Predigt am 7. So. nach Trinitatis - 3.8.2003

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Textlesung: Jh. 6, 1 - 15

Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, daß viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wußte wohl, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, daß jeder ein wenig bekomme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele?

Jesus aber sprach: Laßt die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten. Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrigblieben, die gespeist worden waren. Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Als Jesus nun merkte, daß sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.

Liebe Gemeinde!

Zum wievielten Mal ist mir diese Geschichte wohl begegnet? Zum zwanzigsten, fünfzigsten, hundertstenmal? Ich weiß es nicht. Was ich aber weiß, ist dies: Noch nie hatte ich ein Problem mit dem Wunder, das hier erzählt wird, daß ich das vielleicht nicht glauben könnte: Fünf Gerstenbrote und zwei Fische...und alle werden satt. Ja, warum denn nicht!? Überhaupt verstehe ich das nicht, wie Menschen immer und immer wieder fragen können: Ob dieser Jesus denn wirklich aus Wasser Wein gemacht hat. Und ob er den Kranken die Gesundheit wiedergeschenkt und gar Toten das Leben zurückgegeben hat. Auch da sage ich: Warum denn nicht! Und ich frage nicht so keck, weil ich so fromm wäre oder so stark im Glauben. Ich denke vielmehr: Wir sollen gar nicht die Wunder von damals bestaunen und beklatschen, so nach der Weise: Was hat dieser Jesus doch vorzeiten so große Dinge getan. Überhaupt sollen wir nicht den Kopf nach rückwärts drehen und die Augen und Ohren in die Vergangenheit richten. Wir sollen nicht mehr und nicht weniger tun als das: Schauen und staunen, was Jesus heute tut. Hinsehen, wo der lebendige Christus in unseren Tagen an den Menschen Wunder vollbringt. Und ich bin ganz sicher, daß Sie alle - von daher betrachtet - dann auch keine Probleme mehr mit Jesu Zeichen damals haben. Aber ich will ein bißchen deutlicher machen, was ich meine:

Klar ist ja schon einmal, daß es in unserem Christenglauben überhaupt um das Heute geht. Wir feiern heute Gottesdienst - und der ist kein Totengedenken, sondern die Feier mit einem lebendigen Herrn! Jesus lebt ja seit seiner Auferstehung! Und er ist jetzt bei uns und er handelt in unserer Zeit an den Menschen - und an uns auch. Wir beten zu ihm. Wir singen ihm Lieder und hören sein Wort - für uns, für heute. Wir gehen beim Abendmahl an seinen Tisch, an dem er unsichtbar der Gastgeber ist. Wie gesagt, das ist klar. Also muß es auch bei den Wundern, die Jesus tut, nicht um das Bestaunen seiner Taten damals gehen, sondern um seine Zeichen an uns heute: Die Wandlung von Wasser zu Wein, die Heilung von Kranken, das Lebendigmachen von Toten, die Sättigung von vielen...

Spätestens jetzt werden Sie schon fragen: Aber tut Jesus das denn wirklich noch in unseren Tagen? Hat das nicht aufgehört...nachdem er zum Himmel aufgefahren ist...spätestens als die Jünger damals gestorben waren...im Laufe der Jahrhunderte...mindestens aber in dieser Zeit, die wir doch oft als sehr gottlos beklagen und von allen guten Geistern verlassen empfinden?

Was ich jetzt sage, wird sie erstaunen - aber sie wissen das ja von mir sowieso: Ich klage auch oft mit solchen Worten und ich empfinde das genau wie sie: Gott wird heute wenig sichtbar. Und die Wundertaten in unserer Zeit sind eher selten! Aber - trotzdem ich jetzt vielleicht zum fünfzigsten oder hundertstenmal diese Speisungsgeschichte gelesen habe - es ist mir neu aufgegangen, woran das wohl liegt; solche Worte bringen uns auf die Spur: Es zog ihm viel Volk nach, heißt es hier und dann: Sie wollten ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen.

Ja, ich glaube fest, wenn wir ihm nachziehen, wenn wir zu ihm hingehen, dann empfangen wir auch Zeichen und Wunder! Und auch das andere muß stimmen: Daß er unser König ist! Daß wir seine Herrschaft über uns anerkennen. Prüfen wir uns jetzt einmal vor diesen Gedanken!

Was tun wir, z.B. wenn wir uns fürchten? - Wir flüchten uns in die Arbeit und die Hetze. Vielleicht in den Alkohol? Oder vor den Fernseher, daß uns die Angst nicht mehr zu Bewußtsein kommt? Wer geht dann zu Jesus in die Stille, in das Gebet, wer hört dann hin und hat die Geduld zu warten, bis Jesus antwortet, sein "Fürchte dich nicht" sagt und uns den Frieden ins Herz gibt.

Und was tun wir, wenn wir krank sind? - Wir gehen zum Arzt. Dagegen ist auch nichts zu sagen. Aber warum kommen wir dann nicht zuerst zu Jesus, der doch von sich sagt: Ich bin dein Arzt. Warum breiten wir nicht unsere Sorgen vor ihm aus, unsere Befürchtungen, unsere Bitten um Genesung und unbehindertes Leben. Gewiß, manchmal tun wir's auch - dann muß es uns aber schon sehr schlimm gehen, nicht wahr? Warum sprechen wir nicht zuallererst mit Jesus über unsere Leiden und fragen ihn, ob er sie nicht wegnehmen kann und fragen ihn auch, warum er sie uns vielleicht tragen läßt. Ja - auch darin kann sehr viel Hilfe liegen, wenn wir begreifen, warum er uns dieses oder jenes Leid, diese oder jene Krankheit auferlegt oder doch nicht von uns nimmt. Wir wissen doch, daß für uns viel mehr auf dem Spiel steht als die Gesundheit dieses Lebens - denken wir auch an das Heil des ewigen Lebens, das Gott uns schenken will! Das ist ja tausendmal wichtiger! - Aber vielleicht will er uns ja auch heilen - nur wir müssen schon einmal zu ihm hingehen und ihm etwas zutrauen!

Und wohin wenden wir uns, wenn wir hungrig sind? (Ich meine hier nicht den leiblichen Hunger; der ist auch in der heutigen Wundergeschichte nicht gemeint!) Was soll uns satt machen, zufrieden, erfüllt von Sinn und Freude? Da fällt uns, wenn wir ehrlich sind, meist nur etwas ein, was wir uns kaufen können, was für Geld oder Wertsachen zu haben ist, was man dann anfassen und vorzeigen kann. Auf der anderen Seite aber führen wir solche Sprüche im Mund: Geld allein macht nicht glücklich. Oder: Lieber arm und zufrieden als reich und habgierig. Und diese Worte sind ja auch wahr - bloß wir beherzigen sie nicht. Wir wollen satt werden durch unsere Güter. Wir meinen, wenn wir dies und das noch haben, dann reicht es - tut's dann aber nicht. Und wir möchten dieses und jenes werden im Leben - und wenn wir's sind, dann jagen wir den nächsten Zielen nach. Satt aber sind wir nie. Glücklich wird keiner durch Sachen. - Warum gehen wir nicht zu Jesus, fragen ihn nach seiner Aufgabe für uns, freuen uns daran, was er uns zutraut, tun, worin wirklich Sinn liegt, helfen den Mitmenschen, werden anderen zum Brot, zum Freund, zum Halt, zum Trost... So würden wir teilen, wie Jesus es damals getan hat. Wir würden satt. Andere würden satt. Und wir könnten noch körbeweise Brocken aufsammeln.

Sie haben jetzt gewiß darauf gewartet, daß ich auch noch das größte der Wunder Jesu anspreche und vielleicht gedacht, dafür gäbe es heute aber keine Beispiele: Nämlich das Wunder, daß Menschen durch Jesus ins Leben zurückkehren. Doch! Auch dafür gibt's Beispiele - wenn wir zu Jesus gehen. Der kann und will Leben schenken, richtiges Leben. Wenn unser Leib gestorben ist, dann ist uns ein ewiges Leben verheißen. Das sollen wir nach dem Tod sehen. Ich denke jetzt daran, wie viele Menschen schon heute in anderer Weise tot sind: Sie sind starr, können oder wollen nichts mehr mit ihrem Leben beginnen, trauen sich nichts zu und warten im Grunde nur darauf, daß auch der Leib sich zur Ruhe begeben kann, wie es ihre Seele schon vor vielen Jahren getan hat. Ich wünschte diesen Menschen von Herzen, daß sie die Aufträge entdecken, die Jesus für sie hat: Jede Stunde mit Liebe zu füllen bis zum Rand, anderen Mut machen, ein Fürsprecher sein für Leute, die sich selbst nicht helfen können, Ideen umsetzen und Freude bereiten und - mit einem Wort - etwas aus dem Leben machen, das uns geschenkt ist.

Ja, selbst dieses Wunder geschieht, kann geschehen: Tote werden lebendig, Starre werden beweglich und stehen auf zu einem neuen bunten Leben, Menschen, die nichts mehr von der Welt und der Zeit erwartet haben, freuen sich über jeden neuen Morgen, den sie sehen dürfen. Ja, das gibt es. Heute!

Aber hingehen müssen wir zu ihm, Jesus, dem Herrn, der alle Wunder tun kann und will. Das aber tun die Menschen dieser Zeit nicht mehr. Sie suchen woanders ihr Glück und das Leben. Und sie wollen bei anderen satt werden und hoffen, daß die Sachen, die sie sich kaufen können, sie zufrieden machen. Dort aber wird der Hunger bleiben. Der Durst nach dem wahren Leben wird wachsen. Bis zu dem Tag, an dem wir uns einreihen in die Schar derer, die heute wie damals bei Jesus das Glück sucht, die Zeichen und die wunderbaren Taten. Bei ihm werden wir finden.

Nein, ich zweifle nicht an dieser Speisung von 5000 Menschen mit so wenig Brot und Fischen. Keiner, der in dieser Zeit mit seinen Sorgen, seinen Ängsten, seinen Nöten, seinem Leid und selbst seinen gestorbenen Hoffnungen und erstarrten Träumen zu Jesus kommt, keiner wird an den Wundern dieses Herrn zweifeln. Wir werden sie vielmehr selbst erfahren und empfangen: Wir werden heil bei ihm - und das selbst wo wir vielleicht krank sind und bleiben! -, wir verlieren die Angst, bekommen Hoffnung trotz aller trüben Aussichten, werden satt am wahren Leben; und er macht uns das schale Wasser unseres vielleicht langweilig und stumpf gewordenen Lebens zum Wein der Freude über neue Anfänge und neue Aufgaben, über lebendige Beziehungen zu Gott und den Menschen. - Wann gehen wir zu ihm, daß er uns seine Wunder tun kann?