Predigt zum Reformationsgedenken - 31.10. oder 2.11.2003

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Textlesung: Mt. 5, 2-10 (11-12)

Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.

Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.

Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.

Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.

Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich.

Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.

Seid fröhlich und getrost; es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Liebe Gemeinde!

Wer von uns hat (heute) am vergangenen Freitag an die "Reformation" gedacht? - Mal ganz ehrlich! - Dagegen waren uns mindestens zwei andere Widmungen dieses Tages viel näher, ja, sie haben sich geradezu aufgedrängt! Einmal "Halloween", dieses bei uns und für uns eigentlich absolut nicht traditionell-verbundene "Allerseelen"-fest aus Amerika, mit dem vor allem eins gemacht werden soll: Ein Geschäft! Wie viele Kaufhäuser und Supermärkte bieten inzwischen schon Abteilungen mit den entsprechenden Kleidungsstücken für den Geisterrummel - vom Dress des Sensemanns bis hin zu Kürbisköpfen mit Beleuchtung? Aber, wenn ich die Halloween-Begeisterung auch nicht aufhalten kann, so will ich doch wenigstens nicht allzu viel darüber reden. - Mir persönlich ist sie gar zu fremd!

Aber noch etwas anderes war am letzten Freitag: In den Banken und Sparkassen standen allenthalben Muttis oder Omas mit Kindern und Enkeln vor den Schaltern, ja, zusätzliche Schalter waren eröffnet worden. In manchen Grundschulen war es ähnlich: eine lange Reihe Schülerinnen und Schüler vor einem Tisch, an dem sie Geld einzahlen konnten und zur Belohnung ein kleines Geschenk erhalten haben. Wenn wir da ein Kind gefragt hätten: Weißt du, was heute für ein besonderer Tag ist? So hätten die Kinder wohl geantwortet: Es ist Weltspartag. "Wer ernten will, muß sparen", so hieß einer der Werbesprüche dieses Jahres. Wenn man also an diesem Tag bei seiner Bank etwas abheben und nichts einzahlen wollte, dann konnte man leicht ein schlechtes Gewissen bekommen. Aber denken wir diesem seltsamen Zusammentreffen von Reformation und Weltspartag noch ein wenig nach. Und tun wir's vor dem Hintergrund dieser Gedanken: "Selig sind, die barmherzig, geistlich arm, friedfertig und sanftmütig sind..."

Wenn ich da nun höre: "Wer ernten will, muß sparen", dann empfinde ich einen Widerspruch, wie er größer kaum sein könnte! Und ich frage mich, ist dieser Satz denn wahr? Muß der, der ernten will, nicht vielmehr aussäen und ausgeben? - Wenn der Bauer den Samen nicht aufs Land streut, wenn er ihn vielmehr auf der Tenne liegen läßt oder im Kasten, was soll denn dann daraus werden?

Tatsache ist, das haben wir (heute) am Freitag beobachten können, der Weltspartag hat dem Reformationsfest in der Gunst der Menschen deutlich den Rang abgelaufen. Und beide passen überhaupt nicht zu einander: Beim Weltspartag geht es darum, daß wir Geld zurücklegen und dafür später mit den Zinsen belohnt werden. Am Reformationstag geht es um die Entdeckung des Evangeliums, das uns vor aller eigenen Leistung erst einmal zuspricht: "Selig seid ihr..." Und es geht darum, daß diese Botschaft in den Herzen der Menschen ankommt. Und diese Botschaft vermehrt sich - anders als das Guthaben bei einer Bank - dadurch, daß sie ausgegeben und weitergesagt und eben nicht ängstlich bewahrt und gespart wird. So war es die Entdeckung Martin Luthers vor bald 500 Jahren. Und daran denken wir evangelischen Christen am Reformationsfest.

Aber spricht uns das heute wirklich noch an? Sagt uns dieses "Selig seid ihr..." heute noch etwas, spricht es hinein in unseren Alltag, bewegt es uns, verändert es uns und die Art, wie wir denken, leben und handeln? Eines allerdings ist klar: Heute geht es um das Herzstück des evangelisch-christlichen Glaubens - auch wenn es in unserer Zeit vielen fremd ist. "Wer ernten will, muß sparen", oder "Geld regiert die Welt" - das verstehen die meisten Menschen heute leichter.

Das war übrigens zur Zeit Martin Luthers nicht viel anders: Damals begann das Geld, seine große Rolle zu spielen: Bei der Wahl des deutschen Kaisers etwa. Dieser wurde zwar von den Kurfürsten gewählt. Sie aber stimmten für den Bewerber, der ihnen am meisten zahlen konnte. Und das Bankhaus Fugger in Augsburg schoß die nötigen Finanzen vor. Aber auch in der Kirche ging es ums Geld - manchmal mehr als um den Glauben der Menschen und die Verkündigung des Evangeliums.

Martin Luther, dieser Mönch vom Rande der damals zivilisierten Welt, erregte mit seinen Thesen Anstoß bei der finanzkräftigen und finanzbedürftigen Kirche. Luther nämlich ging es nicht ums Geld. Er selbst besaß so gut wie kein Privateigentum und es interessierte ihn auch gar nicht. Ihm lag an der Wahrheit des Evangeliums. Und diese Wahrheit war und blieb vielen fremd, damals genau wie heute. Luther erschloß sich diese Botschaft zuerst, als er den Brief des Paulus an die Christen in Rom studierte. Er übersetzte: "So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." Und von diesem Wort her, hat er dann viele andere Worte der Heiligen Schrift ganz neu verstanden - auch diese, die alle so beginnen: "Selig seid ihr..."

Liebe Gemeinde am Reformationsfest, ich würde jetzt gern mit ihnen herausfinden, was diese Botschaft für uns heute bedeutet. Ich fange mit der Voraussetzung an: Der Mensch soll durch Gottes Liebe selig werden, nicht durch eigenes Verdienst. Und da fragen wir uns vielleicht: Warum soll das denn nötig sein? Denn wer hält sich nicht selbst für einen guten Menschen? "Wie bitte? Ich soll ungerecht sein? Ich bemühe mich mit den Nachbarn in Frieden zu leben." Und von den anderen denken wir so: "Hat nicht jeder Mensch einen guten Kern?" Wirklich, es ist eine uns fremde Botschaft, die Luther entdeckt hat. Denn er sagt: Wir können zwar vor unseren Mitmenschen gerecht sein, aber wir können es nicht vor Gott und seinen Geboten. Die Botschaft der Heiligen Schrift, so wie Luther sie verstanden hat, stellt es radikal ins Licht: Du Mensch kannst von dir aus nicht bestehen vor Gott. Du brauchst Erlösung und die Kräfte dazu findest du nicht in dir selbst. Und so heißt es weiter im Römerbrief: "Die Menschen werden gerecht ohne des Gesetzes Werke"! Das ist ein harter Schlag ins Gesicht aller, die an das "Gute im Menschen" glauben. Aber es liegt darin auch der Weg zu der freudigen Einsicht, daß wir davon befreit sind, durch die Werke des Gesetzes gerecht zu werden. Es gilt: "Selig seid ihr"! - Aber was sind denn die Werke des Gesetzes heute?

All das Gute, das wir tun wollen, all das, was in der Gesellschaft von uns erwartet wird, das sind diese Werke. Und all diese Forderung lassen sich darin zusammenfassen: Dein Leben wird verbraucht für andere Menschen, in Arbeit und Mühe. Was machen wir nun mit diesen Forderungen? Wir benutzen sie, um selber anerkannt und geachtet zu werden. Da zählt vor allem die Leistung, wie es uns die Werbespots im Fernsehen einreden wollen oder eben solche Sprüche: "Wer ernten will, muß sparen." Wir benutzen die Werke des Gesetzes also, um uns selbst zu behaupten gegenüber unseren Mitmenschen und gegenüber Gott. Wir suchen, unser Leben zu "machen", ohne dabei an unseren Schöpfer zu denken, von dem uns alle Gaben und alles Können und alle Kraft herkommen. Wir schaffen und rackern uns ab, ohne dabei innezuhalten - und viele werden darüber freudlos und verbissen. Irgendwann aber - hoffentlich - spüren sie auch schmerzhaft, daß es so nicht weitergehen kann: Ich kann das Gesetz, nach dem ich immer gelebt habe, nicht erfüllen. Sie werden traurig und dunkle Gedanken plagen sie. So schwer das dann auch ist und so weh das dann auch tut, in dieser Erfahrung liegt auch eine große Chance, die Möglichkeit, das Leben noch einmal herum zu reißen und anders anzugehen. Denn, "der Mensch wird nicht gerecht durch des Gesetzes Werke" oder wie es hier heißt: "Selig seid ihr!". In unserem Verhältnis zu Gott spielen diese "Gesetze" nur die Rolle, daß sie uns unser Unvermögen, sie zu erfüllen, vorhalten. Das ist schrecklich für den, der bisher nur das Gesetz kennengelernt und sich auf seine Leistungsfähigkeit verlassen hat und darum seinen Wert als Mensch danach bemißt, wie Gott und die anderen Menschen seine Leistung bewerten. Die Entdeckung Martin Luthers führt aus dieser Sackgasse heraus. Sie kann auch uns zum Leben helfen: "Allein durch den Glauben" wird dein Leben erfüllt und froh, allein durch den Glauben sind wir mit Gott versöhnt. "Selig seid ihr!"

Da gibt es nun viele, die halten dagegen: "Ja, du magst ja diesen Glauben haben - aber ich? Ich möchte schon, aber...", und dann kommen die verschiedensten Einreden, warum sich jemand für nicht gläubig genug hält. Wie schnell sitzen wir dann doch wieder dem Irrtum auf, als sei der Glaube unserem Bemühen entsprungen, oder gar einem Theologiestudium. Es ist wahr, der Glaube macht selig und gerecht, aber nicht, weil er etwas ist, was ich Gott vorzeigen kann. Und erst recht ist unser Glaube, wie ihn die Entdeckung Martin Luthers wieder ans Licht gebracht hat, keine menschliche Tugend. Dieser Glaube ergreift und klammert sich vielmehr an die einzige Gerechtigkeit, die Gott gegenüber denkbar ist: nämlich an die Gerechtigkeit, die Jesus Christus uns erworben hat durch seinen Tod. Diese Gerechtigkeit gilt vor Gott in Zeit und Ewigkeit. Darauf, liebe Gemeinde, dürfen wir uns verlassen. Das soll uns kein Mensch rauben. In dem, was Gott durch Jesus Christus für uns tut, zeigt er, wie groß seine Liebe zu uns ist. Damit befreit er uns von dem Irrtum, durch die Werke des Gesetzes ein frohes und zufriedenes Leben finden zu können. Die Botschaft der Reformation ist einfach, kostbar - und steht doch nicht hoch im Kurs in unserer Zeit. Da wollen z.B. solche Worte gelten: "Wer ernten will, muß sparen."

Das "Gerecht aus Glauben", das "Selig seid ihr" dagegen zeigt uns Wege, anderen zu Nächsten zu werden, befreit zur Liebe. Wer hier in dieser Welt ernten will, der darf Tag für Tag ausgeben, was er von Gott empfängt, der muß nicht sparen mit Barmherzigkeit, mit Geduld und Liebe... Und dabei wird sein Leben reich und von einer tiefen Freude durchzogen. "So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben." - "Selig sind, die barmherzig, geistlich arm, friedfertig und sanftmütig sind..."

Wenn es den Veranstaltern des Weltspartags auch nicht gefällt, so muß es für Christen heißen: "Wer ernten will, darf ausgeben."