Predigt zum Sonntag "Reminiscere" - 25.2.2018

Textlesung: Jes. 5, 1 – 7

Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg! Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Liebe Gemeinde!

Zu diesen Worten aus dem Propheten Jesaja gibt es jetzt sicher so viele Gedanken, Meinungen und Gefühle, wie es Menschen in dieser Kirche gibt!

Einem gefallen diese Worte vielleicht von der schönen Sprache her: "Trauben brächte - brachte schlechte" - "Rechtsbruch - Rechtsspruch" - "Gerechtigkeit - Schlechtigkeit". Das ist ja fast ein Gedicht!

Einer zweiten geht mehr der Inhalt nah: Wirklich, was sollte der Freund noch tun, was er nicht versucht hat mit seinem Weinberg? Und doch erntet er schlechte Frucht!?

Ein dritter blickt noch tiefer: Er sieht Gott hinter der Person des "Freundes". Und er ahnt den tieferen Sinn dieses Weinbergliedes.

Eine vierte fragt sich nun aber wieder, ob das denn unsere Geschichte ist? Was haben wir denn mit Gottes Weinberg zu tun? Ist da nicht Israel gemeint?

Einen fünften schließlich bewegt die Frage, was dieser Text denn in der Passionszeit zu suchen hat? Ist das jetzt nicht die Leidenszeit, die Wochen, da Jesus den Kreuzweg geht und wir ihn - wenigstens in Besinnung und Verzicht - begleiten?

Und noch einige andere sind sicher unter uns, die haben diese Worte noch einmal anders gehört.

Zu allem kann und will ich nichts sagen. Aber zu ein paar dieser Gedanken muss ich reden - und besonders zu einem: Mich haben diese Worte erschreckt! Ich kann nämlich nicht einfach so tun, als ginge mich dieses uralte Lied gar nichts an. Der Weinberg Gottes damals heißt "Israel". Die geliebte und gehegte Pflanzung Gottes heute sind wir, die Christen! Da führt kein Weg daran vorbei. Und wir ahnen das auch nicht nur. Wir wissen es. Mit Jesus Christus, seinem Sohn, der ans Kreuz ging, hat Gott seine letzte Liebestat für seinen Weinberg getan. In ihm hat er den letzten Versuch unternommen, dass seine Pflanzung doch noch Früchte brächte. Aber was ist das Ergebnis? Die Trauben wachsen spärlich und sind noch dazu sauer. Statt Rechtsspruch - Rechtsbruch. Statt Gerechtigkeit - Geschrei über Schlechtigkeit. Und das Erschreckende ist: Es soll ein Ende haben: Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.

Wirklich: Das kann erschrecken, wenn wir es ernst nehmen! Und wir müssen es wohl ernst nehmen, denn das Urteil wird schon vollzogen: Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

Spüren wir das nicht in diesen Tagen, in unserem Leben in der Gesellschaft und persönlich, wie sich das Urteil Gottes über uns vollzieht?

Sein Zaun soll weggenommen werden...seine Mauer soll eingerissen werden... Wo ist Gottes Weinberg denn noch umfriedet mit dem Zaun seiner Gebote? Wo umgibt uns sichernd und schützend, aber auch als deutliche Grenze, die Mauer seines klaren Willens? Wo sind denn die Merkmale für innen und außen bei der Pflanzung Gottes in dieser Welt? Kann man sie noch unterscheiden: Die Christen - und die Nichtchristen? Müssen wir nicht beklagen, dass die, die sich doch wenigstens Christen nennen, genauso die Ehe brechen, Schmiergelder annehmen, böswillig sind, wie die anderen, die sich nicht zum Glauben und zu Gottes Sache bekennen? Und das ist doch - Gott sei's geklagt - nicht alles, worin wir den anderen zum Verwechseln ähnlich sind: Da werden - im Großen und im Kleinen! - die Gesetze und die Moral durch die bestimmt, die am längeren Hebel sitzen, die mehr Macht in ihren Händen haben und mehr Geld auf ihrem Konto. Da werden Vorteile angenommen und gewährt, Beziehungen spielen gelassen, das Recht gebeugt und gebrochen, wenn es nur dem eigenen Fortkommen, der Karriere nützt. Die Kleinen bleiben auf der Strecke. Die Ärmeren werden an die Wand gedrückt und müssen am Ende noch die Zeche zahlen. Wer keine Lobby hat, muss es büßen. Gott wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch! Er wollte Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit. Der Zaun, den Gott einst um seinen Weinberg aufgerichtet hat, ist längst gefallen. Die Mauer, die uns geschützt, aber auch unterschieden hat, sie steht nicht mehr.

Und ist nicht auch das längst geschehen: Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen. Haben wir nicht gemeint in dieser Zeit, ohne Gott wäre ein besseres Wirtschaften in seiner Pflanzung möglich? Aus unserem öffentlichen Leben haben wir Gott herausgedrängt. Wo kommt er noch vor in den Medien, im Fernsehen, im Rundfunk, in der Zeitung? Ach ja, da ist doch das Wort zum Sonntag und der Zuspruch am Morgen und die geistliche Kolumne am Samstag... Wieviel Prozent der Sendezeit mag das sein? Wieviel Raum auf den Zeitungsseiten? Aber nein, das wollen die Leute nicht sehen, nicht hören, nicht lesen, sagen die Verantwortlichen, die Intendanten und Redakteure. Und sie werden Recht haben, sonst würden sich die Menschen ja sicher beschweren. Denn man beschwert sich heute ja auch, wenn die Kirchenglocken schon um 9.15 h / 10.15 h am Morgen läuten oder der Hahn des Nachbarn um 5 Uhr morgens kräht.

Und ernten wir nicht wirklich "Dornen und Disteln"? Sind die Menschen nun glücklich mit der Frucht ihres Lebens - ohne Gott? Hasten sie nicht vielmehr freud- und friedlos durch ihre Jahre. Ist ihnen nicht - bei allem äußeren Wohlstand, Luxus, den vielen Sachen zum Vorzeigen und für die Unterhaltung - der fruchtbare Lebensgrund lange abhandengekommen? Wo wächst sie noch: die Zufriedenheit? Wo keimt sie noch: die Ahnung, dass so ein Leben rund sein kann und voll? Wo sehen wir die guten Früchte: Sinn und Erfüllung?

Aber da ist - neben dem Erschrecken über die Wahrheit dieser uralten Verse - noch ein anderer Gedanke, der hat mit dieser Frage zu tun: Was sucht dieses alte Weinberglied in der Passionszeit, der Leidenszeit? Liebe Gemeinde, spüren wir nicht auch, wie dieser "Freund", von dem hier die Rede ist, daran leidet, was mit seinem Weinberg geschieht? Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte? Ich höre da eine unendliche Trauer heraus. Mir geht das zu Herzen! Der da redet, der leidet, der weint und klagt und kann nicht verstehen, warum alles so gekommen ist. Und muss er es denn verstehen? Musste es denn so kommen?

Wollen wir nicht einmal prüfen - wenigstens bei uns selbst, denn da können wir ja etwas tun und ändern - wollen wir nicht einmal prüfen, wieviel Gott in uns investiert hat, wie liebevoll er den Weinstock unseres Lebens gepflanzt, bereitet, gepflegt und umsorgt hat? Wollen wir nicht einmal schauen, was an guten Gaben von ihm in uns gelegt wurde und wieviel wir daraus gemacht haben - für Gott und die anderen Menschen? Wollen wir nicht einmal ganz ehrlich und ohne Selbstbetrug die Frucht unserer Tage sichten und wägen?

Und dann nehmen wir wahr: Gott leidet daran, denn er ist der Freund, von dem hier erzählt wird, unser Freund, der alles, wirklich alles freund-lich für uns getan hat. Wie danken wir es ihm? Kann er Freude an uns haben? Bereiten wir ihm Leid und schwere Gedanken? War bei uns alle Pflege umsonst, weil wir verschlossen sind in Ichsucht und Eigensinn? –

Und lenken wir nicht ab von uns. Wir Christen sind Gottes Weinberg. Wir alle zusammen und jeder einzeln für sich. AMEN