Predigt am 11. So. nach Trinitatis - 31.8.2003

[Predigten, Texte, Gedichte...] [Buch mit 365 Gedichten] [Diskussionsforum zur Kirchenreform] [Mein Klingelbeutel] [Liturgieentwurf zur akt. Predigt]

Textlesung: Lk. 18, 9 - 14

Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.

Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.

Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Liebe Gemeinde!
Diese Geschichte ist einfach nicht mehr zeitgemäß! Sie hat es nötig, daß man sie in die Welt, in der wir leben, hineinübersetzt. Wo gibt es denn bei uns die Leute, die sich "anmaßen, fromm zu sein"? Wer wäre denn der "Zöllner" unserer Tage? Welcher Mensch würde sich denn wirklich in diese Kirche stellen und so zu Gott sprechen: Ich danke dir, daß ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher... Und wer stünde denn bei uns ferne und wagte sich die Augen nicht aufzuheben und würde Gott so bitten: Sei mir Sünder gnädig?

Nein, der Pharisäer lebt und denkt heute anders. Er trägt andere Kleider und wir finden ihn nicht mehr unbedingt im "Tempel", bzw. in der Kirche. Genauso der Zöllner: Ob wir ihn in der Nähe des Altars Gottes finden? Ob der sich heute noch reuig an die Brust schlägt? Und schon der erste Satz der Geschichte stimmt wohl heute nicht mehr: Beide gingen nicht hinauf zum Gotteshaus, um zu beten. Wir würden sie wahrscheinlich ganz woanders treffen! Aber ich will hier nicht in Rätseln sprechen. Suchen und beschreiben wir einmal ein paar Pharisäer und Zöllner unserer Tage. Sie leben und verhalten sich heute zwar ganz anders, aber es gibt sie noch. Ja, vielleicht sind sie sogar viel zahlreicher als zur Zeit Jesu? Gehen sie mit mir auf die Suche und sehen sie selbst:

Der erste Pharisäer könnte uns auf dem Weg zur Kirche heute morgen begegnet sein. Vielleicht hat er uns mitleidig angelächelt, als er uns mit dem Gesangbuch in der Hand unseren Weg zum Gotteshaus gehen sah. Vielleicht hat er uns gar angesprochen? "Warst du nicht letzten Sonntag schon? Und da gehst du heute schon wieder? Du mußt es ja nötig haben!" Oder er hat sich allgemeiner geäußert: "Wozu braucht man denn das? Was bringt denn das ganze Geleier im Gottesdienst?" Oder er hat die Gelegenheit heute morgen benutzt, uns wieder einmal sein beliebtes und viel bemühtes Alibi nachzurufen: "Ja, wenn der Gottesdienst nicht so früh wäre (so spät), dann ginge ich auch hie und da! Und wenn der Pfarrer nicht so ein Stoffel wäre, aber der grüßt ja nie! Und neulich hat bei der Beerdigung jemand auf meinem Platz gesessen!"
Und der "Zöllner"? Der ist vielleicht das Opfer solchen Geredes! Auch ihn haben wir vielleicht heute morgen schon gesehen? War das die Frau, die uns still und ein wenig sehnsüchtig nachgeschaut hat, vorhin? Sie würde auch gern wieder einmal hier unter der Kanzel sitzen, hören und mitbeten und singen. Sie würde gern freiwerden von so manchem, was sie bedrückt. Aber sie schafft ihn nicht, diesen Gang zur Kirche. Wie gesagt: Das Geschwätz in ihrer Umgebung. "Gottesdienst bringt doch nichts!" - "Dazu ist die Zeit doch zu schade!" - "Da versammeln sich nur Sünder!" Vielleicht sind die, die so reden, ihre nächsten Hausgenossen? Vielleicht würde das Krach geben, wenn sie sich die Zeit nähme am Sonntagmorgen. Arbeit bliebe liegen. Wer würde kochen? Dann die Fragen: "Wohl fromm geworden, wie? Willst du da jetzt auch immer hinrennen?"

Aber auch unter der Woche können wir "Pharisäer" treffen: Unseren Kollegen oder Chef vielleicht? "So, sie waren mit auf der Familienfreizeit ihrer Kirchengemeinde? Nur gebetet, was? Und Kirchen besichtigt und so?" Und auch hier gibt's die "Zöllner": "Du warst mit der Kirche in Urlaub? Ich würde da ja auch gern mal mitmachen. Bestimmt viel gute Gemeinschaft, Gespräche und Spiel... Ich trau' mich nicht, mich da anzumelden. Wir fahren immer nach Spanien. Drei Wochen Strand: Baden, Sonnen, Baden, Sonnen... Naja, ist auch ganz schön. (Aber irgendwie langweilig!)"

Und Pharisäer erleben wir in den Talkshows des Fernsehens, wir lesen über sie in den Zeitungen und Illustrierten, wir hören von ihnen oder haben Kontakt mit ihnen in allen Kreisen der Gesellschaft.

Und überall gibt es auch die Zöllner: Die vielleicht Schweigsamen, die Belasteten und Bedrückten, die ohne oder nur mit wenig Selbstbewußtsein, die Nachdenklichen und Unsicheren, die oft nicht wissen, worauf es ankommt und wo es langgeht, die mit Skrupeln und Zweifeln, mit Ängsten und 1000 Fragen, die Armen, die Verhärmten, die Elenden...

Liebe Gemeinde, so, glaube ich, sehen sie heute aus: Die Pharisäer und die Zöllner. Sie tragen andere Kleider. Wir begegnen ihnen an anderen Orten als dem Tempel (oder der Kirche), sie sprechen anders, leben in einer ganz anderen Zeit... Aber sie haben doch viel mit den beiden Figuren der Geschichte Jesu gemeinsam: Die Pharisäer teilen mit ihnen den Hochmut. Was Gott ihnen schenken will, haben sie im Grunde nicht nötig, wie sie meinen. Sein Wort - können sie sich selbst sagen. Seinen Willen - müssen sie doch nicht tun. Seine Vergebung - gilt doch nicht ihnen! Sie sind ganz in Ordnung. Ihre Kraft - haben sie von sich selbst. Ihre Gaben - selbst erworben oder ausgebildet. Ihr Hab und Gut - sie waren halt fleißig und strebsam. Man kann ihre Lebens- und Denkungsart so zusammenfassen: "Wir machen alles selbst, was wir leisten, was wir gelten, unser Glück, unsere Zukunft, wer wir sind." Wohlgemerkt: Die Pharisäer sind nicht unbedingt gottlos! "Klar, ist da ein Herrgott im Himmel. Der hat einmal die Welt geschaffen und der schaut auch von oben runter, was die Menschen so treiben." Aber sie denken: Dieser Gott mag da oben im Himmel bleiben. Mit ihnen und ihrem Leben hat er rein gar nichts zu tun. Wie sagt der 1. Pharisäer vor bald 2000 Jahren?: "Ich faste zweimal in der Woche, ich gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme." Wofür braucht er Gott? Er kann doch seine "Rechtfertigung" selbst machen. Und der Pharisäer heute: Wozu Kirche? Wofür Beten und Hören auf die Predigt? Das ist doch alles unnützer Kram! Was ich bin und habe, bin und habe ich aus mir selbst.
Und die "Zöllner" unserer Tage? Was haben sie gemein mit denen zur Zeit Jesu? - Das ist die Demut, vielleicht auch manchmal die Selbstzweifel und die Geringschätzung der eigenen Person. "Wer bin ich schon? Was stelle ich schon dar in der Welt? Was habe ich schon für einen Wert?" Sie messen sich halt an den Pharisäern. Die haben es viel weiter gebracht. Die stehen so da im Leben. Die kennen keine Minderwertigkeitsgefühle, keine Skrupel, keine Schuld... Wie sie denken, kann man vielleicht kurz so ausdrücken: "Ich bin nichts, ich kann nichts, ich habe keinen Wert."

Auch die Zöllner stehen vor Gott und sie wissen das. Nur trauen sie sich auch heute kaum zu ihm aufzublicken. Sie spüren genau, sie sind nicht recht so, wie sie sind. Aber können sie nun Gottes Verzeihen in Anspruch nehmen? Sollen sie wirklich sagen: Für mich ist Christus ans Kreuz gegangen, jetzt kann ich wieder frei atmen? Sollen sie des großen Gottes großes Tun wirklich auf sich beziehen, auf so kleine, unbedeutende Wesen?

Und selbstverständlich haben Pharisäer und Zöllner - heute wie damals - auch miteinander zu tun. Man sieht auch nacheinander! Der Pharisäer bezieht auch heute noch seine hochmütige Selbstachtung von daher, daß der Zöllner sich so bückt, so krumm - und klein macht. So kann er denken und sprechen: Gott sei Dank, daß ich nicht so bin wie dieser...so ein armseliger Wicht!

Und der Zöllner holt sich gewiß ein gutes Teil seiner mangelnden Selbstachtung vom verstohlenen Blick auf den Pharisäer: Das ist ein Kerl! Der weiß, wie man im Leben zu etwas kommt. Der macht seinen Weg. Ich dagegen...
Liebe Gemeinde, ich möchte nun nicht nur schwarz-weiß malen, wie es Jesu Geschichte eigentlich tut. Ich möchte heute nicht so enden: "Dieser (der Zöllner) ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener (nämlich der Pharisäer)." Jesus ist eindeutig parteiisch! Er stand und steht auf der Seite der Zöllner. Er hat hier allerdings auch nur mit den Pharisäern geredet. Ihnen erzählt er diese Geschichte.

Ich würde gern beiden Seiten etwas sagen. Hier sind meine Wünsche für diese und jene:

Den Pharisäern unserer Tage wünsche ich, daß sie von ihrem Hochmut herunterkommen, daß sie herabsteigen von ihrem hohen Roß. Nichts von ihren Gaben, ihrem Gut oder ihrem Können haben sie von sich selbst. Nichts! Es ist nur Einbildung, daß sie in Ordnung oder schuldlos vor Gott dastehen. Gerade dieses Dünken ist ja die größte Schuld vor dem, der sie gemacht und beschenkt hat und ihr Leben noch täglich erhält. Ich wünsche ihnen, daß sie von diesem Dünken ablassen können, ehe ihnen schwere Zeit die eigenen Grenzen zeigt oder Krankheit und Alter sie lehrt, daß sie selbst gar nichts vermögen.

Den Zöllnern unserer Zeit wünsche ich den freien Aufblick zu Gott. Gerade für sie ist Jesus Christus in die Welt gekommen - als einer der ihren! Und für sie ist er ans Kreuz gegangen. Und von daher wünsche ich ihnen eine neue Selbstachtung: Ihr seid Gott unendlich lieb und wertvoll! Habt nun auch den Mut, wie Gottes geliebte Menschen zu leben und aufrecht zu gehen.