Predigt am 18. So. nach Trinitatis - 19.10.2003

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Textlesung: Mk. 12, 28 - 34

Und es trat zu ihm einer von den Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Und als er sah, daß er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?

Jesus aber antwortete ihm: Das höchste Gebot ist das: »Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften« (5. Mose 6,4-5).

Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18). Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Und der Schriftgelehrte sprach zu ihm: Meister, du hast wahrhaftig recht geredet! Er ist nur einer, und ist kein anderer außer ihm; und ihn lieben von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und von allen Kräften, und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.

Als Jesus aber sah, daß er verständig antwortete, sprach er zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.

Liebe Gemeinde!

Was ich jetzt sagen will, ist sehr heikel. Ich sage es trotzdem: Die vor Jahren bei einem Autounglück verstorbene Prinzessin Diana, ein bekannter Autorennfahrer, dessen Namen ich nicht aussprechen muß, alle Fußball- oder Popstars, die Politiker und Mächtigen der Erde, die Größen aus Film, Funk oder Fernsehen - sie alle haben die Beachtung, die Anerkennung, Bewunderung, ja, fast schon Anbetung nicht verdient, die viele Zeitgenossen ihnen aber ohne weiteres zukommen lassen. Selbst Albert Schweitzer oder Mutter Theresa, die in ihrem langen Leben viel Gutes getan haben, die ganz gewiß wunderbare Menschen waren, haben keinen Anspruch auf irgend ein besonderes Aufhebens um ihre Person, schon gar nicht nach ihrem Tod - und ganz sicherlich hätten sie selbst ihn nie erhoben.

Aber warum sage ich so etwas? Einmal, weil das heutige Predigtwort diesem Personenkult ganz und gar entgegen ist. Weil also - ich sage es deutlich - ein solches Verhalten nicht christlich ist. Dann aber auch, weil ich meine, das ließe sich auch schon nicht mit einem einigermaßen menschlichen und vernünftigen Denken und Handeln reimen. Nicht zuletzt aber spreche ich heute einmal darüber, weil ich finde, der Kult und die Vergötzung von Menschen hätte gerade in den letzten Jahren ein Maß angenommen, das einfach nicht mehr gut geheißen werden kann. Und schließlich hat das eine seelsorgerliche Seite, die mir auch am Herzen liegt. Aber jetzt ganz deutlich und der Reihe nach.

Jesus Christus sagt: Wir sollen Gott über alle Dinge lieben! Wir spüren das sofort: Vor und neben diesem Wort und von dem es spricht ist kein Platz für die Verehrung von Menschen. Und wir wissen auch warum! Weil wir glauben, daß eben von diesem Gott alles herkommt, was wir sind und haben - und auch was wir können und vielleicht vor den Leuten zur Schau stellen oder womit wir - nur weil die Menschen dieser Tage verrückt darauf sind - unser Geld verdienen. Wenn einer etwas kann, dann soll Gott gepriesen werden! Wenn eine Gaben und Begabungen hat, dann soll sie Gottes Ruhm damit dienen. Jesus hat es immer so gehalten: „Danke nicht mir", sagt er zu dem Aussätzigen, den er geheilt hat, „geh in den Tempel und danke Gott dafür!" Wenn ich da auf die vergötterten Sport- oder Popgrößen unserer Zeit schaue! Wie sie sich im Ruhm sonnen und aalen, den ihnen Beziehungen, die Gunst der Stunde, ein Zufall oder die Anwesenheit eines Managers zur richtigen Zeit verschafft haben. Nehmen wir doch, wen wir wollen: Ein Tennis-As, einen Schlagersänger, den gefeierten Fußballer in der Nationalelf, einen Formel-1-Fahrer, auf den sich die Hoffnungen der ganzen Nation richten... Sie alle, wirklich alle wären doch austauschbar gegen soundso viele Hundert oder Tausend in der Welt, die genauso begabt sind, genauso gut und genauso erfolgreich wären, hätten sie dieselben Chancen gehabt wie die im Rampenlicht. Aber ich höre sie im Fernsehen reden und ich finde, sie sind oft alles andere als demütig und dankbar für das, was ihnen doch nur geschenkt wurde. Und Gott wird in diesem Zusammenhang so gut wie nie genannt! (Erfrischend und schön fand ich es da bei der Leichtathletik-Europameisterschaft vor Wochen, wenn wenigstens ein paar der dort teilnehmenden Sportler regelmäßig vor den Kameras ihr Kreuz vor dem Sprung, dem Wurf oder Lauf geschlagen haben. Da kommt doch hoffentlich hin und wieder auch vor dem Bildschirm jemand zum Nachdenken, woher dieser Mensch seine Kraft oder seine Ausdauer hat - und daß er das offenbar weiß!)

Jedenfalls ist das die andere Seite: Wir zollen diesen Menschen eben auch die Bewunderung und Anbetung, die ihnen doch nicht zusteht. Wir bestätigen sie damit immer wieder, daß sie großartig, außerordentlich und eben bewundernswert sind. Und wir sorgen so mit dafür, daß diese Menschen immer mehr „abheben" und den Bezug zur Wirklichkeit verlieren und damit auch die Beziehung zu Gott. Daß darin - auf beiden Seiten - auch Sünde und Schuld gegenüber Gott liegen, mag uns dieser Hinweis zeigen: Wie viele sind es denn schon gewesen in der Vergangenheit, die wir überblicken, die mit dem Starrummel um ihre Person nicht fertig geworden sind, die sich an den Alkohol und die Drogen verloren oder ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben. Oft war eben auch der Grund dieser Entwicklung, daß sich das Publikum von ihnen ab- und anderen Stars zugewandt hat und sie so fallengelassen wurden. Oder aber man hat sie zu hoch in den Himmel gehoben, so daß sie ihre Verbindung zu einem normalen Leben verloren haben und in dem Elfenbeinturm des Ruhms, in den andere sie gesetzt haben, schier verkommen sind. Ich nenne hier nur Romy Schneider, Elvis Presley und Marilyn Monroe. Drei für viele.

Aber ich habe behauptet, dieser Starkult wäre auch einfach un-menschlich und unvernünftig. Dabei denke ich daran, wie leicht wir Menschen auf das verkleinern, was für uns an ihnen interessant ist: Da ist dann ein Mann eigentlich nur der Tenniskünstler oder der Torjäger. Eine Schauspielerin wird nur noch als die jugendliche Liebhaberin oder der Vamp gesehen oder als die alte Hexe, die sie immer spielen muß und auf deren Rolle sie vom Publikum festgelegt wird. Daß hier Menschen hinter dem stehen, was wir von ihnen am liebsten sehen und sehen wollen, das geht vergessen. Daß diese Menschen weit vielfältiger sind, auch ganz andere Gefühle und Bedürfnisse haben, als wir von ihnen erwarten, das gestatten wir ihnen nicht. Und schließlich lassen wir diesen Menschen ja auch oft nicht das Privatleben, auf das sie einen Anspruch haben und das sie nötig brauchen, um ihr Leben in der Öffentlichkeit überhaupt zu ertragen. Ja, und gegen die Vernunft ist das auch: Warum soll denn ein Autorennfahrer mehr von Autoversicherungen verstehen, als jeder und jede von uns? Wie kommen einigermaßen denkende Menschen dazu, sich von einem Bundesliga-Fußballer über Anstand oder rechte Kameradschaft belehren zu lassen, von Leuten also, die oft genug gar nicht in der Lage sind, ihre Gedanken dazu in verständliches Deutsch zu fassen!

Aber das allerwichtigste an diesen Gedanken ist wohl die seelsorgerliche Seite. Und auch die betrifft die Stars - und uns, die sie zu Stars machen: Ich glaube, wenn einer die Bewunderung und Anbetung der Menge nur lange genug erfährt, kann er nicht der selbe bleiben! Oft schon habe ich gedacht, wenn beim Auftritt einer Band die jungen Mädchen reihenweise in Ohnmacht fallen: Müssen diese kaum 16- oder 18jährigen Jungen, derentwegen das geschieht, nicht jedes Maß für die Wirklichkeit verlieren und sich für so etwas wie Götter halten? Wird das ihrer Seele nicht schaden? Ja, werden sie irgendwann, wenn der Rummel abebbt und ganz aufhört nicht eben daran kaputtgehen, daß sie sehr hart damit konfrontiert werden, wie arm und unzulänglich vor den Menschen und wie schuldig und elend sie im Grunde vor Gott immer waren und geblieben sind? Zumal die Welt, in der diese Leute leben, ja voller Versuchungen und Möglichkeiten ist, sich selbst zu verlieren und zu zerstören!

Und - wahrhaftig nicht zuletzt - denke ich an die vielen, vielen Menschen, Frauen und Männer, die im Hintergrund, dort wo niemals eine Fernsehkamera hinschaut, einen oft so aufopferungsvollen und wichtigen Dienst für Gott und die Menschen tun. Da sehe ich dann auf der einen Seite den Fußballprofi, der wirklich nicht viel mehr kann als hin und wieder ein Tor schießen, der allerdings dafür Millionen einstreicht, und ich sehe auf der anderen Seite den Menschen, der neben seinem Haushalt oder Beruf die alten Eltern pflegt, der sich so vieles versagt hat in den letzten Jahren, der nie Urlaub macht und der abends, wenn der Tag wieder einmal geschafft ist, oft nur noch weinen kann vor lauter Erschöpfung und Verzweiflung. Oder ich sehe den Politiker in Berlin, der scheinbar von seiner Vorbildung her genauso gut das Verkehrsressort leiten könnte, wie er Justiz- oder Arbeitsminister sein kann, der - weil er noch viel vorhat - wirklich jeder Fernsehkamera nachläuft und in jeder zweiten Tagesschau auftritt, der neben seinen Diäten und Aufwandsentschädigungen noch fünf hochdotierte Aufsichtsratsposten hat und dessen Sessel an seinem Arbeitsplatz, im Plenarsaal des Bundestags, doch die meiste Zeit unbesetzt ist. Und ich sehe daneben die kleine Reinemachefrau, die schon so früh Witwe geworden ist, die sich mit ein paar Putzstellen mühsam über Wasser hält und sich wegen der schlechten und kurzsichtigen Gesetze, die möglicherweise der eben angesprochene Politiker mitverantwortet, nicht einmal einen Anspruch auf eine Alterssicherung erwerben kann, so daß sie später von der Fürsorge leben wird.

Und in beiden Fällen denke ich: Wie ungerecht, wie himmelschreiend ungerecht ist das doch! Und ich denke - und ich meine das ganz ernst! - wieviel mehr hätten doch diese kleinen Leute, diese wirklich hart arbeitenden Menschen, den Beifall, die Bewunderung und wenigstens einen angemessenen Teil des Einkommens der angeblich Großen und doch nur vermeintlich bedeutenden Leute verdient! Und ich meine - und hier eben wird es seelsorgerlich - die Kleinen sollen um Gottes willen nicht gering von sich selbst denken und sich in Minderwertigkeitsgefühl und Selbstzweifel verzehren! Sie sind die wichtigen Menschen! Sie sind die, ohne die es nicht weiterginge in der Welt, jedenfalls nicht was Güte, Liebe und Mitmenschlichkeit angeht. Ein Fußballer oder der einst gefeierte Trainer wird nur zu schnell abgelöst und ersetzt, wenn er nicht mehr "bringt", was von ihm erwartet wird. Ein Politiker, selbst ein Minister ist - wie wir ja sehr häufig sehen können - austauschbar. Was aber, wenn die vielen, vielen kleinen Leute ihren Platz verlassen würden, an den sie das Schicksal gestellt hat? Wer würde die Pflege tun? Wer die niedrige Arbeit, für die sich die meisten heute doch zu fein sind, die aber doch gemacht werden muß?

Jesus sagt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und von allen deinen Kräften und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Immer waren es ausgerechnet die Kleinen, die Geringen, von denen niemand spricht und deren Geschick keine Tagesschau beleuchtet, die diese beiden Gebote in besonderem Maß erfüllt haben und erfüllen. Nein!, wir sollen keine Menschen Vergötzen! Das tut ihnen nicht gut und uns anderen auch nicht. Von Gott kommt alles her, was wir sind und haben und können. Ihm allein Lob, Ehre und Anbetung! - Und das will ich auch noch sagen, und das soll wahrhaftig keine Vertröstung sein: Ich glaube, daß Gott in Jesus Christus auch gerade die kleinen Leute lieb hat und sie am Ende nicht im Stich lassen wird. Sie sind und bleiben die Kleinen am Herzen Gottes!