Predigt am 10. So. nach Trinitatis - 24.8.2003

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Textlesung: Lk. 19, 41 - 48

Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt und weinte über sie und sprach: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen.

Denn es wird eine Zeit über dich kommen, da werden deine Feinde um dich einen Wall aufwerfen, dich belagern und von allen Seiten bedrängen, und werden dich dem Erdboden gleichmachen samt deinen Kindern in dir und keinen Stein auf dem andern lassen in dir, weil du die Zeit nicht erkannt hast, in der du heimgesucht worden bist.

Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein Haus soll ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht.

Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, daß sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie es machen sollten; denn das ganze Volk hing ihm an und hörte ihn.

Liebe Gemeinde!
Es hat dieses Mal ein bißchen gedauert, bis ich in diesen Versen den Kern gefunden hatte, das, worüber ich predigen kann und das, an dem wir etwas lernen und von dem wir einen guten Gedanken mit nach Hause nehmen können: Der Friede ist es und das, was ihm dient, aber auch das, was ihm nicht dient. Aber eins nach dem anderen:

Jesus weint über die Hauptstadt Jerusalem. Er sieht voraus, was bald schon (im Jahr 70 n.Chr., also rund 40 Jahre später) über Israel und die Zionstadt kommen wird: Kein Stein soll auf dem anderen bleiben, der Tempel wird von römischen Truppen geschändet und zerstört und - das wissen wir heute - nie mehr aufgebaut werden. Noch aber, in den Tagen, da Jesus über Jerusalem weint, hätte es abgewendet werden können. So sagt Jesus: Wenn doch auch du erkenntest zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Doch leider, auch das sieht er schon kommen: Aber nun ist's vor deinen Augen verborgen. - Was wäre es denn gewesen, was zum Frieden hätte dienen können?

Uns fallen da sicher Dinge ein wie: Mehr vom Wort Gottes leben, mehr nach seinem Willen fragen, den (Sonntag) Sabbat angemessen feiern, Glauben an Gott haben, die Gebote halten, die Vorschriften des biblischen Gesetzes besser befolgen... Aber ob das wohl hätte verhindern können, daß Gott den Römern die Hauptstadt der Juden preisgibt und damit sein Volk für immer heimatlos macht und in alle Welt zerstreut, fern von Israel und für immer ohne die religiöse Mitte ihres Tempels? - Ich weiß es nicht.

Was ich aber weiß, ist dies: Die Juden, das Volk des Bundes war damals durchaus nicht gottlos, nicht ohne ehrliches und eifriges Bemühen um Gottes Willen, um Erkenntnis seines Gesetzes, nicht ohne das Hören auf die Gebote und oft lebenslanges Streben nach Gerechtigkeit und danach, Gott zu gefallen.

Warum also kommt dann diese furchtbare Strafe: Der Tempel in Trümmern, das heilige Land entweiht, das Volk Gottes verweht wie die Spreu im Wind? Warum?

Jesus selbst gibt uns ein Zeichen, das uns vielleicht auf die richtige Spur bringt: Und er ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben und sprach zu ihnen: »Mein Haus soll ein Bethaus sein«; ihr aber habt es zur Räuberhöhle gemacht.

Im Tempel ist kein Platz für Geschäfte, zu handeln, zu opfern, um dafür Vergebung zu erlangen, zu kaufen und zu verkaufen. Im Tempel Gottes ist etwas anderes gefragt: Demut, Gebet, Bitten und Beschenkt-Werden, Empfangen, und vor allem Danken und Loben aus freiem Herzen... Vielleicht ist "Räuberhöhle" ja doch übertrieben, der Tempel aber war allemal so etwas wie ein Kaufhaus, vielleicht auch eine Tierhandlung. Von Räucherwerk bis zu Tauben, Schafen und Ziegen war dort alles zu haben. Ja, innerhalb des Tempelbezirks galt sogar eine eigene Währung, darum gab es Wechsler, die gegen Entgelt die Münzen, die draußen galten in die innere Währung umtauschten. Nein, diese Leute, diese Geschäftemacher, dieses Treiben mit oft sicher lauten Zurufen und dem Lärm aus den Taubenschlägen und Tierpferchen gehörten nicht ins Haus Gottes. Hinaus mit euch, sagt Jesus und nimmt sogar ganz unfriedlich eine Geisel in die Hand, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Und ob Jesus damit nicht auch die zahllosen religiösen Übungen der frommen Juden verurteilen und geiseln wollte, die doch oft nur das eine Ziel hatten: Gott Taten und Verdienste vorweisen zu können, die er dann belohnen soll, ja, belohnen muß, ist er doch der Gerechte? - So ist der Friede bei Gott und in seinem Haus nicht zu haben!

Aber bevor wir uns allzu sehr in eine Zeit begeben, die wir nicht so gut kennen und in Verhältnisse und eine Religion, die wir nicht durchdringen und schon gar nicht ganz verstehen - schauen wir auf uns: Ich glaube, das alles ist uns nicht gar so fern!

Wir kennen sie doch alle, die Gedanken um die Wirkung unserer guten Taten: Das wird Gott doch gewiß gefallen, wenn ich heute wieder einmal in die Kirche gehe, wenn ich meine alte Mutter besuche, dem Nachbarn helfe, die Spende für das Waisenheim mache... Sind da ganz hinten in unserem Kopf, dort, wo wir glauben, es schaue uns wirklich keiner hinein, sind da nicht diese kleinen Zettel mit den zwei Spalten? Auf der einen Seite steht vielleicht geschrieben: Habe dies und das getan... Und auf der anderen: Wünsche, erwarte mir dafür von Gott...

Zugegeben: Das klingt ein bißchen platt und wir mögen uns da auch nicht wieder erkennen. Aber ich denke, keine und keiner von uns ist frei von solcher Berechnung. Und wenn es umgekehrt wäre:

Ich habe doch wirklich versucht, so zu leben, wie Gott es will, so zu denken und zu reden, wie es Christen zukommt - und jetzt dieses Unglück! Warum schickt Gott mir dieses Leid? Warum muß ich so krank sein? Wofür diese...Strafe? Ja, und da genau ist er, der Kern dieses Dünkens und Denkens: Mein gutes Tun zieht Belohnung nach sich. Wenn ich aber Böses vollbringe, dann wird mich Gott bestrafen. Hier ist die Brücke von den Händlern damals im Jerusalemer Tempel zu uns heute hier in dieser Kirche und in unserem Leben - in Alltag und Arbeit, am Sonntag und in der Freizeit. Immer wieder verbinden wir unser Verhältnis zu unserem Gott mit Gedanken um Lohn und Vergeltung. Das aber, so können wir es bei Jesus lernen, dient nicht dem Frieden! So sind wir nicht Gottes Kinder, der doch unser Vater ist. So verhalten wir uns wie Knechte und Mägde, wie Sklaven, die tun, was sie tun, nur um damit etwas zu erfüllen, zu erreichen, zu bezwecken oder damit zu gefallen...

Aber was dient dem Frieden? Mein Haus soll ein Bethaus sein. Daran hat Jesus damals erinnert. Ihr sollt hier im Tempel vor Gott wie seine Kinder treten, in der Gewißheit, daß er euch beschenken, eurem Flehen zuvor kommen will und euren Bitten um Geringes, reiche Fülle geben wird. Noch ehe ihr ruft, hört Gott. Noch ehe ihr den Mund öffnet, weiß der Vater, was ihr braucht.

Und in unseren Tagen ist es nicht anders, denn es ist der selbe Gott damals wie heute: Ihr beeindruckt ihn nicht mit euren frommen Übungen. Er läßt mit sich keine Geschäfte machen; euer Opfer an Zeit oder Geld beeindruckt ihn nicht und nimmt ihn nicht ein für euch. Ein für alle Mal: Er hat euch mit allen guten Gaben beschenkt, die ihr genießen dürft. Von ihm ist alles, was ihr seid, was ihr könnt und besitzt. Auch die Menschen, die um euch sind und euch schätzen und lieben, hat er euch zur Seite gestellt. Nichts ist aus euch selbst. Niemand kann sagen: Das ist aber meine Leistung, mein Werk, mein Verdienst. So kann es eigentlich nur eine Haltung geben, mit der wir zu Gott kommen: Dankbarkeit. Und aus ehrlicher Dankbarkeit für alles, was wir schon empfangen haben, wird, wenn wir sie zu Gott bringen, Vertrauen entstehen. Aus Vertrauen aber können wir gelassen und fröhlich leben. Aller Krampf fällt ab von uns. Wir wissen: Wir können Gott nichts anbieten im Tausch für seine Güte. Was wir ihm geben wollen, stammt schon von ihm. Wir haben nichts vorzuweisen, unsere Hände sind leer. Alles, was wir Gott hinhalten, daß er uns dafür belohne, hat er uns zuerst schon geschenkt. Mein Haus soll ein Bethaus sein. Keine Räuberhöhle, kein Ort für Geschäfte, kein Kaufhaus. - So werden wir Frieden finden.

Und er lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Angesehensten des Volkes trachteten danach, daß sie ihn umbrächten... Nicht allen gefällt es, daß sie Gott nichts aus sich selbst zu bieten haben. So aber ist es. Das zu erkennen und zu bejahen ist nicht nur der einzige Weg zum inneren Frieden, es ist auch die einzige Haltung, die zum wahren Leben führt.