Predigt zum Sonntag "Rogate" - 25.5.2003

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Textlesung: Jh. 16,23b-28 (29-32) 33

An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben.

Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.

Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, daß ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, daß ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.

Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern. Nun wissen wir, daß du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, daß dich jemand fragt. Darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist.

Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr? Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, daß ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein laßt. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

 

Liebe Gemeinde!

Für die Kirche und die Christen ist das heute der Sonntag "Rogate"; dieser Name heißt auf Deutsch: "Betet!" Über das Gebet sollen wir heute also reden und nachdenken. Genau wie Jesus hier mit seinen Jüngern über das Beten spricht und nachdenkt. Aber gerade vor diesem Hintergrund, daß Jesus sich hier ausschließlich mit Männern über das Gebet austauscht, ist mir etwas eingefallen: Wie ist das Beten eigentlich auf uns gekommen - bald 2000 Jahre später? Wer hat uns das eigentlich gelehrt, zu beten? War das nicht - in den meisten Fällen - kein Mann, sondern eine Frau, nämlich unsere Mutter? Und die Mütter, die heute hier sind, will ich fragen: Waren sie's denn dann nicht wieder, die es ihren Kindern weitergegeben haben? Seit Generationen ist das so, vielleicht von Anfang der Christenheit an, eine lange, lange Kette des Lernens und Lehrens, die auch in der Zukunft - hoffentlich - nie abreißt.

Sicher, in dieser Reihe mag auch der eine oder andere Mann und mancher Vater eine Rolle spielen. Das ehrt sie, diese Männer. Aber haben wir unsere früheste Erfahrung mit dem Gebet nicht doch meist bei der Mutter gemacht? - So soll das heute unser erster Gedanke sein, den wir festhalten wollen: Auch wenn hier Jesus mit seinen Jüngern, also Männer im Gespräch über das Beten unter sich sind - die größeren Verdienste um das Gebet und daß es gelernt, geübt und weitergegeben wurde und wird über die Jahrhunderte hinweg, haben sicher die Frauen! Wir wollen dankbar dafür sein und selbst - auch wo wir Männer sind - diese Kette des Betenlernens und des Betenlehrens nie abreißen lassen!

Wir wollen jetzt dem Vorrecht von uns Christen, dem Beten und Bitten, so wie Kinder es ihrem irdischen Vater gegenüber tun, noch ein wenig nachdenken. "An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten. Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten werde; denn er selbst, der Vater liebt euch, weil ihr mich geliebt und geglaubt habt, daß ich von Gott ausgegangen bin." - Ich weiß, dieser eine Satz war schon schwer genug zu verstehen! Er ist so verzwickt formuliert. Heißen soll er wohl nichts anderes als: Menschen, die an Jesus Christus glauben, haben keinen Fürsprecher mehr nötig, keinen der für sie bittet... Sie können wie Kinder mit ihrem Vater sprechen, ohne Vermittler, eben so direkt, wie wir mit unserem irdischen Vater reden. So hört sich das jetzt ganz einfach an - ist es aber nicht! Einfach jedenfalls nicht im Sinn von "unbedeutend". Ich kann mir eigentlich nichts wichtigeres vorstellen, als daß wir einen Gott haben, den wir immer, jederzeit, überall, mit allen Freuden und Nöten ansprechen können - wie einen "Vater", der mit uns im selben Haus wohnt. Daß wir das können, dahinter steht Jesus Christus mit seinem Leben und Sterben für uns! Ganz kurz gesagt: Weil er unser Bruder geworden ist und wir im Glauben an ihn seine Geschwister, darum haben wir jetzt einen Vater im Himmel, der uns liebt, hört und hilft. - Aber ich spüre das jetzt ganz stark: Viel blutleere Theologie steht dahinter. Da muß jetzt noch "Fleisch" dran, daß man's auch begreifen kann:

Diese Gedanken bedeuten: Wenn ich am Morgen vor dem Alltag meine Hände falte, dann darf ich sicher sein, ich habe ein Gegenüber, dem ich meine Bitten anvertraue und dem ich meinen Dank sage. Immer wenn ich vielleicht über meinem täglichen Essen Gott lobe, mich an den Erlebnissen, die schön sind, freue und über die bösen Erfahrungen klage - dann hört mich einer! Und wenn ich alles aufgeben müßte, was mir in der Heimat lieb und wert ist, mein Haus, meine Verwandtschaft, mein Hab und Gut. Wenn ich alles verlassen und weggehen müßte und weiß nicht, wo ich ankomme - einer geht immer mit mir, ja, er ist immer schon da, wo ich auch hinkomme. Ich darf ihn rufen und er hört meine Stimme. -

Nun muß man aber auch das sagen: Er ist wohl immer um uns, ob wir's s wissen oder nicht, ob wir es glauben oder nicht und ob wir beten oder nicht - aber er will haben, daß wir ihn rufen! Er will gebeten sein! Väter - auch die irdischen! - sind da eigen. Mütter auch. Es ist ein Unterschied, ob ich nur denke, ich habe einen Vater, oder ob ich ihn anspreche! Es ist nicht dasselbe , ob ich der Mutter - nur - dankbar bin, oder ob ich das einmal sage und sie mit einer kleinen Gabe erfreue und ehre. Wir sollen beten! Der Vater will es so.

Nun wird mancher bei sich denken und einwenden wollen: Wie oft habe ich schon um dieses oder jenes gebetet, erhört wurde ich nicht! - Nein, ich will jetzt nicht sagen, das wäre falsch gebetet gewesen, wenn uns nicht erfüllt wurde, was wir wollten. Nein, wir haben nicht sozusagen die verkehrten Worte gewählt oder auf unangemessene Weise zum Vater gesprochen. Vielmehr ist das ja gerade die frohe Botschaft für diesen Sonntag: Wir haben direkten Zugang zum Vater. Es bedarf keiner Vermittler, die's vielleicht besser sagen können, geschickter formulieren oder die gar Gott irgendwie gefälliger wären. Nein, ich darf sprechen, wie ich fühle, wie ich's kann, wie mir zumute ist, wie ich's halt herausbringe - und: der Vater hört mich! Und ich werde Antwort empfangen!

Aber: - und das ist jetzt kein Rückzieher - ich werde das empfangen, was der Vater mir geben will, was er für mich für richtig hält. Ich weiß von einigen Gelegenheiten in meinem Leben, da wünschte ich mir sehnlich etwas ganz anderes, als dann geschehen ist. Ich wußte genau: Dies oder das möchtest du haben, so soll es kommen - und ich habe auch darum gebetet! (So wollte ich einmal einen ganz anderen Beruf!) Heute kann ich nur sagen: Ich danke Gott, wie es dann gekommen ist. Und wo ich heute noch nicht begreife, und wenn ich heute auch noch nicht für alles danken kann, ich weiß doch ganz sicher: Es wird gut ausgehen, gut für mich und im Sinne des Plans, den der Vater mit mir hat. - Haben sie ähnliches nicht auch erlebt? - Müßten wir von daher nicht eigentlich hinter jeder unserer Bitten und am Ende aller unserer Gebete sagen: Vater, dein Wille geschehe!?

Nun könnte man in Gedanken hinein geraten, daß man spricht: Wenn nun doch in allem der Wille Gottes geschieht und auch am besten geschehen sollte - wofür dann überhaupt noch bitten? - Nun, abgesehen davon, daß sich der "Vater" auch über Dank freut... Es ist auch zweierlei, einen Wunsch, eine Bitte nur im Herzen zu haben und zu hegen - und sie vor dem Vater auszubreiten! Oft schon haben Beter bereits während sie beteten gespürt, du verlangst da etwas von deinem Gott, das er dir als "Vater" nicht geben kann. Und schließlich: Wie wichtig mag das sein, gerade wenn wir unseren irdischen Eltern entwachsen sind, daß wir für das ganze Leben einen Vater haben, ein Gegenüber, einen, der hört, der uns liebt und uns hilft - auf seine immer "väterliche" Weise?!

Hier bin ich jetzt zurück bei denen, die uns die wunderbare Gabe des Betens meist weiter gegeben haben: Liebe Mütter - und auch alle anderen, die beten und andere das Beten lehren - wie wichtig mag das sein, daß auch in unserer Zeit die jungen Leute bei uns das "Gebet" lernen. Gewiß auch das Bitten, das Loben und das Danken, aber auch - und heute sage ich: vielmehr - das feste Wissen eifriger und beharrlicher Beter: Ich werde gehört, was auch immer ich sage, wie auch immer ich es ausdrücke, wo auch immer ich bin. Ein so gemeintes Beten, ein solches unbefangenes Sprechen zum Vater im Himmel, kann einen Menschen durch das Leben tragen, selbst durch ein Leben, das nicht leicht ist und in dem vieles zerbricht.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.