Predigt am Sonntag "Quasimodogeniti" - 8.4.2018

Textlesung: Kol. 2, 12 - 15

Mit Christus seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit ihm seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der ihn auferweckt hat von den Toten. Und er hat euch mit ihm lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden und in der Unbeschnittenheit eures Fleisches, und hat uns vergeben alle Sünden. Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet. Er hat die Mächte und Gewalten ihrer Macht entkleidet und sie öffentlich zur Schau gestellt und hat einen Triumph aus ihnen gemacht in Christus.

Liebe Gemeinde!

Das geht mir wie sicher vielen Menschen: Immer wenn ich biblische Geschichten höre oder andere Worte der Heiligen Schrift lese, sehe ich Bilder vor meinem inneren Auge. Und man hat die Bibel ja auch schon das "Buch der Bilder" genannt. Denken wir nur an die Gleichnisse: Zur Sprache gewordene Bilder: Von Weinbergen, Königen, Räubern, Marktplätzen, Backtrögen, Bäumen, Hochzeiten, Kaufleuten, Schätzen, Perlen und vielem mehr.

"Er hat den Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet." Bei diesen Worten heute sind es gleich drei Bilder, drei Gedanken, die mir in den Sinn kommen:

Einmal tritt mir Jesus selbst vor die Augen, so wie ich ihn mir immer als Kind vorgestellt habe und wie ich ihn auch heute noch gern sehe, wenn ich einmal ganz unten bin und Trost brauche. Und es ist dasselbe helle, freundliche Bild, mit dem ich auch seine Einladung an die Menschen weitersagen möchte, zum Beispiel wenn wir Abendmahl feiern: Ich sehe Jesus mit ausgebreiteten Armen dastehen und mich liebevoll anblicken. In seinen Händen lässt er mich seine Wundmale sehen, dass sie mir immer wieder die wichtigste Botschaft des Glaubens sagen und ins Gedächtnis zurückrufen: "Du, ich bin für dich und alle Menschen ans Kreuz gegangen. Ich habe dich und alle losgekauft von Sünde und Tod. Du musst nie Angst haben. Keiner muss sich ängsten" Und ich sehe ihn nicht nur, ich höre auch seine Stimme, und er sagt diese Worte zu mir - und er meint mich ganz persönlich: "Komm her zu mir...mit all deiner Schuld, deinen Lasten, Sorgen und Ängsten...gib sie mir und geh' befreit und fröhlich zurück in dein Leben, an deine Aufgaben. Dein Schuldschein hängt an meinem Kreuz!"

Das zweite Bild ist nicht so schön. Es hat dunklere Farben. Es baut nicht auf, es macht mir Kummer und mahnt mich an meinen und aller Christen Auftrag: Ich sehe nämlich die Menschen dieser Zeit, wie sie ohne Glauben, oft ohne Halt und Orientierung durch ihre Tage hetzen und manchmal ihr ganzes Leben zubringen wie ein Geschwätz. Ich sehe die Zu-kurz-Gekommenen, die durch Krankheit und Behinderung an den Rand Gedrängten, die durch seelische Not oder den ungünstigen Verlauf ihres Lebens zu Außenseitern geworden sind. Ich sehe die Kinder, die ohne Eltern aufwachsen, oder deren Eltern keine Zeit für sie haben, was ja fast dasselbe ist. Ich sehe die Frauen und Männer, die von Schicksalsschlägen gebeutelt wurden, denen die innere Kraft und ihr Glaube nicht standgehalten hat. Und ich sehe die Alten, die am Ende ihres Lebens noch nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, die ohne Hoffnung sind und allein in einer für sie fremden und schwierigen Welt und oft schrecklich einsam, so einsam, dass ihre Seele, ihr Geist und Gemüt keinem guten Wort von Gott mehr offen sind.

Das dritte Bild, das mir vor die Augen tritt, sind wir, die wir uns Christen nennen, die diese Menschen zu Jesus Christus führen sollen und vielleicht auch wollen. Wir, die wir uns - jede auf ihre Weise und jeder mit seinen Gaben - im Namen und im Auftrag dieses Herrn aufmachen zu den Menschen, die ihn noch nicht kennen oder die besonders seiner Hilfe, seiner Vergebung, seines Trostes bedürfen. Menschen, die ohne ihn nicht zurechtkommen, die vielmehr, wenn sie nicht seine Kraft erfahren und sein gutes Wort gesagt bekommen, weiter ohne Weg und Ziel durch ihr Leben fallen, wie ein geworfener Stein.

Aber dieses dritte Bild ist geteilt. Es hat viele helle, leuchtende Bereiche, aber es gibt auch manchen grauen Pinselstrich und viel Schwarz darin. Da steigen aus meiner Erinnerung Menschen empor, die in der Erziehung ihrer Kinder als Eltern und Lehrer oder einfach als Mitchristen Kinder und junge Leute in großer Liebe und mit viel echtem christlichen Bemühen die erste Strecke des Lebensweges begleitet haben, sie mit den Worten und dem Wesen Jesu Christi vertraut gemacht und so weit geführt haben, bis sie allein - oder sagen wir - selbst an der Hand dieses Herrn gehen konnten. Mit Freude erinnere ich mich an viele junge Menschen, die heute im Glauben stehen, die zu mir einmal solche oder ähnliche Worte gesprochen haben: "Dass ich von Jesus Christus weiß, das verdanke ich meiner Mutter. Schon ganz früh hat sie mit mir gebetet und mir die Geschichten der Bibel erzählt." Oder: "Der Glaube an Gott ist bei mir in der Schulzeit gewachsen. Wir hatten einen guten Religionsunterricht. Da ist mir ein Lehrer begegnet, der wirklich ganz durchdrungen war von seiner Sache!" Oder auch: "Ich bin in meinem Leben schon auf sehr bösen Wegen gegangen - wenn ich da nicht gewusst hätte, dass es Vergebung gibt...! Wie bin ich für meine Konfirmandenzeit so dankbar, damals habe ich davon gehört, dass selbst die größte Schuld vor dem Kreuz Jesu nicht mehr gilt!"

Und auch an viele Menschen in den mittleren oder auch ihren späten Jahren muss ich denken, die durch das Gebet anderer, durch das glaubhafte Zeugnis und durch die echte Hilfe von Christen zum Glauben gekommen sind oder zu ihm zurückgefunden haben. Und es macht mich froh und dankbar, dass es solche Menschen gibt, die anderen davon reden und ihnen mit ihrem Leben dafür einstehen, dass Jesus Christus der Herr ist, der allein helfen, heilen und retten kann.

Aber - und das sind die düsteren Bereiche dieses Bildes - ich habe auch schon sehr viel Trägheit und Härte von Christen erlebt, selbstgefälliges Ausruhen auf dem eigenen Glauben und manches unchristliche und wenig demütige Fingerzeigen und Spotten: "Die hat sich doch ein Leben lang nicht um Gott geschert, jetzt soll sie sehen, wo sie bleibt!" - "Meinst du, ich helfe dem jetzt? Der hat immer nur über mich gelacht, weil ich mich zur Kirche halte!" - "Die Hauptsache ist doch, dass man seinen eigenen festen Glauben hat und seinen Herrgott kennt!" Von solchen Menschen geht sehr wenig Strahlkraft aus und noch weniger können sie andere zu dem einladen oder für den gewinnen, von dem es hier heißt: "Er hat unseren Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen uns war, und hat ihn weggetan und an das Kreuz geheftet."

Liebe Gemeinde, die Bilder, die von der Bibel in unserem Inneren aufgerufen werden, sind nicht unverbindlich. Wir können uns, wenn wir sie betrachtet haben, nicht wieder abwenden, so als wäre nichts gewesen. Wenn wir etwa in den Gleichnissen vom Weinberg Gottes hören, in dem wir zur Arbeit gerufen sind, dann müssen wir uns entscheiden: Wollen wir diesen Auftrag annehmen oder stehen wir müßig, wenn andere am Reich Gottes bauen.

Und wenn wir den verlorenen Sohn bei den Schweinen am Trog sehen, und wenn wir miterleben, wie er den Vorsatz seines Lebens fasst, dann sind auch wir gefragt: Wollen wir uns nicht auch aufmachen und zu unserem Vater gehen?

So ist das mit allen Bildern, die tiefer gehen, die unseren inneren Menschen ansprechen. So ist das auch hier, auch bei den drei Bildern, die ich uns heute vor Augen malen wollte. - Was könnten sie uns sagen? Was wollen wir uns von ihnen sagen lassen?

Vielleicht dies: Heute - wie zu allen Zeiten, seit es Christen gibt - steht Jesus selbst im Hintergrund unseres Lebens. Seine Augen blicken gütig. Seine Arme sind ausgebreitet, er ist bereit uns, aber auch alle anderen Menschen, aufzunehmen. In seinen Händen lässt er uns die Wundmale sehen, das Zeichen, dass unser - und aller! - Schuldschein am Kreuz hängt und er das Lösegeld für die Sünde aller Menschen bezahlt hat. Und sein Mund spricht zu uns diese Worte: "Mit mir seid ihr begraben worden durch die Taufe; mit mir seid ihr auch auferstanden durch den Glauben aus der Kraft Gottes, der mich auferweckt hat von den Toten. Ich habe euch lebendig gemacht, die ihr tot wart in den Sünden. Bei mir sollt ihr neu werden und frei. In meiner Kraft sollt ihr euch einer des anderen annehmen."

Und das zweite Bild könnte uns dies sagen: Du siehst es doch, wie oberflächlich diese Zeit ist, wie halt- und ziellos die Menschen durch ihr Leben hetzen, dass der Sinn fehlt, die Erfüllung...mit einem Wort: Wie fern diese Welt von Gott ist. Und du beklagst es doch auch in manchen Gesprächen mit deinen Nachbarn und Freunden. Du jammerst darüber und lässt dir davon den Mut nehmen und dich oft genug in die Resignation treiben. - Lass dich doch in den Dienst Jesu Christi rufen! Rede dich doch nicht immer wieder heraus, du wärest zu jung, zu alt, hättest nicht die Gaben, könntest nicht gut reden, wärest selbst geschlagen genug und was du sonst noch alles vorschiebst. Es ist wahrhaftig eine gewaltige Aufgabe in dieser Zeit, in dieser Welt, wieder Gott zur Sprache zu bringen und zu den Menschen! Aber es ist doch unsere Aufgabe - wenn wir diesen Namen führen: Christen. Und vergessen wir nicht: Er selbst, der Herr, hat die Arme ausgebreitet - auch um mit anzupacken! Und er wird es tun!

Und das dritte Bild? Das mag uns - wenn wir schon im Namen Jesu unterwegs sind zu den Menschen und ihnen mit seinem Wort, in seiner Kraft und unserem guten Beispiel helfen wollen - ermutigen und stärken. Dass wir nicht ablassen, den Kindern und Jugendlichen die gute Botschaft nahezubringen, dass wir einen Vater im Himmel haben und einen Herrn, der Vergebung schenkt. Dass wir von der Macht des Gebetes nicht nur selbst Gebrauch machen, sondern andere auch dahin führen, dass sie beten lernen. Und dass wir uns nie dazu verleiten lassen, den Glauben als unseren persönlichen Besitz anzusehen, so als hätten wir ihn selbst erworben, sondern dass wir dankbar sind, wenn wir glauben können, dass wir den Glauben leben, vor-leben, ihn so mit anderen teilen und sie zum Vertrauen in Jesus Christus führen.

Wir wollen nie vergessen, dass Jesu Worte für uns gelten, die wir glauben, aber auch für jene, die es nicht oder noch nicht können - vielleicht ja, weil wir ihnen bisher noch nicht glaubhaft gesagt und vorgelebt haben, dass wir den kennen und auf ihn vertrauen, der zu allen spricht:

Ich habe dich lebendig gemacht, der du tot warst in den Sünden, ich habe dir vergeben. Ich habe deinen Schuldbrief getilgt, der mit seinen Forderungen gegen dich war, und habe ihn weggetan und an das Kreuz geheftet.

Ihm allein - Jesus Christus - sei bei allem, was wir tun, denken und reden die Ehre und der Dank, in Ewigkeit. AMEN