Predigt zum So. "Misericordias Domini" - 4.5.2003

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Textlesung: Jh. 10, 11 - 16 (27 - 30)

Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.

Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.

Liebe Gemeinde,

auf den ersten Blick sind das wunderbare Worte und Bilder: Ein guter Hirte, der sein Leben für die Schafe läßt...sie werden nimmermehr umkommen...hören die Stimme des Hirten...eine Herde, ein Hirt... Aber nur auf den ersten Blick! Da ist auch vom Wolf die Rede, der die Schafe zerstreut...vom schlechten Hirten, der nur ein Mietling ist und die Tiere im Stich läßt... Aber wovon wird überhaupt gesprochen in diesen Versen und ihren Bildern?

Wer der "gute Hirte" ist, das wissen wir: Jesus Christus, der sein Leben gab für die Schafe, für uns.

Und der schlechte Hirte, wer ist das? - Da zögere ich. Weil das ja nicht so harmlos ist, jetzt hier Namen zu nennen und damit Menschen auch das zuzuschreiben, von dem hier die Rede ist: Daß sie nur Mietlinge sind, also Leute, die nur dafür bezahlt werden, daß sie sich kümmern und die "Schafe" versorgen, nicht aber mit ihren Herzen dabei sind. Daß sie sich wohl auch bei der ersten Gelegenheit davon machen, wenn es brenzlig wird für sie, daß sie zuerst an sich selber denken und daran, was ihnen das bringt, Hirte zu sein, nicht aber was das für sie für eine Aufgabe bedeutet und vielleicht sogar Mühe, Ärger und Gefahren... Ich wüßte wohl einige solcher Mietlinge und könnte sie beim Namen nennen...

Aber ich will es heute so halten, wie immer: Ich will das in diesen Bibelversen suchen und herausstellen, was uns allen etwas zu sagen hat. Und dabei werden wir schnell fündig: Sind wir nicht auch als Christinnen und Christen für einander da, für einander verantwortlich und eben auch als Hirtinnen und Hirten? Was ist das denn z.B. für ein Auftrag an die Eltern und Paten der KonfirmandInnen, die in diesen Wochen überall zur Konfirmation gehen, wenn nicht der, die jungen Leute wie ein Hirt zu begleiten, zu führen, ihnen die Wege zum "frischen Wasser und zur rechten Weide" zu weisen? Gewiß, das ist alles heute stark in den Hintergrund getreten. Die großen Geschenke, die wir bei der Konfirmation machen, das viele Geld, das da für die Jungen und Mädchen zusammenkommt, das lenkt nicht nur vom eigentlichen Sinn der Sache ab, das hat sich oft genug in den Köpfen der jungen Leute und auch der sie begleitenden Erwachsenen zur Hauptsache gemausert. Aber dennoch: Wir haben uns mindestens die Ahnung dafür bewahrt, daß es doch um etwas anderes geht in der Konfirmandenzeit, als daß wir die Jugendlichen zum Aushalten ermuntern, daß sie die Monate des Unterrichts halt über sich ergehen lassen, weil am Ende ja dann ein guter Gewinn herausschaut... Es gibt auch hier Eltern, die ihre Kinder wirklich begleiten, es gibt auch Paten, die Gespräche über religiöse Fragen mit den Jungen und Mädchen führen und ihnen so dazu helfen, die Konfirmandenzeit auch als wichtig, wesentlich und bereichernd zu erleben und vielleicht sogar dazu, daß sie in dieser Zeit auf die Konfirmation hin zum Glauben an Jesus Christus finden. Es gibt hier also auch "gute Hirten" - leider aber auch viele Mietlinge.

Aber wir wollen auch über uns als Eheleute sprechen, als Partner und Partnerinnen in Beziehungen der Liebe und der Freundschaft. Da sind wir auch füreinander da und verantwortlich! Und es hat doch auch immer mit dem Freund, dem Partner oder der Partnerin zu tun, was ich in religiösen Dingen denke und glaube, ob ich Jesus Christus kenne und in meinem Leben eine Beziehung zu Gott habe! Wenn es also heißt: "Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker...", dann werde ich doch nicht sagen: In die Welt will ich ja gehen, aber dem Menschen, der mit mir in freundschaftlicher Verbindung steht, vielleicht gar Wohnung, Tisch und Bett teilt, will ich nichts von meinem Inneren preisgeben und schon gar nicht dafür werben. Wäre das nicht sehr seltsam und fragwürdig? - Aber es gibt Gott sei Dank auch hier "gute Hirten". Und oft genug sind die Partner, die da mit einander leben, beide solche Hirten. Da muß es doch kein Belehren geben, kein Recht haben und kein Unterliegen. Das kann und soll ein gegenseitiges Erzählen sein: "Du, ich glaube an Gott auf diese Weise." - "Mir ist an meinem Herrn Jesus Christus das am wichtigsten." Und auch dafür ist Platz in einer Beziehung, die auch in religiösen Fragen Gemeinschaft hält: "Mir fällt es schwer, an die Auferstehung zu glauben." - "Ich habe immer wieder Probleme damit, das harte Geschick mancher Menschen in der Nähe oder der Ferne mit der Güte Gottes zu reimen!" "Gute Hirten" können das mit und an einander ertragen und stehen lassen. - Aber auch hier gibt es bloße Mietlinge, die im Grunde uninteressiert sind, etwas aus der Tiefe des Herzens ihres Partners oder ihrer Freundin zu erfahren.

Schließlich sehe ich noch uns alle, die wir doch Christinnen und Christen heißen und Nachfolgerinnen und Nachfolger unseres Herrn sein sollen und doch gewiß auch sein wollen: Dann aber müssen wir auch das Hirtenamt für einander annehmen, denn es ist ganz gewiß eines der wichtigsten in der Nachfolge Jesu! Ich will jetzt nicht nostalgisch von früheren Zeiten schwärmen, in denen (vermeintlich) alles besser war. Aber in diesen Dingen hat die Großfamilie füherer Jahre ein besseres Umfeld geboten, einander auch im Glauben und der Nachfolge Christi zu begleiten und zu helfen. Aber, so ist es nicht mehr. Darum wollen wir nun aber nicht die Hoffnung fahren lassen, daß wir wenigstens hie und da und an manchen Stellen etwas von diese Klima zurück gewinnen können, in dem auch das Hirtenamt an einander gepflegt werden und gedeihen kann. Der Anfang darin ist gar nicht so schwer. Ich will ein paar Hinweise geben:

Wenn wir Kinder und junge Leute in der Familie oder der Nachbarschaft haben, die uns erreichbar sind, warum sprechen wir sie nicht einmal an, ob sie Jesus kennen, ob sie beten und was sie von den Geschichten über ihn kennen.

Wenn unser Freund oder Ehegefährte vielleicht auch noch nie darüber gesprochen hat, warum nehmen wir den Austausch über unseren Glauben nicht einmal auf, vielleicht so: "Was ist eigentlich für dich die Mitte des Lebens, woran hältst du dich, was trägt dich, auch wenn du an das Ende des Lebens denkst?"

Und selbst in den ganz alltäglichen Begegnungen mit anderen Menschen ist oft Raum, auch einmal von etwas anderem zu reden, als vom Wetter und den Lebensmittelpreisen. Es ist ganz erstaunlich, was für gute, tiefe Gespräche da möglich sind. Oft kommen sie nicht aus unseren Fragen, sondern aus dem, was wir einmal an- und aussprechen: "Ich war doch vor einiger Zeit im Krankenhaus - daß ich wieder so gesund bin, das verdanke ich Gott, der hat mir so geholfen!" - "Ich erlebe es immer wieder, daß ich im Gebet zu Gott ganz ruhig werde und auf einmal weiß, was ich tun soll!" - Wenn wir so beginnen, vielleicht erfahren wir dann auch etwas von denen, die wir so angesprochen haben. Wenn einer anfängt, ist es ja auch für die andere Seite leichter, von dem zu sprechen, was für den eigenen Glauben wichtig ist und was man selbst schon mit Gott erlebt hat.

Liebe Gemeinde, auf diese Weise legen wir es ab, nur ein Mietling zu sein. Wir gehen hinter Jesus her, nehmen ihn als den guten Hirten zu unserem Vorbild, kommen - wie er - den Menschen wirklich nah, und helfen nicht zuletzt auch den Menschen in die Nähe dessen, der von sich sagt:

Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.

Haben wir keine Angst: Wir sollen nicht unser Leben lassen, das hat schon unser aller guter Hirte für uns getan. Aber ein wenig sollten wir schon an seinem Amt und in seinem Auftrag mittun.

Ist das nicht eine wunderbare Vorstellung, daß wir so mithelfen, daß diese Zukunft wahr wird: ...und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden, und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen?