Predigt zum Reformationstag - 31.10.2017

Textlesung: Mt. 10, 26 - 33

Darum fürchtet euch nicht vor ihnen. Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern. Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.

Liebe Gemeinde!

Wir feiern den 500. Gedenktag der Reformation. Wir feiern, dass wir evangelische Christinnen und Christen sind, dass uns Martin Luther das „Evangelium" in der Heiligen Schrift wiederentdeckt hat, die „frohe" Botschaft... Was könnte denn in den Worten, die wir eben gehört haben, diese „frohe" Botschaft sein?

Ist es dies: "...fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; „fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle." Zuerst hört es sich ja noch ganz ermutigend an, aber dann: „Leib und Seele verderben in der Hölle"... Besonders „evangelisch" ist das wohl nicht.

Wie wäre es damit: „Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge." Also wenn wir ganz ehrlich sind, dann waren wir schon immer davon ausgegangen, dass wir mehr wert sind als ein paar Spatzen!

Ist es vielleicht das: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater." Ja, ich glaube, das ist die frohmachende Botschaft für heute! Und das gilt, auch wenn gleich danach wieder diese harten Worte folgen: „Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater."

Wenn wir Jesus vor den Menschen bekennen, dann bekennt er uns vor Gott, unserem Vater! Was macht daran froh? Und wo oder wann kommen wir überhaupt in die Lage, ihn zu bekennen oder zu verleugnen?

Ich könnte jetzt von dem Konfirmanden erzählen, der noch weit über seine Konfirmation hinaus, am regelmäßigen Besuch des Gottesdienstes festgehalten hat. Vielleicht haben ihn die Fragen seiner Altersgenossen und ehemaligen Mitkonfirmanden ja wirklich kalt gelassen: „Was, du gehst jetzt noch in die Kirche, nachdem du doch schon konfirmiert bist?" Vielleicht aber war er ja auch nur ein Außenseiter, den keiner so etwas gefragt hätte. Oder er hat doch solche Fragen gehört und es hat ihm schon etwas ausgemacht und er hat sich wirklich - gegen die Widerstände seiner Umgebung und gegen das dumme Geschwätz seiner Kameraden für Jesus Christus entschieden, ihn also „bekannt vor den Menschen"?

Und ich könnte über die Frau sprechen, die sich seit bald 30 Jahren gegen die abfälligen Bemerkungen ihrer ganzen Familie zur Kirche hält und zum Frauenabend ihrer Gemeinde. Immer wieder musste sie sich gegen die Angriffe ihrer eigenen Leute verteidigen: „Was musst du zum Pfarrer rennen? Gäbe es nicht zu Hause Wichtigeres für dich zu tun?" Und auch hier ist es besonders der Gottesdienst am Sonntagmorgen, den man ihr oft genug auszureden versucht hat: „Wegen der Kirche können wir immer erst so spät essen!" Die Frau selbst ist überzeugt davon, dass sie ihren Herrn „vor den Menschen verleugnete", wenn sie sich so verhalten würde, wie man es von ihr verlangt.

Und ich könnte das Beispiel des Arbeitnehmers anführen, der sich neulich gewagt hat, seinen Chef darauf hinzuweisen, dass sein Geschäftsgebaren, das er in letzter Zeit an den Tag gelegt hat, den Boden des Anstands und der guten Sitten verlassen hat und mit seiner Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche unvereinbar wäre. - Dieser Arbeitnehmer hat auf diese Weise auch Jesus Christus bekannt vor den Menschen.

Noch viel könnte ich von anderen erzählen, berichten, anführen... Aber ich will von uns sprechen, von dir und mir und den anderen Menschen in unserer Gemeinde. Denn auch wir sind täglich in einige Situationen, in denen es darum geht, unseren Herrn zu bekennen oder zu verleugnen, uns als Christinnen und Christen zu erweisen, oder so zu tun, als gehörten wir nicht zu dem, dessen Namen wir doch tragen. Und ich glaube und fürchte, wir merken es oft gar nicht mehr, welches Zeugnis für oder gegen ihn wir ablegen!

Ich denke da an die vielen Menschen bei uns, deren Karteikarte zwar auch im Pfarrbüro steht, die doch aber seit Jahr und Tag nicht mehr gezeigt haben, dass ihnen das wirklich irgendetwas bedeutet. Das klingt vielleicht hart jetzt, aber sie könnten genauso gut Buddhisten oder Hindus sein oder gar keiner Religion angehören - man würde es daran, wie sie leben und sich geben, gewiss nicht merken!

Aber ich will auch wirklich über uns reden, die wir doch meinen, wir strahlten das doch aus, dass wir Menschen sind, die Jesus angerührt hat und die vom Glauben an ihn beseelt sind: Neulich auf der Straße, als wir im Gespräch mit der Nachbarin über den hergefallen sind, über den bei uns im Ort die Gerüchte gehen, da haben wir's nicht ausgestrahlt! Denn wir haben uns nicht bemüht, alles zum Besten zu kehren und über unsere Nächsten Gutes zu reden und von dem zu schweigen, was wir doch gar nicht so genau wissen. Und gestern, bei dem Streit in unserer Familie, da war auch nichts davon zu spüren, dass wir von Jesus wissen und von seiner Güte und Liebe zu allen Menschen. Da haben wir nur noch Zorn empfunden und sind so laut geworden, dass uns niemand mehr den Christen abgenommen hätte! Ach, und der Glaube! Wie oft lassen unsere Worte oder unser Verhalten nun ganz und gar nicht darauf schließen, dass wir an die Versöhnung glauben, die Vergebung aller Schuld, die Auferstehung und die Erlösung in Gottes ewiger Welt. Könnten wir sonst immer wieder die Hand ausschlagen, die uns von anderen entgegengestreckt wird? Könnten wir immer wieder vor der Macht des Todes resignieren und beim Abschied von einem Menschen nur den Verlust sehen? Und könnten wir schließlich, wenn wir doch auf Gottes Herrlichkeit zugehen, der hiesigen Welt so viel Bedeutung beimessen und ihr jede Zerstreuung und jedes Vergnügen abzuringen versuchen?

Ich glaube, wir spüren das jetzt alle: Wir sind weit davon entfernt, in all unserem Tun und Reden Jesus Christus als unseren Herrn zu bekennen! Im Gegenteil: Oft genug verleugnen wir ihn, sagen nicht Worte, die er gesagt, lieben nicht, wie er es getan und handeln nicht, wie er gehandelt hätte. Und auch wo wir nichts tun, wo er sich einsetzen würde, da ist unser Zeugnis für ihn schlecht. Und auch da, wo wir schweigen, wenn er Partei ergriffen und klare Worte gesprochen hätte, versagen wir als seine Nachfolger kläglich.

Nun heißt es aber: „Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater." Und wir wollen jetzt auch über das Evangelium, die frohe Botschaft in diesen Worten sprechen: Wir fühlen das doch immer wieder, wenn wir unseren Herrn nicht bekennen, wir empfinden es, wenn wir ihn verleugnen, dass es nicht gut ist, nicht richtig ist so... Vielleicht müssen wir es so ausdrücken: Da liegt kein Segen darauf! Und umgekehrt gilt es eben auch: Es liegt ein Segen darin, das Richtige, das Gute zu tun, mich zu bewähren, wenn ich in die Lage komme, mich als Christin / als Christ zu erweisen. Es macht Freude, dann zu bestehen. Es schenkt eine tiefe Zufriedenheit, mich seines Namens würdig zu erweisen. Ja, es macht eben „froh" dieses Handeln nach dem Evangelium!

Aber wir wollen jetzt auch noch einmal ganz tapfer diese anderen, weniger frohen Worte hören: „Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater." Und ich frage mich und uns alle, ob wir denn etwas anderes erwarten dürfen? Ja, ist das nicht eigentlich eine ganz klare Sache? Soll uns unser Herr auch noch loben, wenn wir als seine Leute jämmerlich versagen? Soll er uns seinem himmlischen Vater empfehlen und sprechen: Die sind immer besonders nah bei mir, bei meinem Wort und Willen gewesen? Wollten wir, dass er so für uns eintritt, wenn es doch nicht so wäre!?

Warum wollen wir uns nicht mit all unseren Kräften - und mehr als bisher - bemühen, dass wir uns seiner und der Erwartung, die er in uns setzt, würdig erweisen? Gerade heute, an diesem Reformationsjubiläum, sind sie doch alle vor unseren Herzen und unserer Seele, all die wunderbaren Geschenke, die uns Gott macht, die Güte, die unserem Verdienst zuvorkommt, die Gnade, die all unsere Schuld bedeckt und uns heute und jeden Tag neu beginnen lässt. Kann uns das und die Aussicht eines ewigen Lebens in Gottes neuer Welt denn nicht froh und mutig genug machen, dass wir unseren Herrn nun wirklich vor den Menschen bekennen? Was ist denn alles, womit Menschen auf unser Eintreten für den Glauben reagieren können, ihre dummen Fragen, ihre hochmütigen Blicke, ihre lästernden Reden und selbst, wenn sie uns ihre Macht über uns zeigen, was ist denn das alles gegen das Wort unseres Herrn, mit dem er uns einmal bekennt vor seinem himmlischen Vater? AMEN