Predigt am 17. So. nach Trinitatis - 12.10.2003

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Textlesung: Mt. 15, 21 - 28

Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.

Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.

Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!

Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

 

Das ist der für heute vorgesehene Predigttext, liebe Gemeinde. Ich sage ihnen ganz ehrlich, ich wäre sonst nicht auf die Idee gekommen, darüber zu predigen. Ich hätte gerne einen Bogen um diese Geschichte gemacht. Der Jesus, von den wir hier hören, gefällt mir nicht. Und auch die Jünger schneiden für meinen Geschmack schlecht ab.

Gut, die Frau, die da bittet, ist eine Heidin, sie gehört nicht zum Volke Jesu... Aber ist das ein Grund, sie so zu behandeln? Wie inständig bittet sie: Erbarme dich meiner, Herr, du Sohn Davids. Was tut Jesus? Nichts. Er schweigt. Den Jüngern fällt die Frau auf die Nerven, denn sie läßt sich nicht abwimmeln: "Schicke sie weg, Jesus, ihr Gejammer regt uns auf...lange genug liegt sie uns in den Ohren!" Und Jesus schickt sie weg!: "Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt." Du bist keine Frau aus meinem Volk, du bist eine Fremde, mit dir habe ich nichts zu tun, dir will nicht helfen. Aber die Frau gibt immer noch nicht auf. Sie hat sich nun schon gedemütigt. Aber sie muß noch tiefer hinunter: "Ich kann doch nicht den Kindern das Essen wegnehmen und es den Hunden hinwerfen." Nun wird sie aufgeben! Niemand läßt sich doch wie einen Hund behandeln! Dabei bittet sie nicht einmal für sich selbst! Ihre Tochter leidet. Ihr Kind wird von Krankheit geplagt. Nicht sie - ein anderer Mensch will Hilfe.

Doch die Frau läßt nicht locker. Sie kniet schon im Staub. Jetzt soll sie sich flach auf die Erde legen. Und sie tut es. "Ja, Herr, in deinen Augen bin ich nicht besser als ein Hund. Ich weiß, ich bin für dich eine Fremde, keine Frau aus deinem Volk. Ich kann vor dir nur winseln, wie es die Straßenköter tun...aber ich will das tun, denn selbst die Hunde fressen ja von dem, was von den Tischen ihrer Herren fällt. Nur, Herr, hilf meiner Tochter!

Endlich!: "O Weib, dein Glaube ist groß, dir geschehe, wie du willst!" -

Ist das Erbarmen??? Oder ist's nicht nur die unglaubliche Hartnäckigkeit dieser Frau, die sich nicht abweisen läßt? Wie ein Hund läßt sie mit sich umgehen. Wie ein Hund duckt sie sich. Wie ein Hund liegt sie flehend an Boden.

Und da fragen wir uns jetzt: War es vielleicht diese Unterwürfigkeit, wegen der Jesus nun doch helfen will? Hat ihm das etwa geschmeichelt, daß sich diese Frau so tief demütigt? Wenn Menschen sich niedrig wie Hunde machen - wer gäbe ihnen dann nicht einen Brocken? Wirklich: Wie gut, daß die Geschichte gut ausgeht! Daß die Frau ja nun doch ihren Willen kriegt. Wir kämen sonst in Schwierigkeiten mit dem Bild, das wir vom barmherzigen Jesus haben. Aber etwas von unserer Entrüstung bleibt. Kein schönes Bild, das Jesus mit seiner ablehnenden Haltung bei uns hinterläßt.

Zunächst ist es ja durchaus verständlich, wie er sich verhält. Er ist zu den Juden gesandt und nur ihnen verpflichtet - darum fallen für ihn alle anderen sozusagen unter den Tisch. Aber die Frau nimmt die Rolle an, die Jesus ihr zuweist - sie bettelt wie ein Hund. Wahrhaftig, ihr Glaube ist groß! Jesus ist verblüfft und vielleicht aus der Fassung gebracht. Er muß ihr geben, was sie verlangt. Ihre Tochter wird gesund. Doch noch ein happy-end der Geschichte.

Aber unsere Entrüstung bleibt, auch nach dem "glücklichen" Ausgang dieser Geschichte. Befremden über Jesus? Sicher! Aber da ist noch etwas anderes, das hat mit uns zu tun: Wenn so wie bei dieser Frau ein großer Glaube aussieht, was ist dann mit unserem eigenen? Kommen wir da mit? Reichen wir da heran - oder besser - reichen wir dort hinab: Glaube, der bettelt wie ein Hund? Ist so gesehen der Glaube dieser Frau nicht mehr als bewundernswert? Erregt er nicht unser Erstaunen und...unseren Neid? Denn wie klein sieht daneben unser Glaube aus?!

Ja, bei allem Befremden über Jesus, lassen wir uns einmal von dieser Geschichte auf unseren Glauben ansprechen und auf unser Leben, auf unser ganz persönliches Leiden und auf unsere Sehnsucht nach Gesundheit, Heil und Heilung.

Wir reden vom Glauben und denken dabei zuerst an Gutes und Schönes... Wem fiele es nicht leicht, den lieben Gott zu preisen, wenn er im Glück ist, wenn alles zum Besten steht?

Wir reden vom Glauben und denken an gelungenes Leben. Wem ginge es angesichts seiner gesunden, fröhlichen Kinder nicht leicht von den Lippen: "Herr, ich danke dir!"

Wir reden vom Glauben und denken an erfüllte Zeit, wer könnte, wenn er Liebe erfährt und Zuneigung spürt am gütigen Vater im Himmel zweifeln?

Aber wo ist unser Glaube, wenn uns harte Schläge treffen?: Wenn der Tod unsere Familie zerstört, wenn unsere Ehe zerrüttet ist, wenn uns schwere Krankheit aufs Lager wirft, wenn wir einfach keinen Sinn mehr sehen, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, wenn uns ein Kummer schier erdrückt, wenn wir fragen müssen: Lohnt das alles überhaupt?, wenn wir keinen Ausweg mehr wissen, wenn wir am liebsten Schluß machen wollen...

Dann zu sagen, es gibt keinen Gott, es kann keinen geben, wenn er mich so leiden läßt, ist nur eine Möglichkeit. Man könnte es wohl auch anders machen, wenigstens versuchen... Die Frau in der Geschichte will uns Beispiel sein:

Aufmachen und zu Jesus gehen, sich nicht noch mehr in Leid und Ausweglosigkeit verrennen, sondern hingehen zu Jesus und wenn es sein muß, hinter ihm herrennen! Und wenn er "Nein" sagt? Wenn er nicht, helfen will? Dann bedränge ihn! Die Frau ist unverschämt. Sie setzt seinem "Nein" ein "Doch" entgegen. Auf sein "ich will nicht", antwortet sie: "Ich will aber!" Tu's ihr gleich! Am Ende bekommt sie, was sie will! Jesus kapituliert. - Sollte sich Gott, der diesen Jesus gesandt hat, nicht auch - wie er - irgendwann erweichen lassen? -

Luther faßt solches unverschämtes Bitten einmal in das Bild: Du mußt Gott im Gebet die Ohren reiben, bis sie heiß werden. So kann Glaube aussehen, der flehend bis an die Grenze geht. Die heidnische Frau geht bis an die Grenze und darüber hinaus - nach unserem Empfinden. Sie hält ihren Glauben fest, trotz Enttäuschung und Leid. Sie läßt ihn nicht unter den Tisch fallen, lieber geht sie selber unter den Tisch und bettelt wie ein Hund.

Aber zu uns: Warum läßt Gott unser Leid zu? Warum läßt er sich nicht erbarmen? Warum müssen wir manchmal hinunter in den Staub? Diese Fragen müssen stehen bleiben - ohne Antwort - vielleicht für lange. Das Vorbild dieser Frau aber will uns dahin führen: In allem Leid trotzig und standhaft bei Gott bleiben! Angeschlagen, verwundet, enttäuscht, aber mit der Gewißheit: Er wird helfen! Zweifel werden uns martern. Anfechtungen werden uns von Gott trennen wollen. Die Qual des Wartens wird groß und größer werden... Aber einmal werden wir hindurch sein und er wird helfen, heilen, retten. Vielleicht nicht so, wie wir es erwartet haben - aber gewiß so, wie es uns nötig ist.

Die heidnische Frau lief unverschämt hinter Jesus her und am Ende hatte sie, was sie wollte. Ihr lag am Leben ihrer Tochter, darum lag sie Jesus in den Ohren. Sie ließ nicht los. Ihr Glaube lenkte ihre Schritte. Ihr Glaube ließ sich nicht abweisen. Und in der Größe ihrer Hoffnung ertrug sie es, ganz klein gemacht zu werden - so klein und niedrig wie ein Hund. Ein Hund unter dem Tisch bekommt manchen Brocken. Ein blindes Huhn findet auch ein Korn. Und der Mensch - er sollte nicht Gottes Ohr und seine Gnade finden? Gott sollte nicht helfen?

Manchmal muß der Glaube unverschämt sein! Manchmal wird es dauern bis uns Gott erhört.

Gott helfe uns durchzuhalten - bis er hilft.