Predigt am 19. So. nach Trinitatis - 7.10.2018

Textlesung: Jak. 5, 13 - 16

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Liebe Gemeinde!

Wir wollen uns da nichts vormachen: Diese Anweisungen erscheinen uns doch ziemlich fremd. Dem ersten Teil können wir ja noch folgen, aber dem zweiten? Warum sollten wir nicht für uns beten, wenn wir leiden oder krank sind? Warum nicht Psalmen singen, wenn uns nach Freude und Dank zumute ist?

Aber "die Ältesten zu uns rufen" - bei uns also die Kirchenvorsteher oder Kirchenvorsteherinnen - damit sie uns salben und über uns beten...? Damit haben wir doch unsere Schwierigkeiten! Und umgekehrt: Wer von uns würde da so gern hingehen, wenn er zur Salbung eines Kranken und zum Gebet über ihm gerufen würde? Nein, dazu haben wir einfach keinen Bezug. Das Beten über Kranken oder gar Sterbenden überlassen wir gern den PfarrerInnen und Priestern - die katholischen Geistlichen mögen sogar noch die Krankensalbung vornehmen, aber wir doch nicht.

Wir wollen uns jetzt gar nicht damit aufhalten, dass wir uns fragen, warum wir Hemmungen haben, anderen Menschen so nah zu kommen, warum wir das einfach nicht mehr fertigbringen: Uns ans Krankenbett des Nachbarn zu stellen, um für ihn zu beten. - Wir wollen das wahrnehmen: So ist es. Wir sind gehemmt. Wir können das nicht.

Wir wollen aber auch das sehen und aussprechen, was wir doch in unserem Herzen empfinden: Schön wäre es schon, wenn wir es könnten! Schön und sehr hilfreich, wenn wir über anderen beten könnten und auch, wenn über uns gebetet würde, wenn wir schwer krank darniederliegen. Denn es ist etwas anderes, einem Menschen nur "Gute Besserung" sagen, oder für ihn beten. Und es macht einen Unterschied, ob ich nur an seinem Sterbelager stehe, oder ob ich für ihn die Hände falte und ihm den Trost meines Gebets schenke.

Aber wie kommen wir hier weiter? Wir können es nicht und sollen es doch. Wir bringen es nicht fertig und es wäre doch gut, hilfreich und wichtig für uns, für andere.

Liebe Gemeinde, ich möchte ihnen einmal eine kleine Geschichte erzählen, die hat sich wirklich in einer Kirchengemeinde so zugetragen. Sie ist nicht weltbewegend und gibt doch einen wichtigen Hinweis, wie wir vielleicht auch hier weiterkommen könnten:

Es ist der Pfarrer dieser Gemeinde gewesen, der es eingeführt hat. Bei allen Geburtstagen hat er nicht nur die bekannte Formel gesagt: "Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!" Sondern er hat immer etwas davorgesetzt, nämlich dies: "Ich wünsche Ihnen vor allem Gottes Segen!" - Wie gesagt, nichts Besonderes, gerade für einen Pfarrer nicht. Bei ihm wird ja sicher keiner sagen, dass er damit fromm tun will oder dass es übertrieben wäre, wie er gratuliert. Die Geschichte geht aber nun so weiter: Nach und nach, im Laufe von einigen Jahren haben sich auch viele andere diesen Segenswunsch zu Eigen gemacht. Immer mehr Menschen aus dieser Gemeinde sprechen das, wenn sie zu einem Geburtstag gehen, heute auch aus: "Ich wünsche dir Gottes Segen!" Und sie machen sehr schöne Erfahrungen damit. So hat neulich ein Lehrer aus dieser Gemeinde, als er in der Schule einem Kollegen so zum Geburtstag gratuliert hat, erlebt, dass der Kollege gerührt und fast mit Tränen in den Augen zurückgegeben hat: "Das war mein schönstes Geburtstagsgeschenk, dass du mir Gottes Segen gewünscht hast, den kann ich nämlich wirklich brauchen!" Heute ist der Segenswunsch in dieser Gemeinde ein ganz selbstverständlich geübter Brauch. Wohlgemerkt: Nur selbstverständlich, aber nicht floskelhaft oder abgedroschen. Immer noch und immer wieder macht der Austausch des Segens hin und her viel Freude. Und der Pfarrer, von dem ja einmal alles ausging, hat sich nicht wenig gefreut, als er zu seinem letzten Geburtstag von den meisten Gratulanten auch diese Worte gehört hat: "Gottes Segen, Herr Pfarrer!"

"Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn."

Liebe Gemeinde, nein, ich will jetzt nicht doch von Ihnen erwarten oder gar fordern, dass Sie gleich hingehen und das üben, was Ihnen doch so schwerfällt. Ich will das achten: Es macht uns Schwierigkeiten. Es wäre uns peinlich. - Aber ich will - ganz ähnlich wie in meiner Geschichte - hinführen zu einem ganz praktischen Ausdruck unseres Glaubens, der vielleicht doch wieder einmal bei uns geübt und gelebte Wirklichkeit werden kann.

Stellen sie sich vor, ihr Nachbar, der Freund oder vielleicht auch ein Verwandter wird krank. Sie machen einen Besuch bei ihm, und bevor Sie nun das Krankenzimmer verlassen, nehmen Sie noch die Hand des Kranken in Ihre und sagen dazu: Ich wünsche dir von Herzen gute Besserung und...ich werde für dich beten! Ich glaube, das ist nicht zu viel. Das könnten wir aufbringen, ohne uns innerlich zu verbiegen. Es ist zwar noch lange nicht das wirkliche Gebet für einen Kranken, aber ein Anfang ist es schon. - Was kann daraus entstehen?

Erst einmal entsteht bei dem Kranken selbst bestimmt auch schon dadurch Trost und Freude. Wie gesagt, es ist nicht viel, das zu versprechen: Ich will für dich beten! Aber es ist auch nicht wenig. Das wird dem Kranken gut tun zu hören, hier bringt noch ein anderer meine Sache vor Gott. Ich bin nicht allein, da ist noch ein Mensch, der für mich eintritt und für mich bittet...das wird mein Anliegen gewiss fördern. Wenn Gott vielleicht nicht auf mein Gebet hört, so wird er doch auf das eines anderen hören, der für mich spricht.

Klar und selbstverständlich ist es auf der anderen Seite, dass wir das, was wir dem Kranken zugesagt haben, dann auch halten! Erst das Gebet selbst ist die Hilfe! Nicht schon das Versprechen! Und - so seltsam das jetzt klingt - es wird auch uns helfen! Das macht froh, für die Mitmenschen vor Gott zu treten und sich ihre Not zur eigenen zu machen. Es hat seine Verheißung, wenn einer des anderen Lasten trägt. Und Gott hört auf die Fürbitte, die wir füreinander tun. Er hilft, er heilt, er macht gesund - und uns schenkt er die große Freude, dabei mittun zu dürfen durch unser Gebet.

Aber wie geht diese Geschichte weiter? - Der Mensch, der selbst krank war, wird sich gewiss erinnern, wenn er wieder gesund geworden ist: Für mich hat einer, hat eine gebetet, als es mir so schlecht ging. Und wird dieser Mensch dann nicht, wenn er demnächst an einem Krankenlager steht, es genauso halten: "...und ich werde für dich beten!"? Und wird eine so schöne, hilfreiche Sache nicht auch immer weitere Kreise ziehen? Ich bin überzeugt, das kann gerade so gehen, wie bei dem Wunsch nach Gottes Segen! Irgendwann ist es in einer Gemeinde ganz selbstverständlich, dass man einander diese Hilfe schenkt, diesen Dienst tut: Füreinander beten. Und warum soll es nicht sogar so weit kommen, dass einmal einer dieses Gebet gleich am Bett des Kranken verrichtet, es also nicht nur verspricht, sondern es auch gleich tut? Und vielleicht geht dann auch von dieser Übung eine Bewegung aus, die in Jahren uns alle ergreift, die Schwierigkeiten damit beendet und alle Peinlichkeit fortnimmt? Und irgendwann, vielleicht in gar nicht allzu ferner Zukunft hören sich dann diese Worte gar nicht mehr so befremdlich an:

"Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn."

Vor allem wird uns das ermutigen, was wir ganz gewiss auch dabei erleben werden: "...das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist."

Liebe Gemeinde, wollen wir nicht heute oder in den kommenden Tagen, spätestens aber dann, wenn wir wieder an ein Krankenbett treten, den Anfang dieser Geschichte schreiben?: "Ich wünsche dir von Herzen gute Besserung und...ich werde für dich beten?" - Vergessen wir dann aber nicht, was wir versprochen haben und warten wir getrost darauf, dass die Geschichte auch weitergeht. AMEN