Predigt am 14. So. nach Trinitatis - 2.9.2018

 Textlesung: 1. Thess. 1, 2 - 10

Wir danken Gott allezeit für euch alle und gedenken euer in unserm Gebet und denken ohne Unterlass vor Gott, unserm Vater, an euer Werk im Glauben und an eure Arbeit in der Liebe und an eure Geduld in der Hoffnung auf unsern Herrn Jesus Christus. Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid; denn unsere Predigt des Evangeliums kam zu euch nicht allein im Wort, sondern auch in der Kraft und in dem heiligen Geist und in großer Gewissheit. Ihr wisst ja, wie wir uns unter euch verhalten haben um euretwillen. Und ihr seid unserm Beispiel gefolgt und dem des Herrn und habt das Wort aufgenommen in großer Bedrängnis mit Freuden im heiligen Geist, so dass ihr ein Vorbild geworden seid für alle Gläubigen in Mazedonien und Achaja. Denn von euch aus ist das Wort des Herrn erschollen nicht allein in Mazedonien und Achaja, sondern an allen Orten ist euer Glaube an Gott bekanntgeworden, so dass wir es nicht nötig haben, etwas darüber zu sagen. Denn sie selbst berichten von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch bekehrt habt zu Gott von den Abgöttern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu warten auf seinen Sohn vom Himmel, den er auferweckt hat von den Toten, Jesus, der uns von dem zukünftigen Zorn errettet.

Liebe Gemeinde!

Wenn man das so hört, kommt man sich vor, als hätte man Worte belauscht, die doch gar nicht für uns bestimmt sind. Vielleicht haben sie das auch schon einmal erlebt - in einem Wartezimmer beim Arzt vielleicht - dass sich Menschen halblaut unterhalten und auch Dinge sagen, die vielleicht sehr persönlich sind oder gar intim? Oder denken wir an eine andere Situation räumlicher Enge - in einem voll besetzten Fahrstuhl etwa, wenn es in den 20. Stock hinaufgeht und einer dem anderen von seinen Erlebnissen am letzten Wochenende berichtet. - Ein bisschen ist das hier auch so! "Wir danken Gott allezeit für euch alle... Liebe Brüder, von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid...ihr seid ein Vorbild geworden für alle Gläubigen..." Man weiß eben auch hier nicht so recht, ob man das denn mithören darf? Denn ist das für unsere Ohren bestimmt?

Andererseits: Wenn Patienten im Wartezimmer über Beschwerden sprechen, die auch wir schon hatten, dann hören wir ja auch gerne hin, und es fällt vielleicht ein Hinweis für uns ab, mit welcher Medizin oder welchem Facharzt auch wir es einmal versuchen könnten?

Und selbst das Gespräch im Fahrstuhl mag ja auch für uns wieder einmal eine Anregung sein, unser Wochenende demnächst anders zu gestalten; wir kriegen eine Idee für eine Unternehmung oder erfahren von einem uns noch unbekannten Ziel für einen Ausflug?

Ob wir nicht auch in diesen Brief des Paulus noch einmal sozusagen mit solchen Ohren hineinhören, dass uns diese persönlichen Worte vielleicht einen guten Gedanken schenken, einen Tipp, den wir ausprobieren könnten, einen Fingerzeig, der uns weiterbringt?

"Wir danken Gott allezeit für euch alle..." - Da könnte uns die Frage in den Sinn kommen, wer wohl Gott für uns danken würde? Und vielleicht tun wir die Frage nicht vorschnell ab mit solchen Einwänden: Wer ist schon in meiner Umgebung so fromm oder religiös, dass er wirklich im Gebet für mich dankt? Oder dass wir sagen, wir wollten das doch gar nicht, dass jemand so etwas für uns tut? Die Frage hat nämlich auch eine andere Seite, an der ist uns schon gelegen! Und die heißt: Geben wir denn auch Grund dazu, dass einer oder eine für uns danken könnte, müsste...? Ich glaube, wenn wir uns wirklich mit unserem Leben bemühen, anderen Freude zu machen oder zu helfen, dann wünschten wir uns auch, dass sie dafür danken - wenn nicht uns, warum dann nicht Gott?
Aber machen wir anderen denn Freude? Helfen wir unseren Mitmenschen?

Sehen sie, auf einmal sind wir doch mit drin in diesen persönlichen Worten des Paulus an die Menschen von vor 2000 Jahren in einer Stadt in Kleinasien: Thessalonich! Und wie wäre denn das, wenn wir dem Anstoß dieser Worte ein wenig nachdenken würden, wenn wir uns von ihnen einen Hinweis, einen Tipp geben ließen, wie vielleicht bald auch von uns wieder mehr ausgehen könnte, wofür andere Menschen dann danken möchten? Vielleicht stimmt es ja, dass unsere Gaben in letzter Zeit ein wenig brach gelegen haben? Wer hat an uns z.B. den Menschen erfahren können, der Zeit hat und zuhören kann? Wem - wenn uns doch die Gabe des Tröstens eigen ist - haben wir in den vergangenen Tagen ein gutes Wort gesagt, dass er oder sie wieder lachen, wieder hoffen und mit einem zuversichtlichen Blick nach vorn schauen konnte? Wann zuletzt - wenn Gott uns einen geliebten Menschen an die Seite gestellt und ihn uns bis heute erhalten hat - haben wir diesem Menschen denn ohne einen Anlass im Kalender mit einem kleinen Geschenk oder auf andere Weise gezeigt oder gesagt, wie lieb wir ihn haben?

"Liebe Brüder, (liebe Schwestern,) von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid..."  Das soll die nächste Bemerkung des Paulus sein, die wir heute "mithören" und uns zu Herzen gehen lassen wollen. - Sind wir auch erwählt? Dass wir auch geliebt sind, daran würden wir gewiss nicht zweifeln. Aber erwählt? Wozu? Seit wann? Und was machen wir damit?

Mir ist dazu eingefallen, dass ich manchmal schon meine, viele Menschen unserer Tage lebten an einer ihrer Aufgaben, vielleicht sogar ihrer eigentlichen Bestimmung vorbei. Was unseren Beruf angeht oder die sozialen, familiären, gesellschaftlichen Bedingungen, in denen wir leben, lässt sich ja meist wenig ändern. Manches hätten wir uns sicher anders gewünscht: Eine Arbeit, die mit Menschen zu tun hat vielleicht - aber wir sitzen den ganzen Tag an einem Schreibtisch. Oder: wie gern hätten wir Kinder gehabt - aber es hat nicht sollen sein. - Ob uns Gott auf der anderen Seite aber nicht eigentlich für diese oder jene Aufgabe "erwählt" hat, oder besser: erwählen wollte? Wir aber haben uns nicht rufen lassen. Wir haben abgelehnt, uns zurückgezogen und uns damit herausgeredet, wir könnten das doch nicht, hätten keine Übung oder keine Zeit...

Das war vielleicht ein Amt in der Gemeinde? Wir wissen doch genau, wir hätten die richtigen Fähigkeiten dafür gehabt! Oder es war der Dienst für einen Nachbarn oder sonst einen Mitmenschen, in den wir nicht eintreten wollten. Vielleicht hin und wieder eine Fahrt für ihn, zum Arzt, zum Einkaufen oder zum Bahnhof. Wir haben gesagt, wir würden das zeitlich nicht schaffen, aber genau genommen war es uns einfach zu viel, hat uns zu sehr nach "angebunden" und nach "Verpflichtung" ausgesehen. Da haben wir lieber abgesagt.

Und denken wir auch noch an das Talent, das wir doch unbestritten besitzen. Immer wollten wir es doch ausbilden, oder wieder mehr entfalten und einsetzen und damit uns und anderen Freude machen und dienen. Kann die Krankenschwester denn überhaupt - auch wenn sie jahrelang aus dem Beruf ist - verlernen, dass sie einmal in der Pflege von Menschen tätig war? Wer Ahnung von Menschenführung hat, wird der nicht auch Verantwortung in einem Verein übernehmen können? Und wie viele handwerkliche, künstlerische Gaben, die wir doch haben, ließen sich in unserer Freizeit - vielleicht in Kursen oder im Selbststudium - zu einiger Reife und Vollendung bringen, wenn wir nur endlich anfingen damit!?

Wirklich: Wie viel "Erwählung" mag es geben - aber die Erwählten nehmen sie nicht wahr, versäumen und vertagen sie immer wieder und bringen sich damit um manche gute Erfahrung von Sinn, Freude, Erfüllung und Dankbarkeit der anderen Menschen.

Und auch das wollen wir uns noch zu Herzen gehen lassen: "...ihr seid ein Vorbild geworden für alle Gläubigen..." Sind wir das? - Aber wir könnten es sein! Denn beteuern wir es nicht gern vor den Leuten: "Aber ich habe doch meinen Glauben!" Oder: "Ich gehe gern am Sonntag zur Kirche!" Und das stimmt ja auch, denn sie sind ja jetzt hier. Aber sonst? Erkennt man, wenn man uns im Alltag sieht, auch, dass wir Christen sind? Lassen wir am Morgen Gottes Wort zu uns sprechen von einem Kalenderblatt oder aus dem Losungsbüchlein gelesen? Halten wir eine stille Zeit, in der wir Gott und der Zwiesprache mit ihm gehören? Üben wir persönlich oder in unserer Familie das Tischgebet?

Und das ist längst noch nicht alles: Lassen wir in unser Gespräch über Zeitfragen oder die politische Lage - ob am Stammtisch, im Verein oder auf der Straße - auch einmal einen Gedanken einfließen, der nicht unverbindlich ist, sondern von der Bibel oder von unserem Glauben her eine Meinung oder gar ein Bekenntnis hinzugibt? Prüfen wir unsere Ansichten über gesellschaftliche Themen auch vor dem Hintergrund dessen, dass Gott der Herr ist und einen klaren Willen hat und wir seine Gebote kennen? Schreiben wir auch einmal einen Leserbrief an die Zeitung, die einen unchristlichen oder fremdenfeindlichen Artikel gebracht hat, und schalten wir die Fernsehserie ab, die christliche Werte mit Füßen tritt und unsere oder die religiösen Gefühle anderer verletzt?

Liebe Gemeinde, noch manche anderen Fragen stellen uns die Worte, die wir heute "mitgehört haben. Und wenn wir sie noch einmal insgesamt lesen, dann werden sicher noch mehr Gedanken bei uns angestoßen. Andererseits genügt fürs erste schon das: "Wir danken Gott allezeit für euch alle... Liebe Brüder (und Schwestern), von Gott geliebt, wir wissen, dass ihr erwählt seid...ihr seid ein Vorbild geworden für alle Gläubigen..."

Wollen wir heute nicht einmal diese drei Hinweise aus dem persönlichen Brief des Paulus an die Thessalonicher aufnehmen und uns von ihnen ins Nachdenken bringen lassen?

Wer hat Grund für uns zu danken? - Leben wir unsere Erwählung von Gott auch wirklich? - Sind wir ein Vorbild für andere Gläubige? - Ich wünsche ihnen ein gesegnetes Nachdenken! AMEN