Predigt zum Sonntag "Jubilate" - 17.04.2016

Textlesung: 1. Jh. 5, 1 - 4

Wer glaubt, dass Jesus der Christus ist, der ist von Gott geboren; und wer den liebt, der ihn geboren hat, der liebt auch den, der von ihm geboren ist.
Daran erkennen wir, dass wir Gottes Kinder lieben, wenn wir Gott lieben und seine Gebote halten. Denn das ist die Liebe zu Gott, dass wir seine Gebote halten; und seine Gebote sind nicht schwer.
Denn alles, was von Gott geboren ist, überwindet die Welt; und unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.

Liebe Gemeinde!

Wenn man diesen Zeilen glaubt, dann ist alles, was uns zu Christinnen und Christen macht, eigentlich ganz einfach: Wer Gott liebt, liebt auch die Menschen. Die Gebote zu halten, ist nicht schwer. Außerdem hat ja unser Glaube die Welt schon überwunden. Fehlt nur noch die Bemerkung, dass es nicht zu begreifen ist, wenn ein Mensch nicht glauben kann. - Ist es wirklich so einfach, Christin, Christ zu sein?

Die Worte, die wir heute bedenken, sind vor über 1900 Jahren geschrieben. So um das Jahr 85 nach Christus. Es gab wohl in dieser Zeit nur noch ganz wenige Menschen, die Jesus gekannt hatten, als er in menschlicher Gestalt über diese Erde ging. Und allmählich wurde auch den Christen die Zeit lang: Der Herr hatte doch versprochen, wiederzukommen. Und das musste jetzt wirklich bald sein! Wer hätte sich damals vorstellen können, was wir heute wissen: Es würden noch Jahrhunderte vergehen, bis ER wiederkommt? So waren auf der einen Seite schon damals bis zur Wiederkunft Jesu viel mehr Jahre vergangen, als es die erste Christenheit je geglaubt hätte. Auf der anderen Seite aber wartete man gerade deshalb mit umso größerer Sehnsucht, dass Jesus und das Weltende bald kommen würde.

Jedenfalls verstehen wir vor dem Hintergrund dieser Erwartung sicher besser, dass für Johannes alles noch einfach erscheint: Die Liebe, das Halten der Gebote, der Glaube... Die Mühe, die damit doch auch verbunden ist, währt ja nicht mehr lange. Wer könnte sich nicht ins Zeug legen, wenn die Herrlichkeit des Reiches Gottes so greifbar nah ist? Und umgekehrt: Wer wird sich der Bosheit ergeben, dem Ehebruch oder der Lüge, wenn er doch weiß, bald bricht die Welt der ewigen Freude an, an der man unbedingt teilhaben will und - denken wir doch ganz praktisch - die man mit gottlosem Verhalten nicht verspielen möchte!

So gesehen hören sich solche Worte jetzt vielleicht auch ein wenig wie Durchhalteparolen an und das waren sie wohl - nicht nur, aber auch: "...unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat" und "Gottes Gebote zu halten ist nicht schwer!" Sicher hat das den Leuten Jesu damals helfen können, die Sache ihres Herrn nicht aus den Augen zu verlieren! Denn das ist ja gewiss: Es ist weniger schwer, sich als Christin und Christ zu bewähren, wenn man davon ausgeht, man hätte für diese Bewährung nur noch kurze Zeit zur Verfügung - oder treffender gesagt und ehrlicher: Sich zu bewähren fällt nicht mehr so schwer, wenn man weiß, es wird nicht mehr allzu lange Mühe kosten.

Wie ist das bei uns: Über 1900 Jahre Erfahrung einer Geschichte liegen hinter uns, in der Jesus ausgeblieben ist, jedenfalls so, wie die Christen sich das immer vorgestellt haben: Der Herr auf einer lichten Wolke, für alle Welt sichtbar, die Posaunen des Weltendes bringen die Reiche der Menschen zum Einsturz, Jesus als Richter auf dem Thron, Böcke und Schafe getrennt, zur Rechten und zur Linken...

Erschreckend und dunkel ist es gewesen in den zwei Jahrtausenden, seit Christen auf ihren Herrn warten. Ein Meer von Blut, ein Ozean von Tränen, Tausende von Kriegshandlungen und Schlachten mit Millionen von Toten und Verwundeten zwischen der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung und den Kriegen im Irak, in Syrien und an vielen anderen Orten dieser Welt mit allen schrecklichen Folgen für die Menschen. Tod, Zerstörung, Vertreibung, Flucht... Auch und besonders im "christlichen Abendland" gab es schon immer lange Zeiten der Gottesfinsternis, der Verblendung und der Abkehr von den Geboten, von der Liebe und vom Glauben, z.B. in den düsteren Jahren der Kreuzzüge, der Kolonialisierung der neuen Welt zu Beginn der Neuzeit und im vergangenen Jahrhundert im 1. Weltkrieg und dann in den Gott sei Dank nur kurzen Jahren des Reiches, das 1000 Jahre dauern sollte, mit seiner gott- und menschenverachtenden Ideologie, mit Rassenwahn und Massenmord. Ganz nüchtern betrachtet haben wir heute viele Gründe, daran zu zweifeln, dass es mit Jesu Wiederkommen in unsere Welt nun bald - und eigentlich noch irgendwann - etwas werden wird! Und wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir bekennen, wir haben auch lange Zeit nicht mehr darüber nachgedacht, was es eigentlich heißen soll, wenn wir im Glaubensbekenntnis sprechen: "...von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten." Uns hilft unsere Erwartung des baldigen Weltendes also nicht dabei, in der kurzen verbleibenden Zeit "Gott und die Menschen zu lieben, die Gebote zu halten und darauf zu vertrauen, dass unser Glaube die Welt schon überwunden hat". Wir brauchen dazu eine andere Hilfe - nur welche?

Das mag sich nun sehr seltsam anhören, aber ist nicht gerade das Dunkel und die Gottesferne der Jahrhunderte seit Jesu Kreuz auf Golgatha aufgerichtet worden ist, seit seinem Tod und seinem Sieg am Ostermorgen auch - aus einer bestimmten Sicht - eine Ermutigung? Niemals ist Gottes Sache doch so ganz am Ende gewesen! Immer wieder folgte auf Krieg und Verderben neues Leben aus Ruinen und neue Hoffnung nach Zerstörung und Tod. Wo vorher der Hass regierte, keimte die Liebe. Wo die Waffen gesprochen hatten, reichte man sich die Hände. Oft genug über Gräbern und nach schrecklichen Zeiten mit ungezählten Opfern auf beiden Seiten - aber man machte Frieden und setzte einen neuen Anfang! - Das sind heikle, empfindliche Gedanken jetzt, aber wer hätte nach Ausschwitz für möglich gehalten, dass irgendwann wieder junge Deutsche in israelischen Kibbuzim ein Aufbaujahr ableisten oder dass ein deutscher Außenminister als Vermittler zwischen Israeliten und Palästinensern auftreten könnte?

Und im persönlichen Bereich haben wir doch alle schon ähnliche Erfahrungen machen können, machen dürfen... Gab es nicht in unserem Leben schon einige Male Tage, da hätten wir nicht geglaubt, dass wir je wieder lachen könnten oder die Freude und die Zuversicht in unser Herz zurückkehren würde. Vielleicht war das in der Zeit als unser Arzt die schlimme Diagnose gestellt hat und wir durch die bangen Wochen einer aufwändigen und vielleicht entwürdigenden Therapie gehen mussten - aber wir sind wieder gesund geworden! Oder wir denken jetzt an die Krise in unserer Ehe oder Familie, die unsere seelischen Grundfesten erschüttert und uns für lange Zeit allen Lebensmut genommen hat - heute stehen wir wieder fest mit beiden Beinen auf der Erde, das Leben hat uns wieder, wir sind nicht schwächer geworden in der Tiefe, durch die wir geführt wurden, sondern stärker. Und ich glaube, das eben ist es: Wir wurden "geführt". Wir waren nicht allein mit unserem Elend, in unserer Krankheit und in unserem Leid, sondern hatten einen Helfer an unserer Seite.

Wenn wir da einen Augenblick den Gedanken der Wiederkunft Jesu Christi fallen lassen oder besser: Wenn wir diesen Gedanken ein wenig anders verstehen, ob uns daraus nicht ein tragfestes Fundament für unser Leben - auch in der Zukunft - werden kann? Vielleicht ist das doch so: In der Geschichte und in unserem persönlichen Leben gab und gibt es immer wieder Zeiten, in denen Jesus uns fern ist, vielleicht ja auch nur fern scheint, jedenfalls sehen wir ihn nicht, können ihn und seine Macht nicht erkennen, fühlen uns allein und verlassen und sind in Angst und böser Erwartung. Aber in der selben Geschichte und im selben Leben folgen dann auch immer wieder Wochen, vielleicht Jahre voller Freude und Gewissheit, dass Gott uns nah ist, sein Wort und Wille gut ist und er uns den Weg weist und wir wissen, dass uns an seiner Hand in Ewigkeit nichts geschehen kann!

So könnte also gerade auch durch unsere schweren Erfahrungen und die Erlebnisse des Leids und der Gottesfinsternis in Geschichte und persönlichem Geschick die Zuversicht und die nötige Kraft erwachsen, auch in der Zukunft darauf zu vertrauen, dass immer wieder nach schlimmer Zeit auch geborgenes, frohes Leben auf uns wartet.

Hat den Christen, an die Johannes zuerst seine Worte richtet, geholfen, dass es ja nicht mehr allzu lange dauern kann, bis mit Christus das Ende und das Gericht für alle Welt erscheint, so mögen uns die Erfahrungen mit der Treue Gottes helfen, die nach jedem Leid, am Ende jeder Krankheit und hinter aller Not und allem Unglück auch wieder gute Tage schenkt und immer geschenkt hat.

Weil das so war und ist können wir Gott und die Mitmenschen lieben und es wird uns leicht sein, die Gebote Gottes zu halten und wir werden darauf vertrauen, dass unser Glaube der Sieg ist, der die Welt überwunden hat.

Und wenn es unserem Herrn gefällt, zu unseren Lebzeiten wiederzukommen, um Gericht zu halten über Lebende und Tote, dann wird er uns so bereit finden. AMEN