Predigt zum 1. So. n. Weihnachten - 29.12.2002

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Textlesung: Lk. 2,(22-24) 25-38 (39-40)

Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen. Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

Herr, nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.

Liebe Gemeinde!

Alle Welt und sogar die sonst eher kirchenferne Mehrheit unserer Konsumgesellschaft spricht in diesen Tagen von dieser Geburt im Stall von Bethlehem, vom Kind in der Krippe, von Gottes Wunder und von der Freude der Weihnacht. Und es ist ja auch wirklich schön, daß dieses alte und ewig junge Fest so viel Kraft hat, so viel Zauber und Faszination, daß es doch an jedem Weihnachtsfest wieder die Herzen der Menschen erreicht und bewegt, was der Kirche und ihrer Botschaft ja sonst übers Jahr nur noch bei einer Minderheit gelingt. Und sogar unsere sonst mit sich selbst und meist sehr weltlichen Dingen beschäftigten jungen Leute kommen an Heiligabend und den Christtagen in die Gottesdienste. Auch darüber wollen wir uns freuen. Heute nun ist ein Sonntag, den es zum einen nicht in jedem Jahr gibt, zum anderen aber ist er einer der am schlechtesten besuchten Gottesdiensttage, die wir kennen. Und das ist ja auch verständlich: Heiligabend und Weihnachten mit den vollen Kirchen liegen hinter uns und der Jahreswechsel mit auch wieder recht gutem Besuch unserer Gotteshäuser steht unmittelbar bevor.

So sind wir heute hier nur in ganz kleiner Schar beisammen. Fast möchten wir uns vorn vor dem Altar in einen Kreis setzen, damit wir wenige noch ein wenig näher zusammenrücken und noch vertrauter beisammen sind und ich jetzt auch nicht so laut sprechen muß... Und wenn wir nun noch einmal an die Worte des Textes denken, den ich uns gerade gelesen habe, dann wird es uns sicher allen deutlich: Das sind irgendwie sehr passende Worte für uns heute, so leise wie sie sind, so ohne besonderen Anspruch und so intim... Nur Maria und Josef, das Kind und der alte Simeon sind im Tempel versammelt. Und die Szene ist bestimmt von der großen Freude des alten Mannes über das Kind, den Heiland Gottes. Und auch das paßt doch zu uns hier: Sind wir hier nicht auch überwiegend Menschen der älteren Generation? Und ich finde wirklich, das ist eine ganz schöne, stille Geschichte, ein guter Anlaß, jetzt auch selbst einmal ganz besinnlich zu werden, in uns hineinzuhorchen und dort die Freude wahrzunehmen, die Freude, die wir über dieses Kind, den Sohn Gottes, den Retter der Welt und unseren persönlichen Erlöser empfinden. -

Aber was ist es, was uns freut? Und stimmt es wirklich, daß uns über dieser Geburt von Bethlehem das Herz froh geworden ist und leicht, daß uns jetzt nach Jubeln und Singen ist oder doch wenigstens danach, dieses Kind in die Arme zu nehmen, wie der Alte damals im Tempel und gerührt und aus tiefster Seele zu bekennen: "Meine Augen haben den Heiland gesehen!" - Wir wollen uns einmal ein paar Minuten Zeit nehmen, um uns über unsere Gefühle klar zu werden.

Orgelmusik - ca. 3 Min.

Mir ist beim Nachdenken aufgegangen, wie sehr doch in jedem Jahr wieder die mehr leisen Töne der Weihnacht und dieser Geschichte von Bethlehem durch lautes Getön und schrilles Glänzen überdeckt werden. Da ist zum Beispiel das Strahlen von Abermillionen Kerzen und Lämpchen in den Vorgärten, an den Häusern und in den Fenstern, die Lichterketten, die Pyramiden, die Rentiere, Weihnachts- und Schneemänner, von innen beleuchtet, die uns schon seit dem Buß- und Bettag die Straßen hell machen, überall begleiten und wie ich finde: verfolgen! Und da sind die Dekorationen der Geschäfte und Kaufhäuser, die Auslagen in den Schaufenstern, die Engel, die Könige und die anderen Krippenfiguren, die uns allenthalben seit dem Totensonntag begegnen und wie ich finde: bedrängen! Denn paßt das alles zu Weihnachten? Stellen sie sich doch nur vor, da wird ein derartiger Aufwand getrieben: Tausende von Fußgängerpassagen allein in unserem Land hallen wider vom "Jingle Bells" und von "Kommet, ihr Hirten", die Leuchtreklamen, die blinkenden und in allen Farben gleißenden Lichterbäume blenden uns und die ganze Hektik dieser Tage nimmt uns den Atem und bringt uns oft genug um den Schlaf... Wir sprechen heute von Weihnachtsstreß! Wir geraten in den Vorweihnachtstagen in Druck und Hektik, wir gehen fast unter in den Anforderungen der Bräuche und Weihnachtssitten: Kartenschreiben, Plätzchenbacken, Baum schmücken und die Bereitung des Gänsebratens... - Und es geht eigentlich doch nur um eine armselige Geburt, um ein kleines, hilfloses Kind bettelarmer Eltern, um ein paar elende Hirten, die um eine Futterkrippe herum stehen und um eine zunächst sehr fragwürdige Botschaft: Euch ist heute der Heiland geboren. Und ich frage: Paßt das alles zusammen? Und ich frage weiter: Verdunkeln uns die Millionen Kerzen nicht vielleicht das, was da wirklich im Stall von Bethlehem geschehen ist, so daß wir's kaum noch begreifen und fassen, und daß es uns schon gar nicht mehr froh machen und befreien kann? Und übertönen uns die Weihnachtslieder in den Einkaufszonen nicht die wunderbare Nachricht vom Retter der Welt und verstellen uns die geschmückten Tannenbäume, die Lichterketten und Rentiere nicht den Kern der Weihnachtsgeschichte Gottes mit den Menschen? Und schließlich frage ich ganz persönlich: Ob wir nicht vielleicht deshalb heute hierher gekommen sind, weil wir nach allem lauten Weihnachtstrubel noch etwas anderes suchen, etwas anderes brauchen?

Ich glaube, etwas von dem, was wir uns heute wünschen, liegt in dieser Szene, von der wir vorhin gehört haben. - Ist ihnen das nicht aufgefallen: Der alte Simeon muß nicht fragen. Er sieht das Kind und weiß es: Das ist der Heiland. Und damit weiß er auch, er ist am Ziel seines Lebens. Jetzt kann nichts mehr kommen, was irgenwie noch wichtig wäre. Und da er ja auch alt ist und den Tod erwartet, spüren wir ihm jetzt ab, daß er davor gar keine Angst hat: Meine Augen haben den Heiland gesehen! Was soll mir denn passieren? Was sollte mich denn von Gott trennen, der in diesem Kind ist, ganz nah bei mir... Simeon ist wirklich froh geworden an diesem Kind und dem, was es bringt.

Liebe Gemeinde, wir wollen auch diese sehr zerbrechlichen Gedanken versuchen für uns selbst zu denken, zu fassen, zu empfinden...

Orgelmusik - ca. 3 Min.

Ja, das gilt auch für uns: Meine Augen haben den Heiland gesehen. Das gilt auch für unser Leben: Nichts kann uns jetzt mehr geschehen. Wir sind nun für immer geborgen bei Gott. Nichts trennt uns mehr. Das Kind in der Krippe ist Gottes Geschenk an uns. Da liegt er selbst auf dem Stroh, klein, hilflos, machtlos - ein Mensch wie wir. Aber hier kommt er uns auch so nah wir nirgends sonst: Er wird einer von uns und nimmt sich das gleiche Leben, das wir führen müssen. Er unterwirft sich allem, was unser Leben ausmacht: Auch die schweren Stunden erspart er sich nicht. Selbst in das Leid geht er hinein. Hinter seiner Krippe sehen wir schon sein Kreuz. Dort wird er vollenden, was er heute beginnt. Dort wird er uns ganz erlösen von aller Schuld, allem Verhängnis, von Krankheit und Leid, von Tod und Teufel.

Liebe Gemeinde, das ist Weihnachten: Nichts mehr fürchten müssen, schon heute am Ziel sein, geborgen, gehalten, getrost, mag da kommen, was da will. "Meine Augen haben den Heiland gesehen!" Es ist alles gut mit uns, alles entschieden, das Leben ist unsere Zukunft, erlöst in Ewigkeit...

Nein, der Lichterglanz von Millionen Kerzen kann uns das nicht erhellen. Alle "weihnachtliche" Betriebsamkeit wird uns immer nur wieder unsere innere Leere vor Augen führen und spüren lassen. In der Stille, in der Besinnlichkeit und dem Hören auf Gottes leise Worte finden wir zum Wunder der Weihnacht: "Meine Augen haben den Heiland gesehen!"

Wie wünsche ich uns, daß wir ihn und seinen Frieden heute mit nach Hause nehmen. AMEN