Predigt am Sonntag "Septuagesimä" - 16.2.2003

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Textlesung: Mt. 20, 1 - 16a

Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.

Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.

Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen.

Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.

Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?

So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

Liebe Gemeinde!

So ein wenig erbaulich soll es ja schon sein, was wir uns da am Sonntagmorgen im Gottesdienst anhören. Ganz einfach gesprochen: Es soll uns gut tun, was hier gepredigt wird! Die Kirche, in der am Sonntag immer nur geschimpft wird, ist gewiß nicht so gut besucht wie die andere, wo gesagt wird, was die Leute gern hören. Der Prediger, der stets nur Ansprüche stellt und an den Willen der Menschen appelliert, hat nicht soviel Zulauf wie der andere, der alle bestätigt, wie sie sind. - Wie sind dazu ihre Erwartungen?

Das Gleichnis von den "Arbeitern im Weinberg", das wir eben gehört haben, kommt uns da - glaube ich - so richtig entgegen: Da kann man sich so recht gemütlich in seiner Kirchenbank zurücklehnen. Vielleicht ist der eine oder die andere vorhin beim Lesen sogar ein kleines Stückchen gewachsen. Jedenfalls unangenehm hat die Geschichte wohl keinen berührt. Das liegt einmal daran, daß die Sache mit dem Weinbergbesitzer und den unterschiedlich fleißigen Arbeitern doch recht bekannt ist. Manche können gar nicht mehr richtig die Ohren spitzen und sind nicht aufmerksam vom Anfang bis zum Schluß. Andere von uns haben gleich - hast du nicht gesehen - eine Rolle in diesem Gleichnis eingenommen. Den Herren des Weinbergs, den wird wohl niemand spielen wollen...das spürt man ja doch: dieser gütige Mann steht für Gott. Aber die Arbeiter... Ich würde mir vielleicht die Rolle der Männer wählen, die zur dritten Stunde, also um neun Uhr morgens angeworben werden. Mich für jemanden zu halten, der gleich zur ersten Stunde, also schon um sechs, angefangen hat, käme mir denn doch ein wenig unbescheiden vor. Wir wissen diese Geschichte ja schließlich zu deuten: Je länger einer schon bei der Sache Gottes ist, um so eher hat er - im Bild gesprochen - im Weinberg gearbeitet. Je weiter die Strecke Wegs schon ist, die wir im Glauben an Gott zurückgelegt haben, um so früher am Morgen haben wir begonnen. - Wann war das bei ihnen? - Um sechs in der Frühe? Erst am Mittag? Auch um neun - wie bei mir? Gar nicht so schlecht, denken wir dann in jedem Fall am Ende. Fast könnten wir uns für unsere Christlichkeit, wie wir sie selbst einschätzen, noch Noten geben: "Eins" für ganz früh morgens, "zwei" für den Vormittag, "Befriedigend" für 12 Uhr mittags... Ich glaube, ich habe recht, wenn ich behaupte: Keiner von uns hat sich selbst in der Rolle der Arbeiter gesehen, die erst eine Stunde vor Schluß im Weinberg erscheinen. Schon gar niemand dachte wohl bei sich selbst an solche, die auch jetzt noch auf dem Marktplatz herumstehen, also immer noch nicht die Arbeit aufgenommen haben, ja vielleicht bisher beharrlich die Einladung des Herrn des Weinbergs ausgeschlagen haben. Wer das ist, wissen wir ja auch!: Die Gottlosen, die Menschen, die vom Glauben der Christen nichts halten, die nicht zur Kirche gehen...

Liebe Gemeinde, bis hierher ließ sich die Predigt ja doch noch recht angenehm hören, oder? Ich wage es jetzt einmal, Sie ein bißchen härter anzugehen, ja anzugreifen. Mir gefällt das nämlich nicht, was wir in unserem Dünken und Denken mit dieser Geschichte Jesu machen. Ich gefalle mir selbst auch nicht, wie ich so selbstgefällig die Rolle eines Arbeiters der dritten Stunde für mich beanspruche... In der Tat stehen wir doch eigentlich (fast) alle noch auf dem Marktplatz herum! Gewiß, der Herr des Weinbergs war schon da, manche und manchen von uns hat er schon mehrfach für die Arbeit dingen wollen. "Arbeit"...das ist wohl überhaupt das Schlüsselwort. Wer von uns arbeitet denn schon wirklich für diesen Herrn? Nein, ich sehe mich persönlich dabei durchaus nicht in einer Sonderrolle! "Arbeit" in Gottes Weinberg ist durchaus nicht schon der Dienst in der Kirche, den ich tue! Ich fürchte, vor dem Hintergrund dieses Gleichnis' beurteilt, warten wir alle noch ziemlich untätig und ziemlich lustlos auf dem Markt. Und wir werden dem Weinbergbesitzer wohl auch das nächste Mal, wenn er uns gewinnen will, ins Gesicht sagen: "Laß mich in Ruhe mit der Schufterei, hier steht sich's doch ganz gemütlich, uns reicht's auch ohne deinen Lohn zum Leben, gut sogar! Nicht wahr, jetzt läßt sich das nicht mehr so gut hören?! Jetzt wird's doch ein wenig schmerzhaft!

Aber sehen wir uns das Gleichnis doch einmal genau an: Da wird hart geschafft, 12 Stunden lang, teilweise. Da wird's mittags ganz schön heiß! Da fließt der Schweiß, da möchte mancher gern zwischendurch aufgeben, weil er nicht mehr kann, weil ihm schwindelig wird, weil er's im Rücken und weil er Schwielen an den Händen bekommt. Und da gibt's auch keine Reichtümer zu verdienen. Gut, die nur eine Stunde gearbeitet haben, bekommen genauso viel wie die anderen, einen Denar. Aber wieviel ist das denn schon? Genauso viel wie man damals für die Ernährung einer Familie für einen Tag brauchte, mehr nicht. Da bleibt nichts übrig. Da kann keiner was auf die hohe Kante legen. Nein, morgen werden sie wieder raus müssen in den Weinberg, den nächsten Denar erarbeiten, wieder im Schweiße ihres Angesichts, wieder mit harter Schinderei! Wo stehen denn wir in einer vergleichbaren Arbeit? Wo kostet unser Wirken für die Sache Gottes auch nur einen Tropfen Schweiß? Wo möchten wir denn fast aufgeben, weil es uns so hart ankommt, unseren Glauben zu leben? Den "Glauben leben", das ist überhaupt der springende Punkt. Die "Arbeit" im Weinberg Gottes, darauf kommt alles an in diesem Gleichnis - und in unserem persönlichen Christentum auch.

Warum stehen wir eigentlich so gern auf dem Marktplatz? Warum lassen wir uns nicht dingen? Wissen wir nicht, was zu tun wäre? Die vielen Menschen heute, die nur in Geld und Gütern ihren Lebensinhalt sehen können, weil ihnen niemand glaubhaft von anderen Werten spricht, weil ihnen niemand vormacht, daß wirkliches Glück mit Geben und Teilen zu tun hat. Die vielen jungen Leute in unseren Tagen, denen niemand - oft nicht einmal die Eltern! - echtes Interesse entgegenbringt, die mit ihren Fragen und Problemen ganz und gar allein sind, denen keiner zuhört, die oft aus lauter Enttäuschung gar nicht mehr von sich reden mögen. Die vielen Kinder - oft in unserer Nachbarschaft! - die nie spüren dürfen: "Es ist schön, daß du da bist!", die zu Hause wenig Liebe erfahren, keine Geborgenheit, keine Wärme und die auch außerhalb des Hauses, in dem sie wohnen, oft nur Ablehnung erleben, Vorbehalte, Verdächtigungen... Die vielen Alten, wenn sie Glück hatten bis ins hohe Alter hinein im Kreise der Familie, aber wie einsam oft, wie gedemütigt durch die unwürdige Behandlung durch ihre jungen Leute, die jetzt besitzen, was die Alten einmal aufgebaut haben. Von denen, die ihre letzten Lebensjahre in Heimen verbringen, nehmen wir meist schon gar keine Notiz mehr, zu grausam ist ihr Schicksal, das wir vielleicht einmal für eine kurze Weile miterleben oder nur vom Hörensagen kennen.

Liebe Gemeinde, ich glaube, ich habe da eben ein Stück des Weinberges Gottes beschrieben. Da hinein sind wir gerufen. Ja, mir wird auch bang, wenn ich das gewaltige Feld voller Arbeit sehe! Und was ich eben vor unsere Augen und Ohren gebracht habe, das war auch noch nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus den gesamten riesigen Acker Gottes, der auf uns wartet. Das wird Schweiß kosten. Uns wird manchmal nach Aufgeben zumute sein! Aber wer soll die Arbeit denn aufnehmen, wenn nicht wir - die Christen?! Können wir den Herrn, der unserem Glauben die Ewigkeit verheißen hat, beim nächsten Mal wieder unser "Nein" anbieten?

Auf einmal bin ich jetzt doch sehr froh über den Ausgang der Geschichte: Auch die, die sich erst sehr spät zur Arbeit im Weinberg entschließen, bekommen den vollen Lohn. Wie spät mag es für uns wirklich sein? Fünf Uhr, gar schon drüber? Ich glaube, unser Gott ist so gütig, daß es sich auch um fünf vor sechs noch lohnt, mit der Arbeit für ihn anzufangen!