Predigt zum Vorl. So. des Kirchenjahrs - 17.11.2013 Textlesung: Jer. 8, 4 - 7 Sprich zu ihnen: So spricht der HERR: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht gern wieder aufstün- de? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder zurechtkäme? Warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen für und für? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen. Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle ihren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt. Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Tur- teltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen. Liebe Gemeinde! Es ist derselbe Gott, den Jesus, den wir den Christus nennen, als seinen und unseren Vater an- spricht. Es ist derselbe Gott, der hier durch den Propheten Jeremia vor über 2 ½ Tausend Jahren, den Menschen von Juda und Jerusalem die Botschaft ausrichten lässt: „Warum wollt ihr irregehen für und für? Ihr haltet fest am falschen Gottesdienst, dass ihr nicht umkehren wollt. Ich sehe und höre, dass ihr nicht die Wahrheit redet. Es gibt niemand, dem seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Ihr lauft alle euren Lauf wie ein Hengst, der in der Schlacht dahinstürmt.“ Das Volk geht auf Wegen, die Gott nicht mit ihnen geht und sie wollen nicht umkehren. Die Menschen reden nicht die Wahrheit! Keinem tut seine Bosheit leid, sodass er bereut. Immer weiter im alten gottlosen Trott lebt jeder sein Leben. - Ich denke, wir müssen nicht nach weiteren Schandtaten des Volkes forschen. Dieser Katalog der Sünden genügt, um uns begreiflich zu ma- chen, warum Gott seinen Propheten Klage erheben lässt gegen sein Volk. Und dass wenige Jahre später die Katastrophe des babylonischen Exils über Juda und Jerusalem hereinbricht, zeigt uns, dass die Menschen eben nicht wieder aufstehen wollten, nachdem sie gefallen waren und dass sie beharrlich und dickköpfig bei dem geblieben sind, was Gott ihnen hier vorwirft: „Mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen.“ Aber jetzt wollen wir auch schon zu uns kommen, zu den Menschen unserer Zeit und gerade auch zu uns Christinnen und Christen, die doch denselben Gott haben, wie das Volk von Juda und wie unser Herr Jesus Christus. Was würde Gott wohl uns ausrichten lassen von seinem Propheten? Bevor ich weiterspreche, noch eins: Gleich werden sicher einige von uns denken: Das wettert sich ja leicht heute, mit so einem starken und harten Bibeltext im Rücken. Das macht bestimmt Spaß, einmal zu einem Rundumschlag gegen die Christen, die Gesellschaft, die Politik und am Ende noch gegen die Kirche unserer Zeit auszuholen! Aber ich kann ihnen versichern: Ich stehe hier mit beklommenem Herzen, mit Zaudern und Zagen und würde Ihnen weiß Gott gern etwas anderes sagen als das, was ich sagen muss, wenn ich nicht meinen Auftrag als Prediger des Wortes Gottes verfehlen will. Und das will ich nicht und das darf ich nicht. Nehmen wir uns also die Sünden vor, die Jeremia damals im Namen Gottes anprangert: „Das Volk geht auf Wegen, die Gott nicht mit ihnen geht und sie wollen nicht umkehren.“ - Hier fällt mir die europäische Asylpolitik ein und wie gerade in letzter Zeit mit denen umgegangen wird, die sich über das Mittelmeer und davor oft schon über viele hundert Kilometer lange, steinige Pfade nach Europa aufmachen. Tausende von ihnen kommen nie an. Sterben auf dem Weg vor Erschöpfung oder ertrinken im Meer, nachdem ihr völlig überladenes Boot bei der Überfahrt, für die sie ihr letztes Geld gegeben haben, gekentert ist. Darunter viele Kinder. Die es schaffen, werden meist umgehend wieder in ihr Heimatland verfrachtet, nur um die Erkenntnis reicher, dass Europa, das sich immer noch das christliche Abendland nennt, Flüchtlinge nicht nach der Not-wendigkeit, sondern nach einem bestimmten Zahlenschlüssel aufnimmt. - Hätte sich der Barmherzige Samariter ähnlich verhalten, dann wäre der unter die Räuber Gefallene am Weg zwischen Jericho und Jerusa- lem verblutet, denn es kam oft vor, dass Räuber auf diesem Weg zuschlugen und das Jahressoll war bestimmt schon erfüllt. Und mir fallen die Waffenexporte ein, bei denen Deutschland nicht nur in Europa, sondern in der Welt mit an der Spitze steht. Wie oft war wohl schon der Tod in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Zeit „Made in Germany?“ Vielleicht hätte das Schwert des Petrus Jesus im Garten Geth- semane retten können. Er aber sagt zu seinem Jünger: „Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen.“ (Mt.26,52) Was hätte Jesus wohl davon gedacht, wenn seine Jünger später angefangen hätten, Schwerter zu verkaufen? „Die Menschen reden nicht die Wahrheit!“ So benennt Jeremia die nächste Sünde der Menschen. - Mir kam das Verhältnis unseres Volkes zu seinen Politikern in den Sinn. Warum gehen seit Jahren immer weniger Menschen zu den Wahlen in Land und Bund. Und warum interessieren sich gerade junge Leute kaum noch für Politik. Vor den letzten Wahlen war es wieder zu hören: „Weil die eh nur die eigene Karriere im Sinn haben und nicht das Wohl der Menschen.“ - „Weil die Politiker hinterher doch sowieso nicht zu dem stehen, was sie vor der Wahl versprochen haben.“ Wie halten wir selbst es mit der Wahrheit, die manchmal nicht nur zu hören unbequem ist, sondern auch zu sagen? Jesus hat in der Bergpredigt gesagt: „Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ (Mt.5,37) Wenn ihr ja sagt, dann muss man sich darauf verlassen können. Wenn ihr nein sagt, dann meint auch nein. Jeremia ist noch nicht zu Ende: „Keinem tut seine Bosheit leid, sodass er bereut.“ - Was tun wir einander doch an, wenn wir einer den anderen übervorteilen, ihn an die Wand drücken, schlecht von ihm reden, Gerüchte in die Welt setzen, ihn mit Worten oder gar Taten verletzen... Von richti- gen Verbrechen, die Menschen vor Gericht und vielleicht ins Gefängnis bringen, müssen wir gar nicht reden. Das Böse ist wahrhaftig „immer und überall“, wie es in einem Schlager heißt. Aber ich gehe hier noch viel weiter: Manches, was wir zunächst sicher gar nicht böse nennen würden, vielmehr nur dumm, riskant, unbedacht oder unangemessen, erweist sich in seiner Wir- kung und seinen Folgen dann doch als böse, weil Gutes verhindert wird, weil Sinnvolles nicht mehr finanziert werden kann und weil das, was den Menschen dient, dann dem Sparzwang zum Opfer fällt. Hier denke ich an einen Bischofssitz, der für über 30 Mio. € überwiegend für die Prunksucht eines Einzelnen ausgebaut worden ist. Und ich denke an den Flughafen in Kassel Kalden, der einige hundert Mio. € gekostet hat, der nach Meinung vieler Fachleute - die sie schon vor dem Bau geäußert haben! - nie rentabel sein wird und darum nie hätte gebaut werden dürfen. Dessen „Be- trieb“ aber doch in aller Zukunft einige Mio. € im Jahr verschlingt, die dann bei wirklich wichtigen Aufgaben fehlen. Und bei alledem wird selten echte Reue gezeigt. Allenfalls hören wir ein „Tut mir leid“ oder „Entschuldigung!“. Aber was kostet das schon. Reue ist mehr. Sie tut weh und zeigt auch immer den Willen, wieder gut zu machen, was man begangen oder angerichtet hat. Beispielhaft ist für mich hier der Zöllner Zachäus, dem sein bisheriges Leben, in dem er die Menschen übers Ohr gehauen hat, nicht nur leid tut, sondern der Jesus verspricht: „Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.“ Hier bereut einer wirklich! Dieser Reue folgen Taten. Wahrhaftig nicht die kleinste Sünde, die Jeremia anspricht ist diese: „Immer weiter im alten gottlosen Trott lebt jeder sein Leben.“ - Sicher empfinden wir das Urteil, wir lebten gottlos, als zu hart. Wir sitzen doch heute immerhin in der Kirche. Wir sind konfirmiert. Unsere Kinder sind getauft. Wir beten am Morgen und am Abend...und was uns da noch alles einfällt. Auf der anderen Seite aber stehen viele Stunden des Tages, in denen wir nicht an Gott denken, in denen uns sein Wort und sein Wille nicht wichtig sind und keine Rolle spielen. Und außer dem Sonntag gibt es meist keinen anderen Tag, an dem wir noch irgendwie wenigstens eine Zeit lang Gott gehören. In unseren Alltagsgesprächen spielt Gott auch keine Rolle. Die Erziehung unserer Kinder klammert Gott meist aus. Wir sind unsicher in Glaubensfragen, aber wir tun auch wenig dafür, sicherer zu werden. Liebe Gemeinde, ja, es ist genug! Die Predigt kommt langsam zum Schluss. Sie kann all das, was sie mit den Worten des Jeremia im Auftrag Gottes angesprochen hat, jetzt nicht in Wohlgefallen auflösen. Das will sie auch gar nicht. Diese Predigt wollte Ihre (und meine!) Gedanken anregen. Ja, sie wollte uns heute am Volkstrauertag auch einmal traurig machen (auch wenn diese Trauer sich ursprünglich auf die Toten der beiden Weltkriege bezogen hat). Und im Blick auf den kommenden Buß- und Bettag, der uns ja als Feiertag vor Jahren genommen worden ist, wollte uns die Predigt auch zur Buße führen, Buße nämlich, heißt Umkehr. Vielleicht war ja bei all den harten Worten, die Jeremia uns heute vorgelegt hat, eines, über dem wir wirklich traurig geworden sind und zu uns gesagt haben: Das ist wirklich wahr und das betrifft mich und da könnte ich etwas tun, etwas ändern. Wenn das dann dazu führt, dass wir wirklich ein paar Schritte zurückgehen und aus Einsicht umkehren auf dem Weg, den wir bisher immer ge- gangen sind, dann wäre die Botschaft Jeremias an uns und diese Predigt nicht umsonst gewesen. AMEN