Predigt am 2.12.2018 - 1. Sonntag im Advent

Liebe Gemeinde!

Ein neues Kirchenjahr beginnt. Die Farbe der Vorhänge an Altar und Kanzel erinnern uns: Das neue Jahr der Kirche fängt mit einer Bußzeit an. Violett ist die Farbe der Buße, der Umkehr und der Besinnung. Ob wir uns darauf einlassen können? Ja, wollen wir das einmal ernst nehmen, dass etwas Neues beginnt, neue Möglichkeiten, sich anders ausrichten, sogar ein neues Leben beginnen?

Ich musste an meine Schulzeit denken. Immer wenn ich ein neues Heft angefangen habe, wollte ich es anders machen auf seinen noch weißen, unbeschriebenen Blättern: Weniger klecksen, ordentlicher schreiben und im Rechnen weniger Fehler... Ich erinnere mich auch noch an meine Gefühle damals, bei solchen Gelegenheiten: Das war richtig aufregend, den ersten Strich, den ersten Buchstaben auf die weiße, saubere Seite setzen. Schon das Etikett auf dem Umschlag zu beschriften, war schön, fast spannend: Mein Name, mein Heft, ein neuer Anfang, alles wird anders. Zugegeben, diese Spannung, diese prickelnde Erwartung war meist schnell wieder verflogen. Das hielt nicht lange vor. Vielleicht noch am selben Tag war er wieder da: Der Fehler in der Rechenaufgabe, der Tintenklecks im Aufsatz, die Schmierspuren des Radierers, das durchgestrichene Wort. Aber beim nächsten Mal war's wieder schön, aufregend und eine Freude...das neue Heft...der Anfang...damals als Kind.

Ob wir Erwachsene das besser machen? Ob wir Neues beginnen können und auch dabei bleiben? Ob unser Anfang heute von Dauer ist und die Freude länger vorhält? Wie könnte unser Beginn aussehen? Welchen Anfang machen wir heute?

Wir hören Worte aus dem Evangelium des Lukas:

Textlesung: Lk. 1, 67 - 79

Und sein Vater Zacharias wurde vom heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat uns aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David - wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten -, dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen. Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.

Was könnte unser Beginn heute sein, haben wir gefragt. Was wir hören sind sehr große Worte: Heiligkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Frieden. Fast möchte uns da der Mut ausgehen. Wenn wir noch einmal an unser Schulheft denken, dann möchten wir erst gar nicht den ersten Buchstaben auf das erste Blatt setzen und unseren Namen auf den Umschlag schreiben. Daran werden wir ja doch scheitern! Das kann uns nicht gelingen: Heiligkeit, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Frieden.

Aber bevor wir nun das neue Heft weglegen, lasst uns genauer hinsehen: "Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes..." Wir sollen den neuen Anfang gar nicht alleine machen! Es kommt einer, der hilft uns dabei. Wir wissen seinen Namen: Johannes. Und wir wissen von ihm, dass er den Menschen Buße und Umkehr gepredigt hat. Und er hat sie getauft. Nun, getauft sind wir...und Buße und Umkehr, die wollen wir ja gern versuchen. Nur wie? "...dass du seinen Weg bereitest und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden..." Ob es das ist: Vergebung? Schön wäre es schon. Neu beginnen, alles zurücklassen, was wir falsch gemacht haben; es muss uns nicht mehr quälen, nicht mehr belasten. Wunderbar! Befreiend! Hoffnungsvoll!

Hier kommt, der uns das bringt: "...gebest seinem Volk Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes..." Einer sagt uns: Das alte Heft mit seinen Schreibfehlern und hässlichen Klecksen wird verbrannt, zählt nicht mehr, gilt nicht mehr. Du schlägst heute ein neues Heft auf und alles kann neu beginnen, besser werden. Und nicht aus dir selbst, sondern weil einer dir hilft, die Hand führt, deine Gedanken begleitet, deinen Willen stärkt und dir bei der Lösung deiner Aufgaben hilft.

Aber hier kommt die Sache mit dem Schulheft auch an ihre Grenze: Das Leben ist ja doch viel ernster, viel gewichtiger, und was uns misslingt und daneben geht ist schwerwiegender als der Fehler beim Rechnen oder die Seite mit dem Tintenklecks. Darum schauen wir auf unser Leben. Hören wir und lassen wir uns sagen, was bei uns neu werden kann und anders und wie das geschieht:

Eine ist heute (vielleicht) unter uns, die gerade überlegt, ob sie ihrem Leben nicht noch ein wenig mehr an Sinn und Erfüllung abgewinnen könnte. Es ist schon seit Jahren so farblos, so langweilig, so ohne Freude auch und so eingefahren. Wie oft hat sie sich in der letzten Zeit schon gefragt, was eigentlich noch wichtig ist an dem, was sie tut, wer sie wirklich braucht und wem sie fehlen würde, wenn sie nicht mehr wäre. Ja, ganz ernste und schonungslos offene Fragen waren das, die sie sich gestellt hat. Und jetzt will sie ihr Leben gern noch einmal herumreißen. Und sie weiß auch Aufgaben, sie kennt auch Menschen, die sie brauchen und will auch gern den neuen Anfang wagen.

Heute hört sie: "Gott hat besucht und erlöst sein Volk!" Und das will ihr Mut schenken, es nun wirklich zu probieren. Das sagt ihr zu: Du bist nicht allein, du wirst Hilfe haben. Gott ist mir dir in allem, was du beginnst.

Und ein anderer ist unter uns, der hat große Schuld auf sich geladen. Oft hat er schon gedacht: Das wird nie mehr. Da komme ich nicht heraus. Das wird mir immer anhängen und mich niemals mehr aus seinen Klauen lassen. Selbst wenn er gewiss würde, Gott vergibt mir, so wären doch da die Leute, die reden, die ihn festlegen auf das, was war und was er getan hat. Ja, ist es nicht eigentlich eine Illusion: Du könntest frei werden, aufatmen, der Ring um deine Brust könnte gesprengt werden? Wird nicht immer haften bleiben, dass du doch damals in Schuld gefallen bist, verstrickt warst in ein Geflecht des Bösen und der Bosheit. Mag auch die Schuld selbst nicht mehr zählen, so wird doch ihr Schatten immer auf dir liegen, dein Leben lang.

Heute hört er: "...dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen." Es ist möglich, alles zurückzulassen in der Vergangenheit! Es gibt den neuen Tag, an dem alle Schatten von uns abfallen. Gott vergibt. Gott erlöst und Menschen können durch ihn auch verzeihen. Wem Gott vergeben hat, dem darf kein Mensch mehr seine Schulden behalten. Und selbst, wo sie's doch tun, ist doch Gottes Verzeihen stärker und löst uns und stellt uns auf den neuen Weg, in den weiten Raum, in dem nichts mehr gilt, was gewesen ist.

Und dann gibt's da noch die Menschen unter uns, die ihrem Leben so gern ein wenig mehr Tiefe geben würden. Wie oberflächlich ist doch diese Zeit. Was hat schon Bedeutung, was ist wirklich wesentlich? Ein Tag vergeht wie der andere. Aufstehen, sein Tagwerk verrichten, ein wenig Freizeit und Zerstreuung, sich niederlegen. Wo ist Gott bei alledem? Welche Zeit meines Lebens gehört ihm? Wo ist der Platz, den ich ihm gewähre? Wird es nicht langsam Zeit bei mir, dass ich mich auf Gott besinne? Die Jahre sind so kurz! Rasch ist das Leben vorbei. Und wir ahnen doch, es könnte viel mehr Farbe in unsere Tage kommen, wenn wir Gott eine größere Rolle bei uns spielen ließen. Und es stünde ihm ja auch zu! Und es täte uns gut und wir wüssten mehr, warum wir da sind.

Heute hören wir: "...wird uns besuchen das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens." Warum nicht die Menschen, die Dinge, unsere Zeit mehr im Lichte des Wortes Gottes sehen? Es gibt Aufgaben, es gibt Aufträge - gerade an uns. Und wir können sie erfüllen. Menschen erfahren durch uns Hilfe und Freundlichkeit. Menschen werden glücklicher durch unsere Nähe. Unser Tag, jeder Augenblick wird wertvoller und schöner. Morgens fröhlich aufstehen, weil uns Gott manches vor die Füße legen wird, was uns angeht und was wir angehen können. Abends zu Bett gehen mit dem Gefühl: Es war ein wichtiger Tag, es ist Wesentliches geschehen: Wir haben der Freude anderer gedient, wir haben getan, was Gott von uns wollte, wir haben den Frieden gefördert. Und bei allem waren wir nicht allein. Gott war bei uns. Gott hat uns Kraft gegeben und den Mut, sie für andere einzusetzen. Und Gott verlässt uns auch nicht. Er macht nicht nur den Anfang mit uns, er sorgt dafür, dass wir dem treu bleiben können, was wir heute beginnen.

Liebe Gemeinde, ein neues Jahr der Kirche fängt an. Wir schlagen ein neues Heft auf und schreiben unseren Namen darauf und die ersten Worte auf das erste Blatt... Vielleicht werden wir wieder klecksen. Vielleicht gibt es Fehler und falsche Lösungen.

In unserem Leben aber sind wir nicht allein. Gott hilft uns, dass wir dem Anfang treu bleiben können, den wir uns heute vornehmen. Gott gibt uns die Kraft, die Hilfe und die Ausdauer, die wir brauchen. Und die Erfüllung, den Sinn und die Freude daran wird er uns auch schenken.

"Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk!" AMEN