Predigt am 4.12.2016 - 2. Sonntag im Advent

Textlesung: Mt. 24, 1 - 14

Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, dass euch nicht jemand verführe. Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muss so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. Das alles aber ist der Anfang der Wehen. Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern. Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.

Liebe Gemeinde!

Irgendwie haben wir uns daran gewöhnt. Die "Zeichen für das Ende der Welt", von denen Jesus spricht, sind uns keine Hinweise mehr, dass Himmel und Erde nun bald vergehen. Wir erleben ja doch kaum ein Tag, ohne dass wir von "Hungersnöten, Erdbeben, Kriegen und Kriegsgeschrei" hören. Und die Katastrophen, die Jesus nennt, sind noch vergleichsweise harmlos. Da ist bis heute so viel hinzugekommen: Wir sehen fast jeden Tag die Bilder von Überschwemmungen und Erdrutschen, wir bekommen wenige Minuten nach den Terroranschlägen, Flugzeug- oder Zugunglücken die Fotos der zerfetzten Leichen auf den Bildschirm, wir müssen täglich eine gewaltige Flut von bösen Nachrichten und schlimmen Ereignissen verarbeiten. Und wir können es ja gar nicht mehr. Wir sind ständig konfrontiert mit dem Leid, der Not, dem Elend, der Armut und dem Hunger von Menschen...und nicht nur einzelnen, nein, manchmal Tausenden, ja, Millionen... Ein Engel, wer da nicht abstumpfte! Aber nicht einmal ein Engel kann für alle etwas tun. Also zeigt uns das grenzenlose Leiden der Menschen oft nur noch unsere eigene grenzenlose Ohnmacht.

Wie ist es aber mit diesem anderen Zeichen? Und - wohlgemerkt! - Jesus spricht davon noch ehe er auf die anderen Zeichen weist: Es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. Und er nimmt das noch einmal auf und zeigt uns damit, dass dieses "Zeichen" nicht weniger wichtig ist als die "Hungersnöte, die Erdbeben, die Kriege und das Kriegsgeschrei": Es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.

Liebe Gemeinde, das Ende der Welt ist - trotz aller Katastrophen - noch nicht gekommen. Ja, obgleich ein einziger Tag unserer Zeit heute weit mehr Leid, Not, Unglück und Schrecken aufbietet, geht die Welt und ihre Geschichte noch weiter. Vielleicht nehmen wir darum diese Zeichen weniger als Vorhersage: Dann und dann geht die Welt unter, als vielmehr dafür, dass wir uns mahnen und warnen lassen: Wenn dies und das geschieht, dann passt auf. Lasst dann nicht locker mit eurem Glauben! Haltet euch dann fest an Christus und lauft nicht denen nach, die große Versprechungen machen und die doch nicht retten können. Vergesst nie: Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.

Aber stimmt das denn?: Es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus!

Das geschieht vielleicht nicht so buchstäblich. Da kommen ja immer wieder einmal Menschen an unsere Haustüren - auch mit einer religiösen Botschaft. Aber "Christus" zu sein, das behauptet doch keiner. (Die Propheten unserer Tage haben längst ihre Sekten gegründet. Dort leben sie ein mehr oder weniger zurückgezogenes Leben, umgeben von ihren Jüngerinnen und Jüngern.) Aber auch in der großen Öffentlichkeit macht sich viel falsche Prophetie breit und mancher und manches verspricht uns, was uns nur Christus versprechen kann: Rettung, Heil, Leben...

Ich denke an die gewaltige Rolle, die heute die Sachen und das Geld spielen. Die Macht der Dinge ist ungebrochen. Ihre Verheißungen sind: Wenn du nur dieses oder jenes hast, dann bist du glücklich, dann sind deine Wünsche erfüllt. Wenn deine Rente im Alter durch eine Zusatzversicherung aufgestockt ist, wenn du dir bis dahin einiges auf die Seite legen konntest, dann kann dir nichts geschehen. Wohlgemerkt: Das mag ja schön sein und richtig, sich dies und das anzuschaffen, Vorsorge zu treffen für die alten Tage. Aber es rettet doch nicht! Wenn wir auf diese Dinge, auf Geld und Güter allein setzen, dann sind wir verraten und verkauft. Unser Leben hängt zuletzt von ganz anderen "Gütern" ab: Ob wir einen Glauben haben, der uns trägt. Ob wir Hoffnung fassen, da hinein, dass dieses Leben nicht alles ist. Und schließlich: Ob wir Liebe geben und empfangen, dass wir in schweren Stunden Menschen in unserer Nähe haben, die uns stützen, pflegen und nicht verlassen. Darauf kommt alles an, und wir wissen es! Dennoch haben viele ihr Lebenshaus auf den Sand der Sachen und des Geldes gebaut und hören nicht mehr, was Christus verspricht und einzig versprechen kann: "Ich bin die Wahrheit und das Leben, ich bin das Licht der Welt, ich bin die Tür..."

Und ich denke an die vielen Heilsbotschaften, die im Laufe unseres Lebens mehr versteckt, ja, manchmal geschickt verkleidet vor unsere Augen, Ohren und Herzen treten: Wenn den noch jungen Leuten eingeflüstert wird und sie dann meinen, wenn erst dieses oder jenes Berufsziel erreicht ist, wären Lebensglück und -sinn garantiert. Wenn uns - ein wenig älter geworden - die körperliche Fitness als der Schlüssel zum wahren, beglückenden Leben angepriesen wird und wir die Bräunungs- und Kraftsportstudios füllen. Oder wenn wir in fernöstlichen - uns, unserer Tradition und Kultur eigentlich recht fremden - Meditationsformen das Heil des Leibes und der Seele suchen. Als hätten wir in unserer christlichen Religion nicht auch so manches zu bieten und zu üben, was denselben "Effekt" hervorbringt: Das Gebet, die Bibellese, die Besinnung auf ein gutes Wort... Nein, bei alledem reizt das Neue, machen sich Ziele in einer Weise breit, die ihnen einfach nicht zusteht! Der Abteilungsleiterposten wird es nicht machen, dass ich glücklich bin oder auch nur zufrieden! Wenn ich so fit bin, wie vielleicht ein zehn Jahre jüngerer Mensch, dann fehlen mir dennoch die Mitte und der Halt im Leben und ich brauche trotzdem - ja, vielleicht umso mehr! - die Antwort auf die Frage: Wofür ich eigentlich da bin, was meine Tage im tiefsten Grunde wert sind und wer mich nicht missen möchte... Da kann Jesus Christus allein Antwort geben. Und wir wissen es! Trotzdem gehen immer mehr Menschen einen Weg, auf dem sie sich nicht vom Glauben der Christen, sondern von den Versprechungen und Verheißungen falscher Christusse und Propheten leiten lassen.

Und auch das, was mich am meisten erschreckt hat an diesen Worten, müssen wir heute überall beklagen: Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten.

Die Ungerechtigkeit...da will ich nicht so weit weg von uns gehen: Mir kommt in den Sinn, wie oft ich schon - ich finde, mit Recht! - gehört habe: Dieser und jene wollen doch Christen sein! Wie können die denn dann...so schlecht über Flüchtlinge reden, so gemein mit anderen umgehen, sich so in den Vordergrund drängen, für sich immer das größte Stück vom Kuchen abschneiden, genau wie alle anderen fremdgehen oder die Sonntagsheiligung missachten... Wundert es uns, wenn dann "die Liebe in vielen erkaltet", und dann so weitergesprochen wird: Wenn doch erklärte Christen sich verhalten wie Menschen ohne Glauben, dann kann das Christentum nicht viel wert sein! Wundert es uns, wenn wir mit einem solchen Vorbild keinen Menschen hinzugewinnen, der wirklich mit Überzeugung und Freude zu uns kommt? Können wir alles verantworten - eben auch als Christinnen und Christen! - was wir tun oder lassen, reden, denken und was man ja auch an unseren Taten ablesen kann?

Noch einmal: Nehmen wir die Zeichen, die Katastrophen, die Jesus nennt, aber auch die falschen Heilslehren und Prophetien unserer Tage, weniger als Vorhersage und Ankündigung: Dann und dann wird die Welt untergehen! Lassen wir sie uns zur Mahnung und zur Warnung werden: Wenn dies und das geschieht, dann passt auf! Lasst dann nicht locker mit eurem Glauben! Haltet euch dann fest an Christus und lauft nicht denen nach, die große Versprechungen machen und die doch nicht retten können. Vergesst es nie: Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. AMEN