Predigt am 1. Christtag - 25.12.2017

Liebe Gemeinde,

wir haben heute Morgen alle eine Sehnsucht mitgebracht: Wenn es doch heute geschähe! Wenn uns doch hier ein wenig Weihnachtsfreude geschenkt würde! Wenn uns doch auch die frohe Botschaft dieses Tages erreichte! Wenn wir doch von heute etwas mitnehmen könnten; einen Trost, der uns auch morgen noch begleitet, einen Gedanken, den wir so bald nicht vergessen, ein Wort, das uns auch in unserem Glauben weiterbringt.

Gewiss, wir haben gestern Heiligabend gefeiert. Und es war ja auch schön: Die alte Geschichte von Bethlehem und dem Jesuskind, der Lichterbaum in unserer Stube, der Glanz in den Augen der Kinder, der Enkel... Aber was wird davon bleiben? Ja, was davon hat auch nur diese Nacht überdauert? Dagegen die Kinder! Wie leicht haben sie's mit der Freude! Ein Baum, ein paar Kerzen, ein Stofftier, eine Puppe...und schon strahlt es auch in ihren Gesichtern. Und selbst die Weihnachtsgeschichte hat bei ihnen noch die Kraft, die Ohren zu erreichen und die kleinen Herzen zu packen.

Und wir Große? Alles ist so schwer! Da sind unsere Erfahrungen mit der Welt und dem Leben. Da ist unsere böse Erwartung. Da gibt es Enttäuschungen, die uns hart und bitter gemacht haben. Alles das umgibt uns wie ein Panzer. Da dringt nichts durch. Da prallt auch noch die beste Botschaft ab. Wo ist das Wort, das den Panzer sprengt? Wer befreit unsere Sehnsucht? Was hilft unserer Freude hinaus? - Wir wollen zusammen auf die frohe Botschaft zu diesem Weihnachtfest hören:

Textlesung: 1. Jh. 3,1-6

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.

"...dass wir Gottes Kinder heißen sollen?" Liebe Gemeinde, das ist es ja gerade: Wir können nicht mehr so sein! Uns ist etwas verloren gegangen, als wir erwachsen wurden: Das Staunen, die leuchtenden Augen, die Freude...und wie die Kinder so herrlich unbefangen sein können! "...dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!" Sind es auch!? - Ob vielleicht doch noch Hoffnung ist? Ob wir uns nicht doch noch herzlich freuen können? Ob nicht irgendwo in uns das Kind zu finden ist, das Kind, das wir einmal waren?

Aber ist es eigentlich so erstrebenswert, Kind zu sein? - Die Kinder haben es nicht leicht in unserer Gesellschaft. Wohl richten wir ihnen Spielplätze ein und geben ihnen Gelegenheit, so zu sein, wie sie eben sind. Auch gibt es Kindergeld, Freibeträge und Babyjahr. Und doch sehen wir die Kindheit als einen Zustand an, der so schnell wie möglich überwunden werden muss: "Er ist noch ein wenig kindlich", so entschuldigen wir uns, wenn unser Sohn mit 14 noch etwas mit seinem Baukasten anfangen kann. "Sie ist ein Spätentwickler", sagen wir über ein Mädchen, das sich mit 13 noch nicht für Nagellack und Schminke interessiert. Und wir fördern die Spiele unserer Kinder, mit denen sie die Welt der Erwachsenen nachahmen: Die Puppenstube, den Kaufladen, Monopoly... Und wir unterdrücken so das Wesen der Kindheit, das Eigene dieser Zeit und die liebenswerten Züge und Eigenschaften von Kindern: Ihre Phantasie, ihre Offenheit, ihre Neugier auf ein anderes Leben, als unseres ist, und dass sie schenken können und sich beschenken lassen. Wenn sie dann früh erwachsen werden und die Kinderschuhe ablegen, wundern wir uns: "Jetzt ist er doch schon ein junger Mann. Nein, was ging das so schnell; als ich in deinem Alter war..." Aber wir selbst haben die Entwicklung mit beschleunigt! Und schon bei uns damals war es ähnlich. Kinder haben es nicht leicht heute! Die Kindheit hat es nicht leicht. Wir geben ihr nicht den Raum, den sie braucht und nicht die Zeit. Sie darf nur noch Vorfeld sein: Vorbereitung für das "Eigentliche", das Erwachsensein!

Oder denken wir daran, wie wir oft sprechen. Auch die Sprache verrät ja, was wir denken: "Das ist doch kindisch", sagen wir und meinen: So verhält sich kein erwachsener Mensch. Und was hat er getan, dieser Mensch?: Vielleicht hat er mit seinen Kindern mit dem Ball gespielt, oder sonst etwas "Unnützes" gemacht, etwas, "wo doch nichts dabei herauskommt" oder "was nichts bringt", wie wir heute sagen.

"Du bist doch noch ein großes Kind", meinte neulich die Frau zu ihrem Mann, als der sich über das kleine Geschenk so gefreut hat und sich gar nicht mehr beruhigen wollte. Dürfen sich "Große" also nicht mehr freuen, wenn sie beschenkt werden?

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!

Wir haben es schwer damit, aber wir sollen, wir dürfen, wir können Kinder sein! Trotz allem, was uns verbogen hat. Trotz aller Hindernisse in uns selbst. Auch wenn wir es längst nicht mehr für möglich halten. "Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder!" Das ist die Botschaft von Weihnachten, und das ist es, was den Kleinen an Heiligabend den Glanz in die Augen zaubert: Wir sind Gottes Kinder! Wir werden heute von ihm beschenkt; wir dürfen das geschehen lassen und uns freuen. Und Gottes Geschenk heute ist nun auch noch - ein Kind! Genauso schwach und hilflos wie wir am Anfang wird Gott selbst auch! Ja, er wählt sich einen Stall als Kinderstube, einen Viehtrog zum Bettchen und arme Leute als Eltern. Ärmer als wir beginnt er sogar in dieser Welt! Noch viel elender als die Ärmste und der Elendeste von uns.- Wenn uns das alles nichts sagen möchte! Wenn darin nicht auch ein deutliches Bekenntnis Gottes zu den Kindern und ihrer eigensten Art und ihrem Wesen liegt! Gott selbst geht nicht über diesen Lebensabschnitt hinweg; die Kindheit will er nicht auslassen! Er wird ein Mensch und er wird es ganz - von Anfang an! Deswegen ist jetzt die Kindheit nichts mehr, was wir überwinden müssten, was wir so rasch wie möglich hinter uns lassen, und abschütteln müssten wie einen Makel, der uns hässlich anhängt. Ein Kind sein, hat seine Würde von Gott, seine Bedeutung und seine Verheißung auch: In Jesus Christus ist Gott selbst ein Kind geworden. Genauso angewiesen auf andere Menschen, genauso hilfsbedürftig, genau so zart und verletzlich. Seitdem liegt über dem "Sein wie ein Kind" ein wenig Glanz aus Gott! Und es ist wahrhaftig keine Schande so zu sein wie ein Kind - auch für uns große erwachsene Leute!

Und vielleicht kommen wir jetzt auch der Weihnachtsfreude auf die Spur, denn das können die Kinder eben auch: Sich beschenken lassen, ohne immer gleich zu fragen, was kann ich dafür zurückgeben oder gar zu argwöhnen, das kostet doch sicher auch was! Nein, einfach die Hände aufhalten, sich den Gaben öffnen, spüren wie warm es im Herzen wird und der Freude Raum schaffen...ohne "Warum". Fangen wir dabei ruhig mit dem Geschenk Gottes zu diesem Weihnachtsfest an: Er wird ein Kind, ein Mensch wie wir. Er verlässt seinen Himmel; er thront nicht mehr weltenfern über uns, sondern steigt herab in die gleiche Gestalt wie wir; er teilt unser Leben. Keiner lebt also allein, nur für sich oder verlassen von Gott. Keiner geht seinen Weg durch die Zeit allein - er hat Gott zum Begleiter. Keiner von uns, nach dem Gott nicht fragt, an dem ihm nicht liegt und nach dem er nicht suchte. Gott ist ein Mensch geworden. Ein Kind - unser Bruder.

Aber bleiben wir dabei nicht stehen: Gottes Handeln an uns ist ja ein einziges Schenken! Wenn er vergibt, wenn Schuld nicht mehr gelten soll, wenn er uns immer wieder neu anfangen lässt. All die Gaben unseres Leibes und unseres Geistes, die Talente und Fähigkeiten, unsere Habe und die Zuneigung so vieler Menschen. Die täglichen Führungen die wir oft hinterher erst begreifen, die Bewahrung in mancher Gefahr, die Erhörung unsere Gebete... Und selbst das Schwere musste uns schon oft dienen, wenn es uns vor noch Schlimmerem behütet hat, wenn es uns die Grenzen zeigte oder zum Wink wurde, der uns zurechtgebracht hat! Und schließlich die letzte, die größte Gabe Gottes: Das ewige Leben, das Land ohne Tränen, die Zukunft, die kein Ende mehr haben wird. Alles, alles Geschenke der Güte Gottes. Wie herrlich, wie freigebig ist er! Wie überaus gnädig und großzügig...der Vater! "Meine Lieben wir sind schon Gottes Kinder!"

Liebe Gemeinde, Gott schenke uns heute Morgen noch zu all seinen Gaben diese eine: Dass wir werden, was wir schon sind, Gottes Kinder! Dann ist unsere Sehnsucht am Ziel. Dann haben wir die Weihnachtsfreude gefunden, die Freude, die auch morgen noch mit uns geht und bei uns bleibt.

"Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen - und wir sind es auch!" AMEN