Predigt zum Sonntag "Palmarum" - 20.3.2016

Liebe Gemeinde!

Der so genannte Philipperhymnus, über den wir heute nachdenken wollen, ist es sicher wert, dass alle Christinnen und Christen ihn auswendig lernen. Und es gibt auch viele Pfarrerinnen und Pfarrer, bei denen diese Verse zu den Texten gehören, die ihre Konfirmanden bei der Vorstellung auswendig aufsagen müssen. Nun ist Auswendiglernen heute nicht mehr so beliebt bei den jungen Leuten und auch den Erwachsenen scheint das vielleicht etwas altmodisch. Aber ich glaube, wer diese Verse immer in seinem Kopf, also bei sich hat, der hat in jeder Lebenssituation Worte in seinem Gedächtnis, die ganz wunderbar und auch kurz genug zusammenfassen, was unser Glaube als Christen ist.

Aber jetzt wollen wir endlich auf diesen Hymnus hören. Er steht im Philipperbrief des Paulus im 2. Kapitel:

Textlesung: Phil. 2, 5 - 11

Ein jeglicher sei gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.

Liebe Gemeinde, erfahren wir hier nicht die ganze Bedeutung des Lebens und Sterbens Jesu? Ich möchte so weit gehen: Wenn einer von der Sache Gottes, vom Glauben und Hoffen, von Jesus und seinem Auftrag nur diese paar Sätze wüsste, dann wäre es genug. Das heißt, er sollte sie auch verstanden haben - und verstehen bedeutet bei solchen Gedanken immer auch, danach zu leben! Und man kann danach leben! Und andersherum: man kann nicht leben ohne diese Gedanken, als Christ jedenfalls nicht.

Zugegeben, diese Verse sind ein wenig altertümlich von ihrer Sprache her: "Ein jeglicher sei gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht...er entäußerte sich selbst... und ward gehorsam bis zum Tode..." So spricht heute wohl keiner mehr, selbst die Pfarrerinnen und Pfarrer, die Lektoren und Prädikanten auf der Kanzel nicht. Darum kann es sein, dass einige hier - zumal die Jüngeren - gar nicht recht verstehen, was genau gemeint ist. Vielleicht ist es also gut, wenn ich dieses wichtige Stück der frohen Botschaft einmal in unser heutiges Deutsch übertrage. So beginnt es dann hoffentlich mit jeder und jedem von uns zu reden. Ich versuche es einmal:

Jeder von euch nehme sich Jesus Christus zum Vorbild in allem. Redet so wie er. Handelt wie er. Geht mit euren Mitmenschen um wie er. Er war wie Gott, aber er gab alles für uns auf. Er wurde ein Mensch wie andere Menschen auch, ja, er wurde der Diener aller Menschen. Er ging den unteren Weg der Ohnmacht und des Verzichts und blieb seinem Auftrag treu bis zum Tod. Er starb den Tod eines Verbrechers am Kreuz. So hat er unsere Erlösung von Tod und Teufel vollbracht. Darum hat ihn Gott auferweckt und zu sich genommen und seinen Namen groß gemacht: Christus heißt er und in diesem Namen liegt die Rettung der Welt und aller Menschen beschlossen. Alle Menschen werden ihn einmal anbeten müssen. Alle Menschen hat Gott in seine Hand gegeben; er wird einmal unser Richter sein. In dieses Gericht werden alle Menschen kommen, die lebenden, die toten und die, die schon bei Gott sind. Die ganze Menschheit wird einmal bekennen müssen: Jesus Christus ist der Herr aller Herren. Das wird zu Gottes Lob und Ehre geschehen.

Jetzt haben wir vielleicht erst so richtig gemerkt, was das für gewaltige Worte sind. Da ist wahrhaftig nichts hinzuzufügen. Wenn jeder sein Leben nach diesen Versen einrichten würde, dann müsste schon morgen diese Welt zeigen, wer ihr Herr ist: Jesus Christus. - Warum aber sieht und hört man in dieser Welt nur so wenig von ihm? Warum tragen wir bloß so wenig seine Züge? Das kann doch nicht daran liegen, dass wir den Sinn dieser Worte bisher noch nie verstanden hätten: "Ein jeglicher sei gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht..." Gewiss aber hat es mit dem Inhalt dieser Verse zu tun: Bis heute nämlich geht Jesus den "unteren Weg". Er will keine Macht über uns ausüben, schon gar keine Gewalt anwenden. Er könnte es wohl, aber er will es nicht. Er will die Herzen haben - und die Hände. Und das freiwillig, ohne Zwang, weil wir ihn liebhaben, der uns so liebt, weil wir ihm nachfolgen in allem, worin er uns vorausging. Dass wir zögern oder einen ganz anderen Weg gehen als er, hat bestimmt mit unserer Angst zu tun. Wir sehen ja an ihm, wohin das führen kann: Leiden, Schmerzen und Schande und schließlich Sterben sind nun wirklich nicht verlockend für uns. Leider bleibt unsere Angst immer dabei stehen. Wie das Kaninchen gebannt auf die Schlange starrt, so starren wir auf Leid und Tod und sehen und hören nicht mehr, wie es weitergeht und dass es weitergeht: "Darum hat ihn Gott auferweckt und zu sich genommen..." Die Aussichten, dem Herrn Jesus Christus auch in ein neues ewiges Leben nachzufolgen, müsste uns doch treu in seiner Spur bleiben lassen, durch Leid, Schmerz und Tod hindurch! Wir werden einmal erfahren, wozu alles gut war, was uns Kummer und Schmerzen verursacht hat. Wir werden einmal begreifen, "warum ein Christ nicht ohne Kreuz sein kann", wie es in einem Lied heißt. Und wenn wir das begriffen haben, wird unser Herz voll Freude sein, und unser Mund voll Dankens und Rühmens... -

Schon sind wir wieder einmal bei der neuen Welt Gottes, die uns nach diesem Leben erwartet. Seltsam ist das: Wir gehen in Gedanken gern hinüber in die herrliche Zukunft, die uns verheißen ist. Besonders dann, wenn wir mit dieser Welt und den Schwierigkeiten des Lebens nicht fertig werden. Verständlich ist das schon. Und berechtigt ist es auch - die Zusage Gottes lässt uns ja auf diese Zukunft hoffen! Aber ich möchte unseren Blick zurücklenken auf dieses Leben: Warum sollten schon unsere Konfirmanden die Verse des Philipperhymnus auswendig lernen? Doch sicher, weil sie diese Verse für ihr Leben kennen und beherzigen sollen: "Ein jeglicher sei gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht..." Vielen Menschen haben diese Worte in ihrem Leben geholfen, besonders wenn sie traurig waren oder bedrückt, verzweifelt oder in Angst. Wenn ihnen dann die Worte in den Sinn kamen: "Er erniedrigte sich selbst" und "er nahm Knechtsgestalt an", dann hat sie das getröstet. Irgendwie haben sie dann gespürt, du bist jetzt nicht allein, Jesus ist bei dir. Immer wieder kann das ja ein starker Trost sein, dass Jesus das gleiche Menschenleben kennengelernt hat wie wir. Ja, er ist eigentlich noch viel tiefer hinabgestiegen als jeder von uns! Daran wird uns deutlich: Er steht neben uns, wenn wir Angst haben. Er wird uns nicht verlassen. Er kennt einen Weg hindurch. Darum: Bleiben wir an seiner Hand!

Liebe Gemeinde, ich wünschte jeder und jedem von uns, wir würden auch diese guten Erfahrungen mit ihm machen, von dem diese Verse aus dem Philipperbrief sprechen. Eigentlich bin ich sicher, dass auch viele andere hier schon Hilfe durch solche Gedanken und solchen Zuspruch erlebt haben: "Jesus erniedrigte sich selbst... wurde Mensch...ja, der Diener aller Menschen..." Wo diese Worte recht verstanden werden, wo man sich an ihnen festhält und sein Vertrauen auf sie setzt, da beginnen sie zu leben... ER selbst wird dann in den Worten und Buchstaben lebendig! Das lässt sich kaum beschreiben, aber ich will es dennoch versuchen: Nehmen wir an, einer von uns wird von Schicksalsschlägen gebeutelt. Nachdem er seine Arbeitsstelle verloren hat, wird er noch krank; schließlich kriselt es auch in seiner Ehe. So etwas gibt es ja. Nehmen wir weiter an, dieser Mensch hat diese Verse gehört oder hat sie seit langem im Gedächtnis: Jesus, der Diener aller Menschen...ging ans Kreuz...starb für uns... Da kann es schon sein, nein, es wird so sein, dass diese Verse zu sprechen beginnen, zu leben: Jesus, Diener aller Menschen...auch meiner, auch jetzt...meine Sorgen hat er zu seinen gemacht...meine Last hat er auf seine Schulter genommen...sie ist sein "Kreuz"...er trägt mit...er trägt sie weg...er gibt sein Leben für mich...ich kann aufatmen...mir wird leichter...er hält aus bei mir... er steht an meiner Seite...

Worte haben aufgehört, bloß Worte zu sein. Jesus lebt! Ist niemand unter uns, der solche Erfahrungen gemacht hat???

Es mag ja nun sein, dass mein Leben als Christ voll von herben Schicksalsschlägen ist, voller Leid und Kummer. Manchmal meint man ja, gerade die Christen müssten oft besonders steinige und dornenreiche Wege gehen. Das führt uns zu einer anderen Wahrheit: Was landläufig als "Glück" und ein "schönes Leben" gilt, ist gar nicht unbedingt gut und wertvoll im Sinne Christi. "Glück", wie es die Welt versteht, ist vielmehr oft ein sehr oberflächliches Haschen nach Vergnügen und Kurzweil. "Schön" für die Weltmenschen mag wohl besser mit "leicht" oder "vergnüglich" übersetzt werden. Aber ob so etwas überhaupt "Leben" genannt werden kann, ist manchmal auch die Frage! "Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war..." Uns wird hier ein anderes Leben vorgelegt und zur Nachahmung empfohlen: Dieses Leben in Jesu Spur mag manchmal sehr schwer sein, ja, es wird oft genug hart werden! Aber es wird - bei allem Schweren und Dunklen - ein gutes, ein geborgenes Leben sein. Ich bin nie allein - auch in den trübsten Stunden nicht! Der Gott, der Knechtsgestalt annahm und für mich gestorben ist, hält in meiner Nähe aus. Er hält meine Hand, mögen auch alle Menschen sie loslassen.
Was ist uns lieber?: 70 oder 80 Jahre schönes, vergnügliches Leben an der Oberfläche der Welt oder eines in Jesu Spur, mit Sinn und Fülle für uns und andere, auch einmal hart und schwer, aber immer geborgen und bewahrt in dem, der uns in Leben, Leiden und Kreuz vorausging? Ich wünsche uns gute Erfahrungen mit diesen Versen und mit dem, von dem sie reden. (2. Textlesung: Phil. 2,5-11?) AMEN