden wir mit unserem menschlichen Vater in vorgefertigten Worten reden? Ja, müssen wir bei unserem Vater denn wirklich darauf achten, daß unsere Worte wohlgesetzt sind? Wird er uns nicht auch verstehen, wenn wir einfach aussprechen, wie uns in unserem Herzen zumute ist?

Dann gibt es sicher auch noch die Menschen, die beim Beten einfach nicht mehr so unbefangen und hoffnungsvoll sind. Zu oft sind sie schon enttäuscht worden. Und vielleicht ist heute eine gewisse Bitterkeit und Resignation in ihnen. Doch: Sie beten noch - aber ohne allzuviel Vertrauen. Sie haben das Gespräch mit Gott nicht ganz eingestellt - aber es liegt nicht mehr viel ehrliche Erwartung darin. Groß und alles überragend steht ihre Erfahrung dem Glauben an die Macht des Gebets im Weg.

Wir wollen jetzt auf den Predigttext zu diesem Sonntag hören. Ich finde, er kann uns hier weiterführen. Er spricht über ein Beten, das bis zu Gottes Ohr vordringt, ein Beten, das erreicht, was es will:

Textlesung: Lk. 18, 1 - 8

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, daß sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.

Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt!

Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. (Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden?)

Liebe Gemeinde, ziemlich unverschämt diese Witwe! Sollen wir es ihr wirklich gleich tun? Und ziemlich fragwürdig, wie sich dieser Richter verhält! Soll er etwa ein Bild für unseren himmlischen Vater abgeben?

Aber lassen wir uns davon nicht beirren. Wir wissen doch, wie anstößig Jesus immer wieder erzählt hat, um aufhorchen zu lassen und am Ende seine Botschaft in die Ohren und die Herzen zu sagen. Denken wir doch nur an die Arbeiter im Weinberg: Gewiß war es nicht richtig, den ganzen Tag müßig herumzustehen und dann nur noch eine Stunde zu arbeiten - aber so wird deutlich, wie gütig Gott ist, und daß er möchte, daß alle Menschen leben können und ihr Auskommen haben!

Oder denken wir an den Verlorenen Sohn: Ist das nicht empörend? Alles hat er durchgebracht und verpraßt und doch nimmt ihn der Vater auf mit offenen Armen. Aber erkennen wir nicht gerade an dem, was uns in dieser Geschichte aufregt, wie lieb der Vater im Himmel alle seine Kinder hat - und eben auch die, die sich von ihm abgewendet haben?

Und genau so ist es auch hier: Fragen wir nicht nach der Unverschämtheit der Witwe oder nach dem fragwürdigen Verhalten des Richters. Fragen wir, was uns über rechtes, "erfolgreiches" Beten gesagt wird: "Schaffe mir Recht!", so spricht die Witwe kein bißchen ängstlich oder ehrfurchtsvoll vor dem hohen Richter! Sie weiß, was sie will und sie trägt es vor. Auch hat sie keine Scheu, ihre eigene Sache zu vertreten: Um ihr Recht geht es. Sie will etwas für sich! - Wie geht es weiter: "Aber er wollte lange nicht!", heißt es. Die Frau aber läßt nicht locker. Wir können uns vorstellen, daß sie immer wieder vorstellig wird. Vielleicht lauert sie dem Richter sogar auf, wenn der zum Feierabend auf dem Weg nach Hause ist? Vielleicht besucht sie ihn sogar in seinem Haus, um ihm zu zeigen, daß er sie nicht los wird, daß sie nicht aufsteckt, bis er ihr gibt, was sie von ihm fordert? Und er tut's: "Ich will dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, recht schaffen", sagt schließlich der Richter. Beharrlichkeit führt zum Ziel! Die Frau läßt sich nicht abwimmeln. Ihre enttäuschenden Erfahrungen können sie nicht entmutigen. Sie bleibt dran und erreicht, was sie will: ihr Recht!

Aber erinnern wir uns: Der Richter wird ungerecht genannt! Gott aber ist gerecht! Darum hat unser Beten zu ihm gewiß noch viel mehr Verheißung! "Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen?"

Liebe Gemeinde, lassen wir uns von Jesu Worten ermutigen, dazu anstoßen, daß wir mit einem neuen, anderen Beten vor Gott kommen: Daß wir nicht zaghaft und ängstlich unsere Bitten vortragen, sondern wie Menschen, denen es ausdrücklich erlaubt ist, auch ganz persönliche Dinge, Fragen und Wünsche auszusprechen. Daß wir beharrlich beim Beten sind, nicht gleich aufgeben, wenn die Hilfe ausbleibt oder sich nicht erfüllt, was wir von Gott erflehen. (Martin Luther hat - ähnlich unverschämt wie die Witwe in der Geschichte - gesagt: "Du mußt Gott im Gebet die Ohren reiben, bis sie heiß werden!") Daß wir auch unsere ganz eigenen Worte beim Beten finden; sie müssen nicht wohl bedacht und trefflich formuliert sein. Der Vater versteht die Sprache seines Kindes! Und schließlich lassen wir uns von Jesu Worten dahin führen, daß wir niemals die Hoffnung verlieren. Es gibt ja doch hinter allem Beten und Erhören einen Vorbehalt, den der himmlische Vater macht: Er wird uns niemals geben, was schlecht, was nicht dienlich für uns ist. Darum wollen wir auch da, wo vermeintlich gar keine Antwort auf unser Gebet kommt, nicht das Vertrauen verlieren. Gott hat uns gehört. Gott wird uns antworten - aber dann und so, wie er es für richtig hält.

Ich wünsche den beiden Menschen, von denen ich am Anfang gesprochen habe, daß auch sie zur rechten Zeit und auf eine sie beglückende Weise erleben, daß Gott ihr Gebet erhört.

Ich wünsche uns allen, daß wir bei unserem Gebet ein bißchen dem Beispiel der Witwe in der Geschichte Jesu folgen - und dadurch - und immer wieder in unserem Leben - die Wahrheit dieses Wortes erfahren: "Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen?"