Predigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis - 22.9.2013 Textlesung: Jh. 9, 35 - 41 Es kam vor Jesus, dass sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? Er antwortete und sprach: Herr, wer ist’s?, dass ich an ihn glaube. Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist’s. Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an. Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind se- hend, bleibt eure Sünde. Liebe Gemeinde! Wie so oft, müssen wir hier die Vorgeschichte kennen, um diese Verse zu verstehen. „Es kam vor Jesus, dass sie ihn ausgestoßen hatten.“ - Wen hatten sie ausgestoßen? Wer hatte ihn ausgestoßen? Woraus hatten sie ihn ausgestoßen und warum? Was hatte der Mensch, den sie ausgestoßen hatten mit Jesus zu tun? Wenn wir die Verse vor denen lesen, die wir heute bedenken sollen, ergibt sich dieses Bild: Jesus war einem blindgeborenen Bettler begegnet und hatte ihn geheilt, indem er ihm einen Brei aus Speichel und Erde, den er gemacht hatte, auf die Augen strich. Dann weist Jesus den Bettler an, dass er sich im Teich Siloah waschen soll. Das tut der Bettler, danach kehrt er sehend zurück. Die Nachbarn sind im Zweifel, ob er wirklich der ehemals Blinde ist. Er aber erzählt ihnen, was ihm bei Jesus widerfahren ist. Jesus aber ist inzwischen weitergegangen. Jetzt führen die Nachbarn den Bettler zu den Pharisäern. Was dann geschieht, hört sich für unsere Ohren einigermaßen grotesk an. Die Pharisäer nämlich freuen sich nicht an der Heilung, im Gegen- teil, sie werfen Jesus vor, gegen die Sabbatgesetze verstoßen zu haben, denn es war Sabbat an die- sem Tag und „Teigkneten“ - Jesus hatte ja einen Brei aus Erde und Speichel gemacht - war im Ge- setz am Sabbat verboten. Es entspinnt sich nun eine kontroverse Diskussion unter den Pharisäern darüber, ob Jesus, obwohl er den Sabbat gebrochen hat, „von Gott ist“ oder nicht. Die Diskussion gipfelt in der Frage an den ehemals Blinden, was er denn meint, wer Jesus wäre. Daraufhin antwor- tet der: „ein Prophet“. Ein weiteres Gespräch mit den Eltern des Bettlers und mit diesem selbst, wollen wir uns jetzt spa- ren. Jedenfalls wird der Bettler aus der Synagoge, also aus der Gemeinde der Juden ausgestoßen. Hier beginnen nun die Verse, die uns heute als Predigttext vorgeschlagen sind und ich will uns die Verse noch einmal lesen, denn sicher können wir uns jetzt, nach der langen Vorgeschichte, nicht mehr so genau erinnern: Es kam vor Jesus, dass sie ihn ausgestoßen hatten. Und als er ihn fand, fragte er: Glaubst du an den Menschensohn? Er antwortete und sprach: Herr, wer ist’s?, dass ich an ihn glaube. Jesus sprach zu ihm: Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist’s. Er aber sprach: Herr, ich glaube, und betete ihn an. Und Jesus sprach: Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen, damit, die nicht sehen, sehend werden, und die sehen, blind werden. Das hörten einige der Pharisäer, die bei ihm waren, und fragten ihn: Sind wir denn auch blind? Jesus sprach zu ihnen: Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind se- hend, bleibt eure Sünde. Liebe Gemeinde, warum fragt Jesus nicht, glaubst du an mich? Er hat den Blinden doch immerhin geheilt? Er fragt aber nach dem Glauben an den „Menschensohn“. Wir verstehen das, wenn wir weiter hinhören, was Jesus sagt: „Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen.“ Der Name Men- schensohn nämlich ist der Name des Christus, der als Weltenrichter einst die Menschen, die Chris- tus als ihren Herrn angenommen haben, von denen scheidet, die nicht an ihn glauben wollten. Und jetzt wird dem Blinden - und wohl auch uns heute - klar, warum der Christus Gottes in die Welt ge- kommen ist und was Jesu Anspruch damals eigentlich war: Mit mir beginnt das Endgericht! An mir entscheidet sich, was einen Menschen in Ewigkeit erwartet. Vielleicht erschrecken wir jetzt doch ein wenig: Das Gericht hat mit Jesus damals schon begonnen? Und es vollzieht sich seitdem in der Geschichte der Welt und der Menschen - auch bei uns Chris- ten! - immer aufs Neue? Und wir fragen uns, wie es wohl für uns steht, wie es ausgeht und wie das Urteil einmal sein wird? Aber bevor wir uns nun in diesen ernsten Grübeleien verlieren, hören wir weiter auf Jesu Worte: „(Ich bin zum Gericht in diese Welt gekommen,) damit, die nicht sehen, sehend werden, und die se- hen, blind werden.“ Es ist also noch alles offen, damals und heute! Aus Blinden können Sehende werden, aber auch aus Sehenden Blinde. Aber wer sind die Blinden und wer die Sehenden? Ich denke, mit den Blinden sind die Menschen gemeint, die noch nicht zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Vorausgesetzt ist dabei, dass sie schon von ihm gehört haben, dass ihnen Eltern und ErzieherInnen, PfarrerInnen und LehrerInnen oder andere gläubige Menschen von Jesus erzählt und ihnen den Glauben vorgelebt und näher gebracht haben. Denn man muss schon von Je- sus Christus wissen, um ihm Vertrauen schenken zu können und sein Leben in seine Hände zu ge- ben. Dabei wird deutlich, dass die Pharisäer damals wohl mit den „Blinden“ gemeint waren. Sie hatten den Christus Gottes ja doch unmittelbar vor Augen. Sie haben - zum Beispiel an der Heilung des Blindgeborenen - gesehen, welche Kraft von diesem Jesus ausgeht. Sie selbst aber wollen diese Kraft nicht sehen - so bleiben sie blind. Und wie ist das heute? - Da gibt es Blinde, die nicht oder noch nicht sehen können. Blinde denen Jesus Christus bis zu diesem Tag, das Geschenk des Glaubens noch nicht gemacht hat. Da gibt es aber auch die anderen, die blind sind, aber nicht sehen wollen. Genaues kann hier kein Mensch sa- gen, aber es scheint manchmal so, als gingen sie allem aus dem Weg, was in ihnen das Sehen oder auch nur den Wunsch danach hervorbringen könnte. Vielleicht sind sie verstockt? Vielleicht fürch- ten sie, ein Leben in der Nachfolge Jesu könnte zu viel Verzicht oder Nächstenliebe von ihnen for- dern? - Es mag noch andere Formen dieser Blindheit geben. Für alle aber gilt: Wenn Gott will, können diesen Menschen die Augen aufgetan und sie können sehend werden. Wer heute die Sehenden sind, ist nun auch klar: Das sind zuallererst die Menschen, denen Gott schon die Augen für seinen Christus geöffnet hat. Und dabei macht es am Ende keinen Unterschied, ob sie nach eigener Suche zum Glauben gefunden haben oder ob sie sich lange dagegen gewehrt haben, Jesus Christus zu erkennen und als ihren Herrn anzunehmen. Ein Geschenk ist und bleibt der Glaube für alle! Niemals darf sich einer über den anderen erheben und sprechen: Du bist erst viel später zum Glauben gekommen oder du hast dich nie wie ich um den Glauben bemüht. Danken wir Gott dafür, wenn wir glauben können und denken wir immer daran: Aus Blinden können Sehende werden - aber auch aus Sehenden Blinde! Bitten wir Gott, dass uns kein Schicksal trifft, das uns zu glauben schwer macht oder gar unmöglich. Wir wissen nicht warum, denn Gottes Gedanken sind höher als unsere Gedanken, aber auf diese Weise vollzieht sich schon immer und auch in unserem Leben das Gericht - es kommt für uns nicht erst in Gottes neuer Welt. Hören wir noch einmal auf die Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen: „Einige der Pha- risäer, die bei ihm waren, fragten Jesus: Sind wir denn auch blind?“ Nehmen wir an, diese Frage war ehrlich und nicht mit hochgezogenen Augenbrauen, in der Gewissheit, sehend zu sein, gestellt. Dann denke ich, diese Pharisäer waren auf dem richtigen Weg und vielleicht auch bereit - wie der Bettler - von ihrer Blindheit geheilt zu werden. Die Antwort, die Jesus gibt, klingt hart, ist aber für die Pharisäer damals und für uns heute ein ganz entscheidender Hinweis: „Wärt ihr blind, so hättet ihr keine Sünde; weil ihr aber sagt: Wir sind sehend, bleibt eure Sünde.“ Blind zu sein, den Glau- ben an Jesus Christus (noch) nicht zu haben, ist keine Schande, keine Sünde. Der Glaube ist ja ein Geschenk, das keiner, auch nicht mit der größten Mühe, erwerben oder gewinnen kann. Wer aber sagt, er wäre „sehend“, er hätte den rechten Glauben und hätte für diesen ja auch viel auf sich ge- nommen und ihn schließlich auch verdient... Ein solcher Mensch sagt zwar, er hätte den Glauben und wäre sehend, er beweist aber gerade damit, dass er blind ist. Solche Blindheit ist Sünde. Liebe Gemeinde, vielleicht war das heute ja alles ein wenig verwirrend. Darum möchte ich Ihnen am Ende dieser Predigt noch einen guten, klaren Gedanken mitgeben: Leben Sie doch so, dass ihnen in jeder Stunde bewusst ist, dass es Gottes Geschenk ist, an Jesus Christus zu glauben. Seien Sie dankbar und aus dieser Dankbarkeit heraus offen, freundlich und liebevoll zu allen Menschen, zu den Blinden und den Sehenden! AMEN