Predigt am 2. So. nach Trinitatis - 10.6.2018

Textlesung: 1. Kor. 14, 1 - 3. 20 - 25

Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): "Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr." Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen. Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.

Liebe Gemeinde,

so fremd, wie es aufs erste Hören scheint, sind uns diese Worte gar nicht! Gut, die Zungenrede können wir in unserer Gemeinde nicht erleben, ja, wir wissen gar nicht so recht, was das eigentlich ist. Allerdings gibt es bis heute religiöse Gruppen, die sie kennen und "üben", wenn man das so sagen will. Wenn wir dort fragten, würde man uns vielleicht antworten: "Die Zungenrede ist ein vom Heiligen Geist Gottes gewirktes unartikuliertes Sprechen von göttlichen Dingen, das nur die verstehen können, denen Gott selbst das Verständnis dafür schenkt." Es gibt also besondere Zungenredner - und es braucht dann besondere Menschen, die deuten, was sie reden. - Ohne dass ich mich hier erheben oder die Zungenrede ins Lächerliche ziehen will, halte ich es da mit Paulus, dem eine klare Sprache von Gott lieber war, eben Worte, die jeder versteht. Und ich sage mir: Wissen wir nicht allemal genug von Gott, von seinem Willen und seiner Liebe über uns, dass wir einander deutlich und eben auch verständlich davon sprechen können?

Und genau darum geht es: Wir sollen den Menschen klar und so, dass sie es verstehen können, zur "Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung" reden. Dieses Sprechen von Gott nennt Paulus "prophetische Rede". Darum sollen wir uns bemühen.

Aber - leider muss man es sagen - auch die prophetische Rede ist bei uns arg in den Hintergrund getreten! Ja, manchmal scheint es, sie würde in der Gemeinde nur noch dem Pfarrer (der Pfarrerin) und vielleicht noch den MitarbeiterInnen im Kindergottesdienst überlassen - und auch nur noch diesen dazu besonders Beauftragten zugetraut! Irgendwie hat sich da in unseren Christengemeinden eine seltsame Zurückhaltung in diesen Dingen durchgesetzt. Eine fast heilige Scheu hat uns befallen, von dem zu zeugen oder sagen wir besser: von dem auch nur etwas anzudeuten, was wir im Innersten denken, fühlen und glauben. Dabei sind wir doch in Glaubenssachen unterrichtet! Und konfirmiert sind wir auch. Wir dürfen also doch davon sprechen, wie wir Gott sehen, wer Jesus Christus für uns ist, welche Gedanken uns kommen, wenn wir an den Tod denken oder auch, was es für uns bedeutet zu beten. Und wie wichtig wäre das doch in dieser Zeit! Beklagen nicht auch wir oft genug lauthals, dass die christlichen Werte schwinden? Und denken wir denn nicht auch, dass Gott im Alltag unseres Dorfes (unserer Stadt) und der ganzen Gesellschaft viel zu wenig zur Sprache kommt? Und schließlich: Haben wir nicht auch schon hie und da - und sogar öffentlich - unsere Befürchtungen geäußert, unsere Kinder, ganz gewiss aber unsere Enkel müssten wohl ohne Orientierung aus dem Glauben und der Heiligen Schrift aufwachsen - weil diese Dinge einfach immer mehr an den Rand gedrängt werden und im Leben der Menschen, in der Familie, den Vereinen und unseren anderen Gemeinschaften, und schon gar in den Medien eine immer geringere Rolle spielen?

Nun ist es aber so: Wir haben es doch mit in der Hand - in diesem Fall: im Mund! - ob eintrifft, was wir befürchten. Und ich behaupte, es ist gar nicht so schwer, einen eigenen Beitrag dazu zu leisten, dass die "klare, prophetische Rede" von Gott unter die Menschen kommt. Wir können manchmal ganz leicht dabei helfen, dass wenigstens in unserer Nähe "Erbauung, Ermahnung und Tröstung" zu hören sind! Gehen wir doch in Gedanken einmal durch unsere Gemeinde, sehen wir, was Menschen tun und wo sie sich begegnen und welche Gelegenheiten für "prophetische Worte" sich da vielleicht ergeben:

- Da sind zwei Frauen beim Kaufmann. Die eine weiß von der anderen, wie krank deren Mann ist. Sie weiß auch, dass nach menschlichem Ermessen wenig Hoffnung besteht, dass er seiner Familie erhalten bleibt...und er ist doch der Ernährer der Familie und er ist noch ziemlich jung und die Frau hat keinen Beruf... Und jetzt sagt sie eben nicht nur: Und gute Besserung auch für deinen Mann!, sondern sie spricht so: "Ich bin mit meinen Gedanken oft bei euch und ich bete täglich für deinen Mann und euch alle. Und dann wollte ich dir noch sagen: Ich bin immer für euch da, was auch geschieht." Ich denke mir, die andere geht getröstet und gestärkt nach Hause und sie nimmt gute Gedanken mit und ein Stück klares Zeugnis eines Menschen. Dieses Zeugnis heißt: Ich stehe mit Gott in Verbindung, ich bete, ich vertraue auf Gottes Macht und ich traue ihm zu, dass er euch helfen kann – selbst wenn eintritt, was ihr doch befürchten müsst.

- Da stehen einige junge Männer - um die 16 Jahre alt - an ihrem Treffpunkt mitten im Ort. Einer ist dabei "erwischt" worden, dass er sonntags die Kirche besucht hat, obwohl er doch schon konfirmiert ist. "Gehst du wirklich noch zum Pfarrer?", fragt ihn jetzt einer. Und er weicht nicht aus, sondern antwortet vielleicht so: "Ich verstehe nicht immer alles, was in der Kirche geredet wird. Manchmal scheint es mir auch wenig mit meinem Leben zu tun zu haben. Aber ich finde, die Konfirmandenzeit war gut, wir haben viele interessante Themen besprochen, die doch in der Schule oder sonst wo überhaupt nicht vorkommen, aber doch vorkommen müssten. Und ich finde auch wichtig, dass irgendwo noch von Gott geredet wird! Mir bedeutet das jedenfalls etwas!" Das wäre auch klar und deutlich. Hier wüssten die anderen nun auch ganz persönlich, dass ihr Kamerad nicht aufgeht im (dörflichen, gesellschaftlichen) Einheitstrend: "Kirche, nein danke!, und dass er genug Mut hat, auch noch zwei Jahre nach der Konfirmation zur Sache Gottes zu stehen. Und vielleicht imponiert ihnen das ja soweit, dass sie auch selbst wieder einmal darüber ins Nachdenken kommen, warum sie eigentlich mit der Kirche auch Gott ganz aus ihrem Leben hinausgedrängt haben?

- Und da ist ein alter Mann mit seinem Enkelkind auf dem Friedhof. Der Opa will die Blumen auf dem Grab seiner lange verstorbenen Frau gießen und die achtjährige Susanne wollte gern mitkommen. Und der Opa erledigt das Gießen eben nicht nur schnell und routinemäßig, nein, er nutzt die Gelegenheit, um seinem Enkelkind ein wenig von sich zu erzählen, von seiner verstorbenen Frau und von seiner Hoffnung: "Du hast deine Oma ja nicht gekannt, aber sie hätte sich sehr an dir gefreut. Weißt du, Susanne, wenn ich hier sonst allein auf dem Friedhof bin, dann spreche ich sogar mit ihr. Ob sie hört, weiß ich nicht, aber ganz bestimmt hat sie jetzt bei Gott ein neues Zuhause. Ich spüre das immer ganz deutlich, dass ich nicht mehr traurig sein muss, wenn ich an sie denke. Es geht ihr gut. Sie lebt...in einer anderen Welt...und ich weiß, ich werde sie wiedersehen. Und du wirst sie auch einmal kennenlernen...irgendwann, ganz bestimmt." Ich glaube schon, dass Susanne nach diesen Worten mehr vom Friedhof mitnimmt, als das Wissen, dass jetzt die Blumen Wasser bekommen haben! Ganz bestimmt wird sie das lange begleiten. Vielleicht hat der Tod, der ihr doch auch schon in ihrem jungen Leben begegnet ist, jetzt ein bisschen weniger Schrecken? Und dass der Opa weiß, dass die Oma bei Gott ist und dass ihn dieser Glaube tröstet, das hat sie auch gemerkt.

Aber da sind nicht nur andere Menschen, da sind auch wir selbst: Einige von uns werden nachher, wenn sie nach Hause kommen, gleich Gelegenheit haben, wenigstens so ein bisschen "prophetisch" zu reden! Und wenn es nur das ist, dass wir unseren Leuten, die uns dann begegnen, mehr sagen als ein "Guten Morgen" oder "ist das Mittagessen schon fertig?" Wie wäre es damit: "Die Predigt heute hätte dir bestimmt gefallen!" Oder auch: "Heute haben wir in der Kirche besonders schöne Lieder gesungen!" Oder auch das: "Komm doch nächsten Sonntag wieder einmal mit zum Gottesdienst; das würde mich sehr freuen!" Und selbst das wäre noch ein guter Einstieg in ein Gespräch das "erbaut, mahnt und tröstet": "Der Pfarrer hat heute über die Rolle gesprochen, die wir Gott und seiner Sache in unserer Gesellschaft noch zugestehen. Was ist an der Kirche und am Glauben eigentlich für dich wichtig?"

Denken wir nicht, wir könnten doch so nicht mit unseren Angehörigen reden! Paulus meint sogar, dass wir auch schon in der Gemeinde der Christen so miteinander sprechen können, ja, mehr noch: Dass wir geradezu verpflichtet sind, einander mehr zu geben als unverständliche oder unverbindliche Rede! Für ihn ist die Sache ganz klar: "Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!" Und das hat wahrhaftig etwas mit der Liebe zueinander zu tun, ob wir uns mehr gönnen als oberflächliches Geschwätz! AMEN