Predigt am Sonntag "Jubilate" - 22.4.2018

Textlesung: 2. Kor. 4, 16 - 18

Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.

Liebe Gemeinde!

Seltsam, nicht wahr, der Name dieses Sonntags: "Jubilate"...und dann diese Worte des Paulus: "...wenn auch unser äußerer Mensch verfällt..." Was gibt es da zu "jubeln"? Ich denke da an einen Menschen vor dem Spiegel: Vielleicht entdeckt er in den Augenwinkeln die ersten Falten? Oder die Haare gehen ihm aus und jetzt bemerkt er die ersten kahlen Stellen? Vielleicht war dieser Mensch auch lange krank gewesen und fragt sich jetzt vor seinem blassen Spiegelbild, ob das noch einmal wird mit ihm? Wir kennen alle ähnliche Gedanken und Erfahrungen: Die Haut wird langsam welk - an unseren Händen und am Hals sehen wir es zuerst. Mancher hat schon mit 30 graue Schläfen. Unser Gedächtnis lässt nach, die Zeit für die Schönheitspflege wird immer länger bemessen, im vollbesetzten Bus steht ein junger Mann, eine junge Frau für uns auf...

Vielleicht gestehen wir uns heute einmal ein, dass uns das zu schaffen macht. Schön ist es nicht, älter zu werden, schwach oder unansehnlich. Das zehrt zusätzlich an unseren abnehmenden Kräften, wenn wir dagegen angehen, mit Schminke, Jogging oder Diät dagegen ankämpfen. Aber das Alter wie ein unausweichliches Verhängnis bejahen, können wir auch nicht. Dann lieber noch verdrängen: Nicht hinschauen, nicht beachten, die Falten und Gebrechen leugnen, so lange es geht. Wenn einer sich nach unserem Befinden erkundigt, antworten: "Na, bestens! Bin ganz und gar zufrieden!" Sich die Tränen und den Schmerz höchstens einmal am Abend erlauben, wenn wir mit uns und unserem ganzen Elend allein sind. - Aber ist das ein Weg? Hilft das alles wirklich?

"Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert!" Nein, schön ist es nicht, äußerlich zu "verfallen". Aber bevor wir jetzt wieder die Stärken vorschieben, die uns geblieben sind, unsere "noch so gute Verdauung" oder den "vollen Haarschopf, wo wir doch schon die 70 überschritten haben"... Sehen wir heute doch einmal auf das andere: unseren inneren Menschen. Wir sind nicht nur körperlicher Verfall - wir sind eine lebendige Seele. Wir werden nicht nur täglich weniger - an Kraft und Fähigkeiten - wir wachsen auch an Freude, Liebe und Hoffnung. Wir verlieren nicht nur die äußerliche Schönheit und die Stärke unserer Hände - wir gewinnen auch an Bildung und Wärme des Herzens, an Erfahrung und Unbestechlichkeit, an Urteil und Kenntnis der Menschen. Das stimmt doch auch! Das müssen wir doch auch einmal wahrnehmen! Aber das ist noch lange nicht alles!

"Denn unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit!" Zwar leiden wir an allen diesen Erscheinungen des Alters und der Schwäche, zwar zieht uns das immer wieder herab und macht uns die Tage schwer - aber es liegt doch ein Sinn darin; es geschieht doch nicht ohne Zweck - und ohne den Willen Gottes schon gar nicht! Und es hat doch mit der herrlichen Zukunft zu tun, auf die wir Christen zugehen.

Aber wie hängt das zusammen? Wird denn die Herrlichkeit Gottes mit "Trübsal" verdient? Sollte Alter und Schwäche des äußeren Menschen der Preis für die Ewigkeit sein? Will Gott uns denn nicht einmal mit der Herrlichkeit beschenken? Ist die Freude an der Reife und den Erfahrungen des Alters nicht vielleicht doch schon alles, was wir erwarten dürfen? Fragen über Fragen.

Hören wir eine kleine Geschichte:

Da ist ein alter Mann, der in der Mission sein Leben zugebracht hat. Vor bald 30 Jahren hat er den klaren Auftrag Gottes vernommen, Menschen für die gute Sache des Glaubens zu gewinnen. Am Anfang seines Wirkens hatte er gedacht: Ich muss die Menschen mit meiner Stimme und meinem Auftreten überzeugen. Die Leute wollen einen eindrucksvollen Redner mit einer flinken Zunge. Also hatte er sich bemüht. Seine Reden waren voll von gefälligen Bildern und wohlgeformten Sätzen. Leider aber war er nicht zum Sprechen vor großen Versammlungen geboren. Immer wieder verhaspelte er sich in seinen kunstvollen Satzgebilden. Die Leute lachten über ihn. Manche verglichen ihn mit anderen Rednern; da schnitt er immer schlecht ab. Fast hätte er damals aufgegeben. Bis er einmal in eine Situation kommt, wo er unvorbereitet sprechen muss. Er kann sich einfach nicht drücken. Wäre er davongelaufen, hätte er seinen Herrn verleugnet. Also redet er. Wie's ihm aus dem Herzen kommt, sagt er es weiter. So gut haben die Menschen ihm noch nie zugehört! Seine Worte bewegen die Leute, manche weinen, viele kommen nachher zu ihm, um noch persönlich mit ihm zu sprechen oder sich taufen zu lassen. An diesem Tag hat er verstanden, worauf es ankommt: Wenn ich mich loslasse, kann Gott mich gebrauchen. Wer es nicht mehr selbst "machen" will, der gibt Gottes Wirken Raum. Wo ich an meine Grenze gerate, beginnen die Wunder Gottes. Wenn ich schwach bin, bin ich stark - durch ihn!

Aber das war nur die erste Erfahrung dieser Art gewesen, die unser Missionar in seinem Leben machen durfte. Mit einem körperlichen Leiden war es ganz ähnlich gekommen. Zuerst hatte er immer wieder geklagt: "Warum muss ich diese Krankheit haben? Warum muss ich mich so quälen, wo ich doch für Gott und seine Sache arbeite? Warum schlägt mich Gott mit diesem Gebrechen - ich will ihm doch dienen?" Später hat er begriffen: "Gott erinnert mich mit meinem Leiden jeden Morgen neu daran, dass es nicht um mich, sondern um ihn geht. Denn ich bin wohl versucht, um meiner Ehre willen zu wirken! Meine Krankheit, mein "Pfahl im Fleisch" sorgt dafür, dass ich es nicht vergesse: Für Gottes Ruhm bei den Menschen arbeite ich! Ich soll mich nicht überheben!

Und schließlich ist er es auch - dieser Missionar - der uns für die dritte Wahrheit steht: "Unsre Trübsal" in dieser Welt "schafft eine ewige Herrlichkeit"! Bei all seinen Reisen, die er im Auftrag Gottes gemacht hat, gab es immer wieder Zeiten, in denen sich keinerlei Erfolg einstellte. Ja, sie haben ihn oft genug verfolgt, körperlich bedroht, ins Gefängnis geworfen und ihn so - monatelang! - an der Erfüllung seiner Aufgabe gehindert. Wie hatte er sich in diesen Zeiten manchmal das Ende herbeigesehnt! Was wäre er oft so gern gestorben! Viele Male hatte er Gott gebeten: Mach Schluss mit meinem Kampf! Gib mir den Tod! Hol' mich endlich in dein Reich! Immer klarer war ihm dabei die neue Welt Gottes vor Augen getreten: Keine Trübsal mehr, kein Kämpfen und Plagen, keine Krankheit, kein Leiden und kein Schmerz, dafür die Nähe des himmlischen Vaters, Liebe, Friede ohne Ende, Freude - Herrlichkeit! Nein, er verstand das nicht als Lohn seiner irdischen Mühen! Das wurde ihm vielmehr immer stärkere Gewissheit seines Glaubens. Je schwerer sie ihm zusetzten und ihn quälten, umso größer wurde seine Hoffnung: Einmal wird alles das nicht mehr sein; einmal müssen Leid und Not und Kummer der herrlichen neuen Gotteswelt weichen! "Unsre Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit!" So hat es unser Missionar erlebt und erfahren. Und so hat er es aufgeschrieben für uns. Denn vom Apostel Paulus habe ich erzählt.

Zugegeben: Das bleiben schwierige Gedanken. "Trübsal...schafft Herrlichkeit"? "Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere ...erneuert"? "Jubilate"!? Paulus aber möchte uns einladen, einmal wegzusehen von unseren Schwächen und Gebrechen, von unserer Unzulänglichkeit und den Erscheinungen des Alterns. Wir sollen das nicht leugnen oder verdrängen! Nein, erst hinsehen und wahrnehmen...dann aber auch genauso offen und aufmerksam nach der anderen Seite schauen: Freuen wir uns an der Herzensbildung, die wir mit den Jahren gewinnen! Lassen wir uns beglücken von den vielen Erfahrungen, die wir sammeln konnten und die uns heute zu Verfügung stehen! Und vor allem: Wachsen wir gerade durch unsere Schwäche im Glauben daran, dass Gottes herrliche Welt umso schöner und gewaltiger sein wird! Ob nicht in unseren abnehmenden Kräften, unserer verfallenden äußeren Gestalt auch eine Gnade Gottes verborgen ist? Wird nicht unsere Sehnsucht immer größer, dass einmal unser schwächer werdender äußerer Mensch mit ewiger Herrlichkeit überkleidet werde? Machen uns Verfall und Schwachheit, Leiden und Altern nicht erst recht bereit für den Abschied? Wir dürfen einmal diese zeitliche Welt hinter uns lassen und in das ewige Reich Gottes treten! Welche Freude! Welche Gnade aber auch, dass es uns Gott durch Schwäche und Alter so leicht machen möchte, unser Leben in dieser Welt einmal abzustreifen um zum ewigen Leben aufzustehen!

Nein: "Wir werden nicht müde...wenn auch unser äußerer Mensch verfällt!" Wir wollen an Gottes Kraft denken, wenn unsere eigenen Kräfte schwinden. Wir wollen an die verheißene Herrlichkeit denken, wenn unsere Haut welk wird und uns die Haare ausgehen! Wir wollen dankbar sein über jede gute Erfahrung, die uns das Alter beschert und uns freuen: Einmal lassen wir diese vergängliche Welt zurück und gewinnen das ewige Leben. - Jubilate! AMEN