Predigt zum Sonntag „Septuagesimä“ - 16.2.2014 Textlesung: Röm. 9, 14 - 20a (20b - 24) Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! Denn er spricht zu Mose (2. Mos. 33,19): „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Er- barmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao (2. Mose 9,16): „Eben dazu habe ich dich erweckt, da- mit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.“ So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will. Nun sagst du zu mir: Warum be- schuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Liebe Gemeinde! Dieser Abschnitt aus dem Römerbrief gefällt uns nicht und er reimt sich nicht zu dem, wie wir Gott gerne sehen! Und das erst recht, wenn wir wissen, worauf sich die Fragen am Anfang beziehen: „Was sollen wir nun hierzu sagen? Ist denn Gott ungerecht?“ Hier geht es um den Vers vor diesem Abschnitt, zitiert aus dem 1. Buch Mose über Jakob und Esau und einen Satz aus dem Buch Maleachi, der das Wort aus dem Mosebuch deutet. Hören Sie nur...das sind Worte Gottes: „Der Ältere soll dienstbar werden dem Jüngeren“ (1.Mos.25,23) und „Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst.“ (Mal.1,2-3) Dass Sie das recht verstehen: Gott wirft hier die Ordnung über den Haufen, die wir doch auch kennen und befolgen: Jakob, der jüngere Sohn des Isaak soll über den Älteren, den Esau herrschen. Und um es auf die Spitze zu treiben, lässt Gott auch noch ausrichten, warum das so sein soll: weil er Jakob liebhat, Esau aber hasst - was er übrigens der Mutter der beiden schon vor der Geburt mitgeteilt hat. Gewiss gibt es heute Ausnahmen von der Ordnung. Aber wenn der Seniorchef die Firma übergibt, dann gibt er die Leitung auch heute noch meist an den älteren Sohn oder die älteste Tochter. Aller- dings erhalten heute Kinder, die dabei nicht bedacht werden, einen finanziellen Ausgleich oder ei- nen durch Sachwerte. Die Liebeserklärung Gottes an ein ungeborenes Kind und sein Hass gegen den ungeborenen Zwilling ist allerdings noch einmal etwas anderes: Das will uns nur ganz schwer in den Kopf, wie Gott so sein kann. Und „gerecht“ können wir das sicher nicht nennen. Aber das geht ja in diesem Abschnitt aus dem Römerbrief so weiter: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Noch deutlicher: „So er- barmt Gott sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.“ Das sind schon harte Verse, die uns einiges zumuten. Wie können wir das alles denn noch mit der Vorstellung reimen, Gott wäre unser barmherziger, liebender Vater? Aber die Verse geben uns nicht nur Rätsel auf, sie sind nicht nur ganz schwer zu begreifen und zu akzeptieren, sie sind auch noch in unseren Tagen völlig unzeitgemäß! Denn setzt sich nicht in unse- rer Zeit immer mehr die Meinung durch, gerade bei den jüngeren Leuten, wir könnten unser Leben selbst „machen“, wir wären unseres Glückes Schmied, wir hätten es in der Hand, ob unsere Pläne gelingen und unsere Wünsche sich erfüllen? Und was unseren christlichen Glauben angeht, ist es doch nicht anders, auch wenn wir evangelisch sind: Wir wissen das zwar, dass wir vor Gott keine Verdienste erwerben können, dass er nicht nach unseren Werken, unseren guten Taten fragt, und doch kommen uns immer wieder Gedanken wie diese in den Kopf und oft auch auf die Lippen. Wenn es um uns selbst geht: „Das muss Gott doch gefallen, wenn ich so regelmäßig den Gottes- dienst besuche.“ - „Ich bemühe mich um ein christliches Leben...das ist heute ja eigentlich nicht mehr in Mode! Wenn es um andere geht: „Die Frau Meier von nebenan darf sich auch nicht wun- dern, wenn sie ein Unglück nach dem anderen trifft, die hat ja nicht mal ihre Kinder taufen lassen!“ - „Unser Schwiegersohn ist einfach nicht für den christlichen Glauben zu begeistern. Das wird Gott sicher einmal bestrafen.“ Und noch viele ähnliche Gedanken kennen wir - und manchmal kommen sie uns in den Sinn - mit denen wir Gott zum Rechenmeister erklären, zu einem Gott, der unsere Verdienste in die eine Schale der Waage legt und den weltlichen und himmlischen Lohn dafür in die andere. Aber so ist Gott nicht! Paulus schreibt: „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.“ Und ich will das noch einmal mit unseren Worten sagen, ganz dras- tisch, dass es uns auch wirklich klar wird, was Paulus hier meint: Ob du nun für Gott und deine Mitmenschen die besten Taten vollbringst oder ob du dein Leben lang nur an dich denkst und kein einziges Werk vorzuweisen hast, das du für Gott oder deinen Nächsten getan hättest - es ist Gott gleichgültig und es macht keinen Unterschied, ob Gott dich liebt oder ob er dich hasst! - - - Liebe Gemeinde, das war jetzt schon spürbar, dass Ihnen solche Worte nicht gefallen! Ich sage ganz offen, mir gefallen sie auch nicht. Aber es hilft nichts: Uns sind sie heute zu bedenken vorgelegt. Sie stammen von Paulus, wir müssen uns damit auseinandersetzen, und das wollen wir jetzt tun. Und wir fangen da an, wo die Verse für heute enden: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ Es ist „mit Gott Rechten“, wenn wir meinen, wir hätten durch unser Wohlverhalten, unsere Taten oder gar durch unseren Glauben an Gott schon einen Anspruch auf sein Erbarmen oder seine Belohnung erworben. Und es ist auch „mit Gott Rechten“, wenn wir umgekehrt meinen, einer, der sich von Gott abgewendet hat, hätte doch auch Gottes Strafe verdient. Gott ist nicht wie wir Menschen! Er lässt sich nicht beeindrucken, wenn wir ihm unsere guten Werke hinhalten oder wenn wir uns mit unserer Verachtung bemühen, ihn zu kränken oder zu leugnen. Er ist und bleibt frei, so an uns zu handeln, wie er das will und wie er es sich vorgenommen hat. Einzig unser Gebet kann Gott erreichen und vielleicht beeinflussen. Das Gebet, wie es von Jesus in Gethsemane überliefert ist in den Stunden der Angst und der Tränen: „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ (Mt.26,39) Jesus achtet die Freiheit Gottes. Er versucht nicht seinen eigenen Willen durchzusetzen, sondern legt sein Schicksal in die Hände seines Vaters. Und noch etwas wird hier deutlich: Jesus meint nicht, doch besser zu wissen, was gut und richtig für ihn wäre - wie wir das oft glauben. Selbst angesichts des Todes, des schrecklichen Todes am Kreuz hat er Vertrauen, dass Gott ihn den richtigen Weg führen, ihn begleiten und nicht verlassen wird, was immer auch geschieht. Wie ist das bei uns? Unser Denken von Gott zieht ihn oft tief ins Menschliche herab. Wenn wir nur genug Verdienste vorzuweisen haben, wenn wir es nur geschickt anstellen, wenn wir nur lange ge- nug bitten und betteln, dann wird Gott doch wohl nicht so sein... Aber Gott ist so! Frei, souverän, kein Mensch, den unser Verhalten umstimmen, dem unsere Taten imponieren könnten. Und er ist doch barmherzig. Und er wäre es nicht, wenn er sich von unseren Werken beeindrucken ließe. Und selbst, wo er verstockt, da tut er es in völliger Freiheit und nicht als Strafe, weil er unsere Sünden, unseren Hochmut oder was wir Böses tun ahnden müsste. Wir sehen es daran, wie er mit Pharao spricht: „Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.“ Wir werden Paulus zustimmen müssen, wenn er am Ende sagt: „So erbarmt Gott sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.“ - - - Liebe Gemeinde, versöhnt sind wir mit diesen Gedanken noch lange nicht. Aber wir wollen sehen, ob wir heute nicht doch wenigstens wieder einem Wesenszug Gottes auf die Spur kommen, den wir lange nicht mehr wahrgenommen haben. Vielleicht haben wir ihn auch nicht sehen wollen, weil er eigentlich nicht zu unserem Bild von Gott passt. Ich meine Gottes Unerbittlichkeit, seine Härte, wenn es um die Wahrung seiner Majestät geht. Wir sehen Gott gern als den Vater, der voll Erbar- men den Verlorenen Sohn, wenn er heimkehrt, in die Arme schließt. Wir sehen Gott gern als den Weinbergbesitzer, der voll Großmut auch denen den vollen Tageslohn auszahlt, die nur eine Stunde gearbeitet haben. Wir sehen Gott gern als den barmherzigen Herrn, der seinem Knecht alle Schul- den erlässt. Dass derselbe Gott dem Mose, mit dem er doch sehr vertraut ist, sein Angesicht nicht zeigen will, hören wir nicht so gern. Dass derselbe Gott den Propheten Jesaja von sich sagen lässt: „So viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken“ (Jes.55,9), hören wir auch nicht gern. Und wir verdrängen auch lieber aus unserem Bild von Gott, dass er uns oft lange Zeit fern und unnahbar scheint, dass er uns nicht gibt, wenn wir ihn bitten, sich auch, wenn wir ihn sehnlich suchen, nicht finden lässt und uns nicht auftut, so sehr wir auch bei ihm anklopfen. In solchen Zeiten müssten wir erkennen, dass Gott auch eine ganz andere Seite hat: Nicht nur Vater, der gern gibt und vergibt, nicht nur voll Güte und Barmherzigkeit, nicht nur Freund und Helfer in Not, sondern dunkel und verborgen, hoch er- habene Majestät, weit weg von uns und unserer Welt, fremd und unbegreiflich... Liebe Gemeinde, was nehmen wir nun eigentlich heute von diesen Versen aus dem Römerbrief mit nach Hause? Und vor allem: Kann uns aufbauen, was wir mitnehmen? Es ist vielleicht nicht erbaulich, ja, es schmerzt sogar ein wenig, aber ich glaube, dass es wichtig ist, wieder einmal deutlich wahrzunehmen, dass unser Gott nicht unseren Willen erfüllt, sondern frei und souverän das tut, was sein Wille ist. Majestätisch und ehrfurchtgebietend thront er über unseren Bitten und Wünschen. Wenn er sie uns erfüllt, dann nicht, weil wir ihm irgendetwas dafür geben oder bieten könnten. Wir stehen immer, unser ganzes Leben lang vor Gott mit leeren Händen. Bei ihm gilt allein das: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Denn es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an seinem Erbarmen.“ Vielleicht nehmen wir darum von diesem Gottesdienst das mit, was heute ganz altmodisch klingt und was wir nicht nur aus unserem Sprachgebrauch, sondern auch aus unserer Beziehung zu Gott mehr und mehr hinausgedrängt haben: Demut, das Beugen vor der Größe und Majestät Gottes, un- seres Schöpfers und dem Herrn der Welt. AMEN